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Innsbruck Ausstellung

­The Secret Life of Plants and Trees

Die Abschlussausstellung des Büchsenhausen Fellowship-Programms für Kunst und Theorie 2023–24 mit dem Titel The Secret Life of Plants and Trees setzt sich mit wachsenden identitätspolitischen Antagonismen und Verschiebungen unserer Gegenwart auseinander.
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Agil Abdullayev, Kunstpavillon 2024. Foto: Daniel Jarosch
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Hori Izhaki. Foto: Daniel Jarosch

Queere Cruising-Praktiken in repressiven Gesellschaften, die dekoloniale Befragung (post)sowjetischer Identitätswerdung sowie die (Un-)Möglichkeit soziopolitischer Identitätskonstruktionen als arabische:r Jüd:in im Kontext von Israel-Palästina sind zentrale Themen, die sich in den jeweiligen Arbeiten von Agil Abdullayev, Tatiana Fiodorova-Lefter, und Hori Izhaki mithilfe von und im Austausch mit botanischen Akteur:innen entfalten.

In multimedialen, zuweilen immersiv angelegten Rauminstallationen, formulieren die Künstler:innen jeweils ästhetisch wie inhaltlich vielschichtige Reflexionsräume, die vordergründig disparat erscheinen mögen, sich im Zuge der gemeinsamen Vorstellung als Ausstellung jedoch als stimmig zusammengehörende Bestandteile einer kritischen Betrach­tung und (Selbst-)Befragung erweisen. Der Ausstellungstitel spielt dabei mit der Potentialität des Gezeigten, ohne die aus dem Titel ableitbare Erwartung botanischer Geheimnisse, die in den jeweiligen Arbeiten möglicherweise schlummern könnten, erfüllen zu wollen. Vielmehr erweisen sich Pflan­zen, Gräser wie Bäume, als physisch wie rhetorisch präsente und dadurch alle drei Beiträge miteinander verbindende Enti­täten, die Gemeinsamkeiten quer über die unterschiedlichen Themen hinweg erfahrbar machen, aber auch spezifische diskursive Positionen einnehmen und aktiv zur Entfaltung der jeweiligen Narrative beitragen.

Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Hori Izhaki 1
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Hori Izhaki. Foto: Daniel Jarosch

Der erste Beitrag, dem die Besucher:innen beim Betreten der Ausstellung begegnen, stammt von Tatiana Fiodorova-Lefter. Die Künstlerin hat in Büchsenhausen an einem neuen Kapitel ihrer langjährigen Recherche über den postsowjeti­schen Lebensraum und ihrer Suche nach der eigenen Identität gearbeitet. Geboren und aufgewachsen in der Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik, absolvierte sie ihre künstleri­sche Ausbildung erst nach dem Ende der Sowjetunion, in den 2000er Jahren in Chişinău, der Hauptstadt des nunmehr Re­publik Moldau genannten Staates. Diese existenzielle Dichotomie einer Identität, die sich in zwei Lebenswelten – der sowjetischen Modernität und dem neoliberalen Kapitalismus – formierte, sowie ihre (Re-)Konstruktion unter Berücksich­tigung der soziopolitischen Umwälzungen der letzten Jahr­zehnte, stehen im Mittelpunkt des künstlerischen Vorhabens: Fiodorova-Lefter sammelt Fragmente und „verstreute Perlen“ der Erinnerung, um sie in Zeichnungen, Malereien, Ton-, Beton- und Mosaikarbeiten assoziativ zusammenzufügen und in einem dreidimensionalen Raum erfahrbar zu machen. Wesentliche Bestandteile der Installation entwickelten sich in den von der Künstlerin in Büchsenhausen aufgemachten Den­kräumen jenseits des Alltags. Diese führten sie unter anderem zur Realisation der In-Situ-Arbeit Monument of Contemplation auf der Künstler:innenhaus-Terrasse. Die Aktivierung ihres Wohnstudio-Fensters als improvisierter Balkon ermöglichte ihr die Interaktion mit unbekannten Passant:innen – unter anderem mit der Künstlerin Theresa Mauser, die ihr schließ­lich Keramikhandwerkspraxis ermöglichte.

Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Tatiana Fiodorova-Lefter 2
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Tatiana Fiodorova-Lefter. Foto: Daniel Jarosch

Die Installation besteht im Wesentlichen aus zwei Berei­chen: Einerseits aus einer „Umkleidekabine“, die im Inneren als Ausstellungsfläche der persönlichen Erinnerung dient, und andererseits aus einer Vitrine und einer Reihe monochro­mer Bilder, die ein modernistisch-abstraktes Gegengewicht zur narrativen Ebene innerhalb der „Umkleidekabine“ bilden und Teil einer umfassenderen Recherche über Dekolonialität sind. Die „Umkleidekabine“ materialisiert sich als Erinne­rung an eine unwiederbringlich vergangene Zeit, als den Kinderaugen alles größer erschien, als es tatsächlich gebaut war: ein Ort unbekümmerter Leichtigkeit, der sich sowohl im städtischen, als auch im ländlichen Kontext entfaltete. So ist die Außenfläche der „Umkleidekabine“ mit hellblauer Kalk­farbe verputzt, entsprechend dem, wie sie damals wie heute auf dem Land in Moldau zur Gestaltung der Außenwände der Häuser verwendet wird.

Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Tatiana Fiodorova-Lefter. Foto: Daniel Jarosch
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Tatiana Fiodorova-Lefter. Foto: Daniel Jarosch

Beim Betreten der Kabine entpuppt sich diese als Doppel­raum, der in der Mitte von einem leichten, durchscheinenden Vorhang geteilt wird. Die Teilung geht auf die ursprünglichen Erinnerungsräume „Stadt“ und „Dorf“ zurück. Diese überlagern sich jedoch in der individuellen Erinnerung: Ereignisse, die hier oder dort stattgefunden haben, entklei­den sich der ursprünglichen Zugehörigkeit und vermischen sich ebenso wie die Gegenstände, mit denen sie ursprüng­lich kontextuell verbunden waren. Ihre Formen und Farben wandern zwischen den verschiedenen Stationen und stel­len neue Verbindungen her. So spiegelt sich der runde Tisch aus der Kindheit, der nun als verziertes Wandobjekt hängt, im gelben Kreis des Vorhangs. Dieser verweist durch seine gelbe Farbe wiederum auf das „Gold“ der mămăliga, das tra­ditionelle Polenta-Gericht, das aus den Körnern von păpuşoi, der Maispflanze hergestellt wird, die in der Ausstellung gemeinsam mit einer getrockneten Brennnessel-Pflanze gezeigt wird. Mais und Brennnessel sind die beiden Pflan­zen, die symbolisch für die Wiederentdeckung der eigenen Vergangenheit stehen, die durch den neoliberal-kapitalisti­schen Impetus der letzten Jahrzehnte überschrieben wurde. Die Spuren der postsowjetischen Umwälzungen haben sich in die urbane und ländliche Struktur eingeschrieben und frühere modernistische Flagship-Projekte zu Ruinen ver­kommen lassen. Fiodorova-Lefter rekonstruiert solche Ge­bäude malerisch beziehungsweise modellhaft in Keramik, unter anderem das Dach des Romashka/Romaniţa-Hauses, das in den 1980er Jahren als modernistisches Architektur­juwel errichtet wurde und später verfiel – jedoch bis heute das höchste Gebäude in Chişinău darstellt. Die modernisti­sche Form des Daches von Romashka trifft auf die verspielte Ornamentik des Dachrinnen-Fallrohrs ländlicher Prägung; Kacheln eines alten Ofens werden zu Stufen – ein Verweis auf die allgegenwärtigen Eingangsstufen der Häuser in länd­lichen Gebieten der Republik Moldau. Mosaike schließlich verkörpern iterierte Erinnerungsfragmente an eine verloren gegangene Zeit, die für die Persönlichkeitsentwicklung der Künstlerin entscheidend war und nun wiederentdeckt und neu interpretiert, auf den Ruinen der Vergangenheit Neues gedeihen zu lassen vermögen. Die unterschiedlichen Spuren und Formen fasst Fiodorova-Lefter in einem sorgfältig kom­ponierten Künstlerinbuch zusammen, das in Zeichnungen und Malerei Elemente der Präsentation aufgreift und nar­rativ verdichtet. Die Besucher:innen haben beim Durchblät­tern die Möglichkeit, ein Lied aus der Kindheit der Künstlerin anzuhören und sich die Essays aus dem Buch vorlesen zu lassen.

Im Inneren der „Umkleidekabine“ findet sich schließlich auch ein visuelles Zitat: ein Mädchen, das mit Pflanzen han­tiert. Das Bild, das sich auf der Glasfassade des vom Abriss bedrohten Café Guguță¹ befand, wurde von Fiodorova-Lefter in Grautönen nachgemalt –quasi ein Selbstportrait der Künstle­rin, das nicht nur die Fürsorge für die Pflanzen in den Vorder­grund rückt, sondern auch eine visuelle Brücke zum zweiten Teil der Installation schlägt. Denn die performativ entstan­denen, grauen Malereien an der Wand außerhalb der „Umkleidekabine“ entnehmen ihre unterschiedlichen Farbtöne dem Mädchenbild und dekonstruieren es chromatisch – eine formale Bezugnahme auf die Notwendigkeit der Selbstbefra­gung im Zusammenhang mit dem imperativen Prozess der Dekolonisierung und der damit einhergehenden Erkenntnis der Dialektik dieses Prozesses. Wie der janusköpfige Stein in der Vitrine veranschaulicht, hat die Moderne zwei Gesichter – eines, das in die ungeschriebene Zukunft blickt, während das andere zurückschaut und verarbeitet. Dies alles auf der Grundlage einer tragenden Struktur in der Ästhetik eines sozi­alistischen Modernismus, die im Fall von Fiodorova-Lefter das Fundament für ein neues Wachstum bildet. Dieses Wachs­tum manifestiert sich schließlich in den improvisierten „Rei­fentöpfen“ auf der Terrasse des Kunstpavillons, die in den Monaten vor der Eröffnung auf der Terrasse des Künstler:in­nenhauses Büchsenhausen aufgestellt waren: Darin wachsen von der Künstlerin gesäte Mais- und Brennnesselpflanzen als Symbol für die immer wiederkehrende Erneuerung.

Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Agil Abdullayev, Kunstpavillon 2024. Foto: Daniel Jarosch
Ausstellungsansicht The Secret Life of Plants and Trees mit Arbeiten von Agil Abdullayev, Kunstpavillon 2024. Foto: Daniel Jarosch

In Agil Abdullayevs Dreikanal-Video sind Bäume vertraute und Schutz bietende Akteur:innen zugleich. Radicals Between Trees and Dicks, so der Titel der Installation, ist das erste künst­lerische Ergebnis der mehrjähriger Forschungsarbeit über die queere Cruising-Kultur in Aserbaidschan sowie in einigen Nachbarländern in der Kaukasus-Region und in Zentralasien. Der Begriff „Cruising“ bezeichnet die Suche homosexueller Männer nach Sex-Begegnungen in öffentlichen Räumen, wie beispielsweise Parks, oder auch diskret ausgewiesenen priva­ten Räumen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich Abdul­layev auf Reisen begeben und rund dreißig solcher Sex-Spaces in den oben genannten Regionen persönlich aufgesucht und dort eigene Beobachtungen und Erfahrungen Dritter und in In­terviews, Gesprächen und visuellen Aufnahmen festgehalten. Die Recherche befasste sich mit den verschiedenen Facetten des Cruisings in zutiefst repressiven Gesellschaften, in denen Homosexualität nach wie vor stark tabuisiert ist und Men­schen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung massiver Dis­kriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Die Interviews und Gespräche, die Abdullayev mit Akteur:innen in den genannten Regionen geführt hat, bilden, gemeinsam mit deren eigenen Erfahrungen der ersten sexuellen Kontakte in „Darkrooms“², das Narrativ der Videoinstallation. Da die Protagonist:innen zum Teil in Ländern leben, in denen Homosexualität nach wie vor strafrechtlich verfolgt wird – oder in denen Homosexua­lität zwar entkriminalisiert, von der Mehrheitsgesellschaft jedoch geächtet und mitunter Ziel gewalttätiger Übergriffe ist –, entschied sich Abdullayev, die Stimmen der Interviewten zu verfremden beziehungsweise zu anonymisieren. Im Zent­rum der Erzählungen, die in der Videoinstallation in elf Akte aufgeteilt sind, stehen nicht nur erste Erfahrungen mit Crui­sing, sondern auch Erlebnisse „professioneller Cruiser“. Auch weniger übliche Cruising-Orte wie Saunas sowie Situationen, in denen der hedonistische Aspekt mit soziopolitischen Gege­benheiten kollidiert – sei es die erweiterte militärische Mobil­machung in Putins Russland im Herbst 2022, oder die mögliche Diskriminierung aufgrund von Migration – bleiben nicht un­erwähnt. Um diese Erzählungen erfahrbar zu machen, cas­tete Abdullayev während deren Aufenthalts in Büchsenhausen fünf Tanzperformer:innen, die die beschriebenen Szenen cho­reografisch entwickeln und aufführen sollten. Diesen Prozess verband der:die Künstler:in mit einer Recherche zur Filmgeschichte Aserbaidschans. Laut Abdullayev diente das aser­baidschanische Kino während der Sowjetära in erster Linie der Förderung nationaler und moralischer Ideale. Vor allem in den Filmen, die ab den späten 1950er Jahren entstanden – zum Beispiel The Tempestuos Kura (1969) und If Not That One, Then This One (1956) von Huseyn Seyidzadeh, Dada Gorgud (1975) von Tofig Taghizadeh, oder Nesimi (1973) von Hasan Seyidbeyli –, rückten etablierte Familienwerte und Konzepte wie „Männ­lichkeit“ in den Fokus. Abdullayev interessiert sich für Filme jener Zeit, in denen Tanz oder Gruppenchoreografie als Dialog- und Narrationsmittel eingesetzt wurde und in denen auch unkonventionelle Charaktere auftraten, die als negativ kon­notiert galten. Aus solchen Filmen wurden bestimmte Aus­schnitte ausgewählt, die den Performer:innen als Referenz zur Verfügung standen. Die entsprechenden Performances wurden anschließend im minimalistischen Bühnensetting eines blau beleuchteten Dancefloors und im öffentlichen Raum gefilmt.

Nach dem einführenden Abschnitt, in dem Abdullayev selbst deren erste Erfahrungen mit Cruising und Darkrooms im Nachtclub Bassiani in Tbilisi darstellt, führen die elf Akte in die Parks, Saunas oder privaten Party-Räume von Baku, Tbilisi und Almaty. Während sich die Erzählungen auf der sprachlichen Ebene entfalten, wechseln sich auf den drei Pro­jektionsflächen Aufnahmen, die an den jeweiligen Original­schauplätzen entstanden sind, mit den gemeinsam mit den fünf Performer:innen in Innsbruck entwickelten Choreogra­fien ab; sie wechseln die Position, einem Tanz ähnelnd, und tragen durch den Schnitt zur jeweiligen Atmosphäre der Er­zählung bei. Die Kamera wechselt dabei lasziv oder auch im Rhythmus der Musik zwischen Totalen und Gesichtsdetails, „schmiegt“ sich quasi an die Körper der Protagonist:innen heran, um dem verspielten Tanzausdruck eine zusätzliche dy­namische Note zu verleihen.

Im Vorraum der Videoinstallation begegnen die Besucher:in­nen fünf fotografischen Aufnahmen. Vier davon zeigen „sexu­alisierte Orte“, anonyme Parkecken, wo Cruising stattfindet. Das fünfte Bild ist ein Porträt von Paata Sabelashvili – einem Pionier der Cruising-Kultur in Tbilisi, dem Abdullayev mit dessen Präsenz in der Ausstellung eine Hommage widmet.

Hori Izhakis Arbeitsvorhaben während des Fellowships in Büchsenhausen erlangte nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden, gegenüber der zivilen Bevölkerung in Gaza rücksichtslosen militärischen Gegenoffensive der israelischen Regierung, eine tragische Aktualität. Izhaki beschäftigt sich darin mit der Geschichte und Identitätskonstruktion ihrer selbst sowie ihrer eige­nen Familie, die als symptomatisch für arabische Jüd:in­nen erscheint: „Geboren und aufgewachsen in Israel in einer arabisch-jüdischen Familie mit Wurzeln in Marokko und im Irak, hatte ich mein Leben lang mit Fragen der Erinnerung zu kämpfen“, schreibt Izhaki. „Als ich aufwuchs, wurde mir weder gesagt, dass ich Araberin bin, noch wurde die Geschichte meiner Vorfahr:innen in der Schule gelehrt oder war sie Teil des All­gemeinwissens. Um jüdische Israeli:nnen zu sein, integrierten arabische Jüd:innen wie ich ihr eigenes Selbst in den Holocaust und betraten eine virtuelle Erinnerung, in der sie Teil der ge­meinsamen Geschichte des Landes der Überlebenden waren. Da die Araber:innen der Feind waren, gab es für arabische Jüd:in­nen und ihre Geschichte keinen Platz im nationalen Narrativ Is­raels. Nun lebe ich in Europa und werde durch gesellschaftliche Framings dazu eingeladen, meine virtuellen, jüdisch-europäi­schen Wurzeln zu performen. Hier werde ich nicht als Araberin, sondern als Israelin willkommen geheißen – eine modifizierte/gelöschte Araberin, die aufgrund ihres Geburtslands Wurzeln in der europäischen Geschichte erhielt. Dank Israel kann ich nach Deutschland, Österreich und Europa – in die ,Heimatʻ einer vir­tuellen Persona – reisen, dort arbeiten und leben, während ich im Irak, dem Herkunftsland meines Vaters, nicht willkommen bin. Aber so sehr ich auch kulturell modifiziert bin – mein Ge­sicht, meine Haut und meine Haare wurden nicht verändert. Auf den ersten Blick, noch bevor ich meine Persona artikuliere, werde ich nicht als jüdisch-israelische Araberin wahrgenommen, son­dern bin einfach eine Araberin. So erhalte ich gelegentlich einen Einblick in das, was es bedeutet, ein:e Araber:in in Europa zu sein.“³ Damit ist freilich eine rassistische Behandlungsweise gemeint, die schlagartig eingestellt wird, sobald mensch feststellt, dass die Künstlerin eine Israeli ist. Diese Identität erweist sich für Izhaki als Ergebnis einer implantierten Er­innerung, die eng mit dem soziopolitischen Selbstverständ­nis Israels, aber auch mit der Erinnerungskultur in Europa, insbesondere in Deutschland und Österreich, verbunden ist.

Izhakis multimediale Rauminstallation trägt den Titel illi yidri willi ma yidri hafnat ʻadas (Wer weiß, weiß; wer nicht weiß, eine handvoll Linsen / The one who knows, knows and the one who doesn‘t know, a handful of lentils). Es handelt sich dabei um ein irakisches Sprichwort, das verwendet wird, wenn aufgezeigt werden soll, dass sich hinter etwas Trivia­lem etwas Bedeutsames verbirgt. Diesem Sprichwort folgend greift Izhaki das Leitmotiv der (europäischen) Nadelbäume auf, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts vom Jüdischen Na­tionalfonds (JNF) systematisch auf dem für Siedler:innen angekauftem Land in Israel-Palästina zusammen mit ande­ren Baumarten angepflanzt wurden und sich eine Zeit lang aufgrund ihres Aussehens und ihrer Fähigkeit, den Boden vor Erosion zu schützen, großer Beliebtheit erfreuten. Zahl­reiche Parks im heutigen Israel bestehen noch aus Bäumen, die auf diese Bestrebungen des JNF zurückgehen. Hinter der vordergründigen Banalität eines Nadelbaums versteckt sich also eine Siedlungspolitik, die von Anfang an darauf bedacht war, Lebensraum für die eingewanderten Siedler:innen si­cherzustellen.⁴ Darüber hinaus war der Nadelbaum für viele jüdische Einwander:innen aus (Nord-)Europa, Russland oder Nordamerika eine Art Erinnerung an die frühere Heimat und weckte somit ein Gefühl der Vertrautheit am neuen An­siedlungsort. Izhaki greift diese historische Gegebenheit auf, jedoch auf eine ganz andere Art und Weise: Sie entnimmt einen sorgfältig ausgewählten, bereits abgestorbenen Baumstamm aus dem Bachbett des Fallbachs in der Nähe von Innsbruck mit der Absicht, diesen nach der Ausstellung im Kunstpavillon auf nicht-zionistische Weise nach Israel-Palästina zu bringen. Der Baumstamm, der an beiden Enden noch Wurzel- bezie­hungsweise Kronenansätze aufweist, „schwebt“ nun in der Mitte des hinteren Raumes im Kunstpavillon über dem mit Zapfen bedeckten Boden und wird hier zum performativen Körper, auf den die Künstlerin die selbst erlittene Identitätszu­schreibung überträgt: Nachdem der Baumstamm von acht in weiß gekleideten Frauen aus dem Bachbett herausgeholt und durch den Wald in die Stadt und dann in den Ausstellungs­raum getragen wurde, verweißte Izhaki die Baumrinde. Die Brüchigkeit, die Narben, die Fragilität, die sich in den unzähli­gen Details bei näherer Betrachtung des Baumkörpers zeigen, vermitteln ein eindringliches Gefühl von Verletzlichkeit und zugleich von unerschütterlichem Aushaltevermögen. Um den schwebenden Baumkörper entfaltet sich eine multimediale Anordnung, die, Erinnerungsprozessen ähnlich, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahrheit, zwischen Erleb­tem und Imaginiertem verschiebt und vermischt. Ana (= ara­bisch: „ich“) materialisiert sich als ein in die Wandstruktur des Kunstpavillons eingefrästes arabisches Fenster, in dessen Mitte eine filigrane Messing-Struktur, die arabischen Buchsta­ben Alif und Nun (= „ich“) andeutend, zwei kleine Wassergefäße trägt, aus dem zarte Tradescantia zebrina-Pflanzen, auch als „the wandering jew“ bekannt, wachsen. Ana verbindet somit jüdische und arabische Identitätsmarker in einer metapho­risch geladenen, performativen In-Situ-Intervention: Mit der Zeit wird die „wandering jew“-Pflanze das arabische „Ich“ überwuchern und schließlich aus dem Blickfeld verschwin­den lassen, während die tragende Struktur, das Arabische, weiterhin da sein wird. Darüber hinaus spielt Ana mit der Idee einer Geschichte, die nie stattgefunden hat – die Ein­schreibung arabischer Architektur- und Alltagstraditionen in die Geschichte Mitteleuropas. Dieser kontemplativen, friedlich anmutenden Anordnung stellt Izhaki in der ge­genüberliegenden Ecke des Raumes eine „Widderherde“ entgegen: Sieben aggressiv anmutende, gehörnte Entitäten scheinen den Raum zu stürmen. Bei näherem Hinsehen er­weisen sich die „Hörner“ als Palmenblätter, die mit weißer Farbe ausgiebig bemalt wurden, sodass diese herunterlief, eintrocknete und die „Widder“ in bärtige Gestalten verwan­delte. Die „Widder“ paraphrasieren die Genesis-Geschichte der Nicht-Opferung des Isaak, mit dem die Künstlerin durch ihren Familiennamen (Izhaki) eine Verbindung herstellt und zugleich auf deren Einwanderungsgeschichte verweist.⁵ Der ironisch anmutende Titel der Arbeit – Nie Widder – kann auch als Kommentar auf die deutsche und österreichische Erinne­rungskultur im Hinblick auf den Holocaust gedeutet werden, der, wie eingangs erwähnt, von der arabisch-stämmigen Fa­milie der Künstlerin als virtuelle Erinnerung internalisiert wurde, obwohl sie nie Teil dessen waren. In der Installation greift Izhaki diesen Umstand vielfach auf. In der 5-Kanal-Videoinstallation verschmilzt die Künstlerin schließlich die verschiedenen Bestandteile und Handlungsebenen zu einer Traumhaft anmutenden, nicht-linearen Erzählung, die tatsächliche und „eingepflanzte“ europäische Erinnerung, die eigene Familiengeschichte, die Geschichte Israels und andere identitätsstiftende Ereignisse ineinander­greifen lässt. Hauptprotagonist:innen sind vier Charaktere: die Araber:in, die Jüd:in, die Europäer:in, sowie der marok­kanische Großvater der Künstlerin mütterlicherseits. Sie finden sich in plötzlich wechselnden Landschaften wieder, wo europäische Umgebungen zu israelischen werden und umgekehrt; wo die Musik der sinfonischen Dichtung Die Moldau von Bedřich Smetana, die – so die Künstlerin – aus der gleichen europäischen Volksliedmelodie wie die israeli­sche Nationalhymne hervorgegangen ist, in eine arabische Interpretation übergeht; wo die Familie der Künstlerin be­dächtig Nadelbaumzapfen in verschiedenen Wäldern in Israel-Palästina sammelt; wo der Baumstamm, getragen von acht Frauen (denn Frauen, so Izhaki, seien in der Lage, sich tiefgreifender Probleme mit Geduld, Fürsorge und Beschei­denheit in ihrem Handeln anzunehmen) seinen Weg aus dem Wald heraus sucht… Dabei reift immer mehr die Einsicht, dass Zeitlichkeit im Hinblick auf Erfahrung relativ ist und wir Menschen die „heilsame Geduld“ der Pflanzen durchaus als vorbildhaft erachten sollten, vor allem wenn es darum geht, tiefgreifende gesellschaftliche aber auch zwischenmenschli­che Verwerfungen zu verarbeiten und zu einem neuen, für alle prosperierenden Miteinander zu gelangen.

Gruppenausstellung: ­The Secret Life of Plants and Trees kuratiert von Andrei Siclodi
Künstler:innen: Agil Abdullayev, Tatiana Fiodorova-Lefter, Hori Izhaki
Ausstellungsdauer: 24.05. – 10.08.2024
Eine Ausstellung des Büchsenhausen Fellowship-Programms für Kunst und Theorie 2023–24.

Adresse und Kontakt:
Künstler:innen Vereinigung Tirol*
Kunstpavillon
Rennweg 8a, 6020 Innsbruck
www.kuveti.at


¹ https://en.wikipedia.org/wiki/Guguță_Café
² Darkrooms sind spärlich beleuchtete Räume für Sexualkontakte überwiegend zwischen homosexuellen Männern. https://de.wikipedia.org/wiki/Darkroom
³ https://www.buchsenhausen.at/fellow/hori-izhaki
⁴ siehe Alon Tal: Pollution in a Promised Land: An Environmental History of Israel, 2002, insbesondere das Kapitel „The Forest’s Many Shades of Green“, 69-111.
⁵ Laut Hori Izhaki bekam ihr Großvater, als er aus dem Irak nach Israel einwanderte, einen neuen, nicht-arabischen Namen, nämlich Izhaki.