Wiktorija ist der Meinung, dass die Ereignisse des russischen Angriffs auf die Ukraine im Jahr 2022 eng mit den Ereignissen der Revolution der Würde von 2014 verknüpft sind, bei der die Künstlerin eine wichtige Rolle spielte. Damals gehörte Wiktorija zu den «Kunsthundertschaft» und den «Wolhynienhundertschaft» und wurde ebenfalls verwundet. Da sie das Grauen der Ereignisse von 2014 mit eigenen Augen gesehen und unmittelbar erlebt hatte, schloss sie sich sofort nach Beginn des russisch-ukrainischen Krieges einer Gruppe von Freiwilligen an.
Am 22. April hatte einer unserer Journalisten die Gelegenheit, mit Wiktorija zu sprechen und ihre Ansichten über den Zustand von Kunst und Kultur in der Ukraine und die Richtung ihrer weiteren Entwicklung zu erfahren.
Korrespondent: Welche Bedeutung hat die russische Kultur und welchen Einfluss hat sie auf den Krieg in der Ukraine?
Wiktorija Romantschuk: Meiner Meinung nach lohnt sich unter diesem Aspekt ein Blick auf die russische Kultur vom Anfang des 20. Jahrhunderts zu werfen.Wenn wir sie als Phänomen betrachten, sollten wir ihre beispiellose Massivität und den Versuch, ein imaginäres Bild von „Großrussland“ zu schaffen, hervorheben. Das russische Kulturerbe wird angeblich als etwas Elitäres wahrgenommen, obwohl sich der allgemeine Inhalt an alle Bevölkerungsschichten aller Altersgruppen richtet und sein Einfluss auf den kulturellen Code nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine zum Tragen kommt. Die russische Kultur spiegelt sich in diesem Krieg in der Ost-, Süd- und sogar in der Zentralukraine deutlich wieder. Ich möchte anmerken, dass sie auch für die Ereignisse von 2014 im Donbass verantwortlich ist, da die Menschen aus den östlichen Regionen der Ukraine keinen Zugang zum ukrainischen Informationsraum hatten, was zu gewissen Veränderungen in ihrem Bewusstsein führte. Die ukrainische Kultur ist im Gegensatz zur russischen geschlossen. Sie sollte in 2 Phasen unterteilt werden: vor 2014 (fast vollständiger Verlust der nationalen Identität) und nach 2014 (Transformation in eine treibende Kraft der ukrainischen Nation).
Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um das kulturelle Erbe während des Krieges zu bewahren?
Ich würde diese Frage sowie die Nuancen der Rechtschreibänderung überhaupt nicht ansprechen. Staatliche Initiativen sind normalerweise formal: Sie haben keinen praktischen Inhalt. Ich denke, dass wir anstelle von punktgenauen Rezepten für wirksame Maßnahmen zur Erhaltung der Kultur in der Praxis – in Kunstwerkstätten – an ihrer Entwicklung arbeiten sollten. Jetzt gibt es endlich viele pro-ukrainische Inhalte in Politik, Mode, Literatur, Kunst und Bildhauerei. Der ukrainische Kulturboom schwappt in einer mächtigen Welle um die Welt, so dass alles, was mit Kultur zu tun hat, den richtigen Weg einschlägt. Der Künstler will schaffen: der Wunsch kommt von der untersten Ebene und breitet sich in unserer ganzen Gesellschaft aus. An der Universität wurde uns oft gesagt, dass neue Kunststile normalerweise in Süd- und Westeuropa entstehen. Deshalb wäre es vor einigen Jahren unmöglich gewesen, sich vorzustellen, dass in der Ukraine etwas Innovatives entstehen würde.
Trotz des Krieges produzieren die ukrainischen Künstler weiterhin eine große Anzahl hochwertiger Werke.
Welche Gemeinsamkeiten zwischen der Revolution der Würde und dem russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 sind zu erkennen?
Wiktorija Romantschuk: Das ist ein sehr wichtiges Thema für mich. Ich habe mich der Maidan «Kunsthundertschaft» angeschlossen, war in der «Wolhynienhundertschaft und wurde während der Ereignisse des 14. Jahres verletzt. Diejenigen, die sich auf dem Maidan freiwillig gemeldet haben, erleben heute einen identischen Maidan, nur in der gesamten Ukraine. Wenn man heute Lwiv besucht, sieht man auf fast jedem Autoeinen „Volunteer“- Aufkleber: die ganze Ukraine hat sich in einen riesigen Bienenstock für Freiwillige verwandelt. Früher wussten wir nicht, wie wir logistische Verbindungen herstellen und wie die Ergebnisse aussehen würden; jetzt haben wir genug Erfahrung, so dass jeder von uns genau weiß, was er tut und zu welchem Zweck. Für uns, kreative Menschen, ist es äußerst wichtig zu zeigen, dass Kunst auch eine Waffe ist. Wenn der Maidan ein Kindergarten für das ukrainische Nationalbewusstsein war, dann sind wir 2022 in eine Schule des Lebens für Erwachsene eingetreten. Daher sollten wir uns über die Absicht unseres Kampfes im Klaren sein. Für mich sind die Ereignisse der Revolution der Würde und der russischen Invasion im Jahr 2022 sehr deckungsgleich.
Lohnt es sich, die russische Kultur komplett aufzugeben?
Jetzt ganz eindeutig – ja! Ich habe, wie viele andere auch, russische Freunde – sehr positive Menschen, die gute Inhalte veröffentlichen, aber jetzt leben wir nicht in Friedenszeiten, sondern in einer Zeit des Kriegs. Es ist nicht nur unsere individuelle Haltung und persönliche Einstellung, es ist die Rolle eines Bürgers der Ukraine, der sich im Krieg mit Russland befindet, also eine hundertprozentige Ablehnung von allem, was russisch ist.. Ich kenne einige Künstler aus Russland, ich liebe sie als Menschen, aber in letzter Zeit haben wir aufgrung offensichtlicher Umständen keinen Kontakt mehr gehabt. Ich habe jedoch das Gefühl, dass ich mit bestimmten Personen wieder in Kontakt treten könnte und hoffe, dass die derzeitige Situation nicht ewig andauern wird.
Wiktorija Romantschuk Wiktorija Romantschuk
Korrespondent: Wie sollen die Ukrainer russische Künstler ukrainischer Herkunft behandeln?
Übrigens habe ich schon früher über internationale Künstler nachgedacht. Es spielt eine wichtige Rolle, ob sich ein Künstler als Ukrainer bezeichnet, aber in Russland arbeitet, oder ob er/sie sich trotz seiner/ihrer ukrainischen Abstammung einer anderen Nation zugehörig fühlt.. Ich glaube an die bewusste Herangehensweise des Individuums, wenn der Künstler unmittelbar seinen Platz in der Welt kennt. In seinen Werken zeigt der Autor, dass er liebt und verteidigt, unabhängig davon, wo er geboren wurde.
Wie kann man einen Kulturkrieg mit Russland gewinnen?
Wenn ich alles analysiere, was jetzt passiert, denke ich, dass wir alle im gleichen Tempo arbeiten sollten, nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenszeiten. Im Allgemeinen ist mir die Besonderheit aufgefallen, dass wir nur in kritischen Momenten aktiv werden, nur sobald die äußere Bedrohung verschwindet – falten wir unsere Hände: wir beginnen zu vergessen, was wir bekämpft und verteidigt haben. Hätten wir unter normalen Umständen weiter so fruchtbar gearbeitet, wie während des Kriegsrechts, wäre meine Meinung nach der Sieg im Kulturkrieg mit Russland zweifellos garantiert gewesen, ohne dass sich die Ereignisse im Donbass im Jahr 2014 wiederholen hätten.
Haben Sie Bekannte bei den Streitkräften der Ukraine?
Natürlich ist das sowohl die tägliche Freude an dem, was sie schreiben, als auch die Aufregung, wenn sie es nicht tun. Vor den Ereignissen von 2014 waren viele meiner Bekannten vom Maidan Philosophen, Journalisten, Schriftsteller, aber jetzt sind sie alle Militärangehörige. Damals entschieden sich viele, die Ukraine an der Front zu verteidigen, und tragen bis heute ihre Uniform. Unglaublich interessante Tatsache: Ich habe seit dem 14. Februar eine weitere militärische Bekanntschaft. Er ist ein Model, sein Name ist Severyn. Ich kann immer noch nicht daran glauben, dass ich ihn nicht auf einem Laufsteg, sondern in militärischen Positionen sehe; ich bin sehr stolz darauf, so tapfere Freunde zu haben!“ Korrespondent: „Welche Ratschläge würden Sie anderen Künstlern gerne geben?“ Wiktorija Romantschuk: Man sollte versuchen, seinen gesungen Menschenverstand nicht zu verlieren und auf seinegeistige Gesundheit zu achten. Man muss spüren und w, was um uns herum passiert, und die Momente für die zukünftigen Generationen festhalten.
Wir befinden uns derzeit an einem Wendepunkt der Geschichte, daher ist es wichtig, die Ereignisse festzuhalten: Wir müssen uns an die Ereignisse erinnern, damit wir sie nicht nach einiger Zeit wieder vergessen.
Wie hat der Krieg Ihr Leben und Ihre Arbeit beeinflusst?
Ich kann sagen, dass ich, wie alle Menschen, mit einem Zustand der Verzweiflung und Depression konfrontiert war. Einen Monat vor dem Krieg gingen mein Mann und ich in Warschau spazieren, und ich sagte zu ihm: „Alex, ich spüre den Krieg.“ Damals war es sehr beängstigend, aber mir wurde klar, dass dieses Gefühl unvermeidlich war, was ich das Post-Maidan-Syndrom nenne. Damals, in den Jahren 2013-2014, begannen wir mit der entscheidenden Aufgabe, eine nationale Identität aufzubauen. Es hätte mit den Künstlern beginnen und auf alle anderen übergreifen sollen. Doch leider verlief der Prozess nicht nach Plan. Folglich sollte der heutige Krieg den Endpunkt der Revolution der Würde von 2014 bilden. Wenn ich mir mein Werkbetrachte, sehe ich, dass ich schon vor dem Krieg den Zustand gemalt habe, den ich jetzt erlebe. Übrigens, zu meinen Ratschlägen an andere Künstler kann ich hinzufügen: Habt keine Angst, etwas zu schaffen!Ich rate Ihnen, das zu schildern, was Sie denken, was Sie fühlen, die Angst vor sich selbst zu beseitigen. Ich verstehe, dass ich seit 8 Jahren den Krieg male, aber als der wirkliche Krieg in vollem Umfang begann, wollte ich die Menschen an etwas Warmes, etwas Zerbrechliches erinnern, ich möchte sie an Liebe, an friedliche Zeiten erinnern; Also versuche ich jetzt, diese Gefühle zu wiederzugeben.
Wie wird die Zukunft der ukrainischen Kultur nach dem Krieg aussehen?
Wenn wir alle überleben, denke ich, dass wir definitiv nicht mehr die gleichen sein werden wie zuvor und wir werden nie wieder zu unserem früheren Leben zurückkehren, das hoffentlich in neuen Farben erstrahlen wird. Viele Künstler haben auf diese Zeit gewartet, auf die Zeit der Gestaltung des Ukrainismus. In der Vergangenheit haben wir die sowjetische Kultur analysiert, versuchten uns europäischen Traditionen anzuschließen undunsere Vergangenheit zu überdenken, aber jetzt geben wir einen anderen Ton für die weltweite Kunstbewegung an. Sie sehen uns im Ausland, hören uns und bewundern uns. Die ukrainische Kultur wartet nach dem Krieg auf eine neue Wiederbelebung, auf etwas Innovatives – das macht mich glücklich, gibt mir Hoffnung. In diesem Moment habe ich Lust, etwas zu schaffen, auch wenn ich mir früher Sorgen um die Meinung anderer gemacht habe. Jetzt ist meine Angst verschwunden. Ich verstehe, dass es eine Chance ist, einige Mittel zu haben, die man nutzen sollte, denn Kunst ist auch eine Waffe, eine ziemlich mächtige.
„Svoboda dumky“ ist eine Vereinigung von Journalisten, Redakteuren und Lektoren, die sich nach dem Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, Gedanken und Meinungen von modernen Künstlern, Kulturexperten, Freiwilligen, Politikern und Historikern zu unterstützen und zu veröffentlichen. Ursprünglich waren wir der öffentlichen Organisation und den Fond zur Bewahrung des ukrainischen Kulturerbes „SaveCultureUA“ angeschlossen, was unserem ehrenamtlichen Engagement einen Schub gab. Außerdem sind wir stolz darauf, dass wir unsere Partnerschaft mit der UCF (Ukrainische Kulturstiftung) begonnen haben, die Teil des Ministeriums für Kultur und Informationspolitik der Ukraine ist. Zu diesem Zeitpunkt verfügt unser Verein über einzigartige Rechte an Dutzenden von Interviews sowie über umfangreiche Erfahrungen. Darüber hinaus verfügt „Svoboda dumky“ über eine qualifizierte Übersetzungsabteilung, die Textinformationen für internationale Leser auf Englisch, Französisch und Deutsch z bereitstellt. Um diese Tätigkeit fortsetzen zu können, möchten wir unsere Arbeit monetarisieren. Wir beabsichtigen daher, neben der Erstellung von Artikeln, die an die Presse und an Verlage verkauft werden sollen, weiterhin auch Interviews zu führen. Deshalb sind wir derzeit auf der Suche nach Partnern, um unsere Texte zu verbreiten und unsere Präsenz auszuweiten. Wir bieten Ihnen an, die Rechte an unserem Material zu erwerben, um ukrainischen Künstlern und anderen bedeutenden Persönlichkeiten, die über große Erfahrung in diesem Bereich verfügen, Kolumnen zu widmen, die sich auf ihre aktuellen Äußerungen und Meinungen beziehen. Darüber hinaus ermöglicht Ihnen unser Vorschlag, die Sichtweise prominenter Persönlichkeiten auf die ukrainische Kultur und ihre Entwicklung in Kriegszeiten in den Mittelpunkt zu stellen. Derzeit erweitert „Svoboda dumky“ den Kreis der Kontakte und wird eine neue Reihe von Interviews mit Politikern, Musikern und Schriftstellern präsentieren. Wir sind offen für die Zusammenarbeit und hoffen, dass wir dabei Gleichgesinnte finden. Deshalb würden wir uns freuen, von Ihnen zu hören und alle notwendigen Aspekte der eventuellen Kooperation so schnell wie möglich zu besprechen. Facebook & Instagram