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Wien Kunst

Tina Graf. Unser Haus, eine Insel

Tina Graf ist Druckgrafikerin, Radfahrerin und alles, was dazwischen liegt. In Taiwan geboren und in Österreich aufgewachsen, findet man sie oft beim Spazieren in den Bergen, beim Durchqueren halb Europas auf ihrem Fahrrad oder im Atelier, wo sie das aufzeichnet, was sie unterwegs zusammengetragen hat.

Wie geht es dir? Was hast du heute schon gemacht?
Schönen guten Morgen. Mir geht es gut, danke. Ich bin heute in den Dolomiten aufgewacht. Ich habe einen kleinen Spaziergang nach Santa Fosca gemacht, in meinen Muskelkater hinein gespürt, Kaffee zur Aussicht geschlürft und sitze jetzt auf der Loggia, bereit für das Interview.

Ausstellungsansicht. Diplomarbeit "Cycling in circles_Taiwan" Universität für angewandte Kunst Wien, Juni 2024
Ausstellungsansicht. Diplomarbeit „Cycling in circles_Taiwan“ Universität für angewandte Kunst Wien, Juni 2024

Wie genießt man den Sommer nach dem Abschluss an der Universität für angewandte Kunst Wien am besten?
Nach dem Abschluss habe ich erstmal die letzten Projekte abgeschlossen und die Uni-Einrichtungen noch voll ausgekostet. Es war eine Zeit der Leichtigkeit – Bahnenschwimmen im Prater, abendliche Verabredungen – und der Wiener Sommer fühlte sich plötzlich ganz anders an, so voller Möglichkeiten. Es war die perfekte Balance zwischen Entspannung und kreativer Freiheit, bevor ich mich ins nächste Abenteuer stürzte.

Unter dem Titel „Unser Haus, eine Insel“ hältst du deine Reise mit dem Bike durch Taiwan im November 2023 visuell fest. Was war deine Motivation, dieses Projekt zu starten?
Bevor ich mich an der Universität für angewandte Kunst Wien in der Klasse für Zeichnung und Druckgrafik bewarb, verbrachte ich fünf Monate mit meinem Rucksack in Taiwan und lernte die Insel zum ersten Mal für mich als erwachsene Frau kennen. Unterwegs machte ich Tuschezeichnungen in Form eines visuellen Tagebuchs und konnte dank einer wunderbaren Begegnung mit J. in die Welt der Druckgrafik eintauchen. Ich lebte eine Weile am Surferstrand in Taitung mit einem großen Atelier, in dem ich mich austoben konnte. Diese Arbeiten aus meiner ersten Serie „Made in Taiwan“ waren mein Eintrittsticket nach Wien. Am Ende meines Studiums fühlte es sich wie ein runder, poetischer Bogen meiner Biografie an, diese Geschichte wieder aufzugreifen und mich meinem Thema zu widmen. Taiwan mit dem Fahrrad zu entdecken, erlaubt mir, das Leben auf der Insel hautnah zu erleben, mich treiben zu lassen, überall anzuhalten und in das tägliche Leben der Menschen einzutauchen. Jede Pedalumdrehung bringt mich näher an die Wurzeln meiner Herkunft – und an neue, unentdeckte Perspektiven, die ich in meiner Kunst verarbeite.

Wann hast du deine Leidenschaft fürs Radfahren entdeckt?
An einem verregneten Sommerurlaubstag in Salzburg. Um der Stadt des Nieselregens zu entfliehen, habe ich mir 2018 spontan von einem Freund Taschen ausgeliehen und bin ohne Training und Vorbereitung in den Süden geradelt. Der Hoffnung auf Sonne hinterher. Und es gab die Alpe Adria, die Rundbögen von Udine in Rot, Pizza und Gelato als Motivation. Bis ans Meer – wo spätestens jetzt die Liebe feststand – zum Radfahren.

Wie beeinflusst die Nähe zur Natur deine Arbeiten?
Ich brauche einen weiten Himmel, um klar denken zu können. Die Natur gibt mir den offenen Raum, um hinter den eigenen Horizont zu blicken. Die besten Ideen sind die einfachen, die auf natürlichem Weg zu mir kommen – zum Greifen nah, ohne Kopfzerbrechen. In der Natur finde ich die perfekte Plattform, um von den simplen Dingen auszugehen und kreativ zu werden.

Welche Emotionen erlebst du?
Alle. Ich mag es, von einer breiten Palette von Farben und Gefühlen erfüllt zu sein. Das Spektrum ist fein und delikat. Nicht jede Emotion ist angenehm, doch sie alle sind ein Teil von mir.

Welche Rolle spielt die Strecke von Kenting nach Taitung in deiner persönlichen Geschichte?
An dieser Stelle möchte ich aus meinem Buch „Unser Haus, eine Insel“ zitieren: „Die Strecke von Kenting bis nach Taitung kenne ich gut. Mein Großvater spricht es nie laut aus. Ich bin aber stichfest überzeugt. Über sieben Jahre kam ich mindestens drei Mal die Woche in den Genuss, die 119 km genauestens zu studieren. Diese kurvenreiche Bergpassstraße ist seine heimliche Liebe. 132 Links- und 146 Rechtskurven. Ich habe sie alle gezählt. Die beiden Orte in der Ferne sind mein Zuhause.“

Handy Snippets © Tina Graf
Handy Snippet © Tina Graf

Welche Erinnerungen verbindest du mit dieser Reise? Gibt es etwas, woran du gerne zurückdenkst?
Es ist der 23. Dezember 2023. Heute Morgen habe ich mein letztes, frisch gewaschenes weißes Trikot angezogen. Opa hat in den letzten Wochen jeden Tag nach mir gefragt: Wie es mir geht? Ob ich genug zu essen habe, ob ich Geld brauche? Und wann ich nach Hause komme? Ich bin nur noch wenige Kilometer von zu Hause entfernt. Sonnenuntergang, am Meer entlang. So einen Gegenwind habe ich auf der ganzen Reise noch nie gespürt! Wie kann es sein, dass die letzten 36 Kilometer die schwierigsten sind? In der Abenddämmerung auf dem Parkplatz angekommen, können Opa und ich die Tränen des Glücks nicht mehr zurückhalten – Der Mann, der mir auf dem Parkplatz das Radfahren beigebracht hat – Da bin ich wieder!

Was war das Schrägste, das dir in dieser Zeit passiert ist?
Mein Gespräch mit dem Glatzkopf in Schwarz-Weiß. Mein Buch ist frei zugänglich, gerne hier downloaden.

Novella “Unser Haus, eine Insel”
Novella “Unser Haus, eine Insel”. Foto: Lukas Hof

Welche Techniken und Medien verwendest du, um deine Erlebnisse zu dokumentieren?Unterwegs legte ich ein Archiv an, das wegen des Platzmangels auf dem Fahrrad natürlich leicht sein musste. Jeden Tag nahm ich eine Minute meiner Umgebung als Ton auf, fotografierte analog, scannte die Landschaft mit meiner Go-Pro (am Lenkrad montiert), notierte Gespräche, führte Tagebuch. Zu diesem Zeitpunkt wollte ich mich noch nicht durch ein konkretes Ausstellungskonzept einschränken lassen, sondern ein breites Spektrum an Eindrücken und Erfahrungen sammeln. Erst später, zurück in Wien, verband ich diese unterschiedlichen Eindrücke zu einer Serie von Pastellzeichnungen und einer Novelle, die das Erlebte in eine narrative Form goss.

Handy Snippets © Tina Graf
Handy Snippet © Tina Graf

Was hast du als Nächstes geplant?
Ich werde im September mit Eva Yurkova zu einem Artist-in-Residence-Aufenthalt nach Mallorca fahren und in der Druckwerkstatt von Juan Miro arbeiten. Dann habe ich ein Arbeitsstipendium von der Stadt Salzburg für zwei Monate erhalten, wo ich mich mit meiner zweiten Heimat beschäftigen werde. 
Das nächste große Projekt ist für 2025 geplant. Mit meinem Papa werde ich vier Monate lang auf wenigen Quadratmetern leben und mit dem Auto in die Mongolei fahren. Ich habe mich noch nicht auf einen Fokus und eine Perspektive festgelegt, wie ich mich künstlerisch mit diesem Projekt auseinandersetzen möchte. Aber ich weiß: Ich werde. Danach freue ich mich darauf, im Atelier mein Zelt aufzuschlagen und all die Eindrücke in Ruhe zu verarbeiten – das ist schließlich auch eine Art von Abenteuer.

Tina Graf – www.studiotinagraf.com, www.instagram.com/tina_die_graefin/