Werden wir es schaffen, die liminalen Zustände hinter uns zu lassen und uns als intra-agierende Wesen neue Formen der Gemeinschaft zu erfinden?
An zwei Festivalabenden am 10. und 11. November widmen wir uns unter dem Titel „From Liminal Attraction to Intra-Action“ in der Kulturgarage Seestadt der Soundart und ihrer transdisziplinären Verschmelzung mit Pop, experimenteller Elektronischer Musik, Performance, audiovisueller und Medienkunst.
Als Künstler:innen begrüßen dürfen wir heuer sowohl lokale wie internationale Acts, die das Thema Intra-aktion, aber auch das der liminalen Zwischenstände aufgreifen. Treibende Kräfte aus der heimischen Elektro-Pop Szene sind u.a. Antonia XM und Laikka, aufstrebende Talente aus der Tanzszene Magdalena Forster (AT) und Milena Georgieva (BG). International begeistern der japanische Klangkünstler Asuna, die aus Mexiko stammende Vica Pacheco. Harte Klänge und düstere Klanglandschaften kommen von Rent (AT) und Tot Onyx (JP), während wir uns von den transdisziplinär arbeitenden Künstler:innen Andras_2020 (BR) und Evita Manji (GR) in verträumte Welten entführen lassen.
bile © Vik Bayer 3 Asuna © Hideto Maezawa-3
From liminal attraction to intra-action. Wir verstehen Liminalität nicht als einen feststehenden Zustand, sondern als einen sich ständig verändernden und fluiden Schwellenzustand. Es ist die mittlere Phase eines Prozesses, in der wir unseren ursprünglichen Status nicht mehr innehaben, aber uns noch nicht vollständig an einen neuen angepasst haben. Des Weiteren können aktuelle künstlerische Entwicklungen als lebendige Beispiele für das dienen, was die feministische Philosophin und theoretische Physikerin Karen Barad als „Intra- Action“ bezeichnet hat. Inspiriert von der Quantenphysik geht Barad davon aus, dass alle Objekte und Phänomene auf ko-konstitutive Weise miteinander interagieren, sich ständig austauschen und gegenseitig beeinflussen. Dementsprechend ist nichts grundsätzlich voneinander getrennt. Unsere Körper, Ideen und technischen Apparate interagieren nicht miteinander, sondern sind in ständiger Intra-Aktion miteinander verbunden und existieren und entstehen durch ihre wechselseitigen Beziehungen. Diese Idee scheint nicht nur für experimentelle zeitgenössische künstlerische Praktiken implizit zu sein. Sie ist darüber hinaus äußerst inspirierend und regt zu Diskussionen über Gegenseitigkeit, Kollektivität, Handlungsfähigkeit und das Lebendig-Sein an. Beim Sonic Territories Festival dreht sich alles um das Erforschen unterschiedlicher künstlerischer Perspektiven und die Reise in noch wenig bekannte (Klang-)Gebiete. Das zweitägige Festival am 10. und 11. November 2023 in der Kulturgarage in der Wiener Seestadt präsentiert ein transdisziplinäres Programm von und mit Künstler:innen und Musiker:innen, die mit performativen, theatralischen und filmischen Mitteln arbeiten.
Sonic Territories Festival 2023
FROM LIMINAL ATTRACTION TO INTRA-ACTION
am 10. und 11. November 2023
Tickets Tag 1 (kostenlos): 10. November 2023, hier registrieren
Tickets Tag 2: 11. November 2023, hier erhältlich
2 Evita Manji (c) Spyros Droussiotis Denis Červená © Valentýna Janů @valentynajanu 5
Künstler:innen und Performances: Die Eröffnungsvorstellung des diesjährigen Sonic Territories Festivals ist das neue Theaterexperiment „Falling Sweets / Afternoon Membranophone“ des japanischen transdisziplinären Klangkünstlers Asuna (JP). Spielzeug ersetzt das Tischgedeck und die Instrumente erklingen durch den Akt des Essens und führen zu unerwarteten physischen Erlebnissen.
„Bile“, die jüngste Sound- und Choreographie-Arbeit von Magdalena Forster (AT) und Milena Georgieva (BG), dreht sich um eine geheimnisvolle mythologische Figur, die aus kinetischen und klanglichen Archiven hervorgeht. Die Künstler:innen ließen sich vom griechischen Wort „hèpar“ (Leber) inspirieren, das einst mit Vergnügen in Verbindung gebracht wurde, da man davon ausging, dass sie die Quelle der Seele und der menschlichen Emotionen ist.
Vica Pacheco (MX) ist eine Instrumentenerfinderin und Improvisatorin der neuen Generation. Ihr Live-Set „Animacy“ ist eine Improvisation mit selbstgemachten Keramikinstrumenten: Sechs hydraulische Flöten/Pfeifgefäße und einige Resonatoren bilden ein Klang-Ökosystem, aus dem organischen und eindringliche Klänge ertönen. Ihre vielseitige und energiegeladene Arbeit ist inspiriert von mythologischen Kreuzungen, prähispanischen Technologien und Interaktionen zwischen menschlichem und nicht-menschlichem.
Das Gemeinschaftsprojekt der Medienkünstler:innen Stefan Maier (AT), Aliya Davletova (KZ), Maxim Sharachpov (RU) „_get lamp“ ist eine räumliche XR-Performance. Ausgestattet mit einer „Sound-Laterne“ navigiert die Performance durch eine Klanglandschaft und übersetzt dabei die Wahrnehmung von dem räumlichen Klang in eine sehr körperliches und immersives Gefühl.
Tag 1 in der Kulturgarage kommt mit einem dynamischen Hybrid-Set von Zeynab Kirikou Gueye (CZ) und Denis Červená (CZ) zu einem Abschluss. Voller Liebe, freigesetzter Wut, bewusstseinsbildender und vertrauenerweckender Dynamik, kombiniert „What’s your reference?“ DJ- und Sex-Sirenen-Performance und beleuchtet dabei, wie sich Machtverhältnisse in Tanz- und Musikpraktiken und ihren gemeinsamen Umgebungen manifestieren.
Eine heilige Gesang-Opfergabe, der in Ungarn geborenen und in Paris lebenden Thea Soti (HU), lässt uns in Tag 2 gleiten. Mit digital manipuliertem Sound, menschlicher Stimme und Poesie in verschiedenen Formaten kontextualisiert Thea Soti die gängigen Vorstellungen der menschlichen Stimme neu.
Am zweiten Tag wird auch die Hauptbühne der Kulturgarage mit einer Überraschung eröffnet: einer 7×3 Meter großen LED-Videowand für das audiovisuelle Live-Programm. Hier präsentiert eine der produktivsten Künstlerinnen der hybriden Clubszene Österreichs, Antonia XM (AT), ihre neue EP, begleitet von Live Visuals der Medienkünstlerin Klimentina Li (BG).
Im Atrium der Kulturgarage werden außerdem düster eindringliche Live-Auftritte der lokalen Künstler:innen Sturmherta (AT) und Rent (AT) sowie der internationalen Künstler:innen Tot Onyx (JP) und emme (US) stattfinden.
Ein wiederkehrendes Element in Sturmhertas (AT) Werken ist die starke Verbindung von Klang und Licht, die oft als direkte Übersetzung des einen in das andere zu finden ist. Rent (AT) arbeitet mit experimentellen analogen Sounds, die mit Stock-Voices und düsteren glitch- Ambienten kombiniert werden. Harsche Maschinen und digitale Überreste werden in physische Erfahrung und Dissoziationen überführt.
Tot Onyx (JP) alias Tommi Tokyo, Gründungsmitglied des japanischen Performance-Duos Group A, stellt ihr Solo-Debütalbum „Senno I“ vor, bei dem Körper und Stimme in den Auftritt einbezogen werden und mit allen Erwartungen gebrochen wird.
Abschließend werden im Atrium der Kulturgarage von emme (US) harsche Vocals mit detailverliebtem Sounddesign kombiniert. Ihre düstere intensive Performance erfüllt mit selbst designten Kostümen, Licht- und Choreographie-Konzept jeden Aspekt eines Live- Auftritts und verwandelt dabei den Raum in emmes persönliche Welt. „Heaven Help Me“ ist emmes Solo-Oper, die den Folgen einer von Missbrauch geprägten Beziehung nachgeht.
Nach dem Live-Auftritt von Antonia XM wird das Programm der Hauptbühne mit audiovisuellen Live-Auftritten der in Prag lebenden Martyyna (CZ) und Igor Lorok (CZ) fortgesetzt. Ihre Performance „Written In The Scars“ untergräbt geschickt das Klischee, dass unser Schicksal von den Sternen diktiert wird. Vergangene Gefühle von Wut und Elend verschmelzen zu einer komplexen und stotternden Produktion, in der sich tiefer Gesang mit zitternden Synthesizer-Arrangements vermischen.
Mit experimentellen Klanglandschaften, verträumten Vocals und treibenden elektronischen Beats drängt das österreichische Art Pop Duo Laikka (AT) zunehmend ins internationale Rampenlicht. Ihr neues Album „Bleach“ zeigt neuerlich das Potenzial ihres musikalischen Einfallreichtums.
Andras_2020 (BR) und 3D-Künstler Lukas Becker (DE) bündeln ihre Kräfte wenn Beckers Live- Visuals zu skulpturalen Landschaften verschmelzen, während Andras mit Körper und Stimme den gesamten Raum einnimmt und in einem Akt der Rohheit und Verletzlichkeit die Grenzen zwischen Performer und Publikum durchbricht. Die Show erinnert an Clubs, bleibt aber opernhaft und wechselt zwischen sanfteren Pop-Konzert-Momenten, manischem Rap und Tanz. „Blowhole Live!“ ist, genau wie ihre Musik, eine Ode an kollektive Heilung und Bindung als Mittel zum Überleben.
Das Festival endet mit einem besonderen Highlight: Evita Manji (GR), in Athen ansässige Musiker:in und Sänger:in stellt Zusammenhänge zwischen menschlicher Erfahrung, Klimawandel, Quantenphysik und Tod her. Von Chorgesängen inspiriert und durch durch sorgfältig konstruierte Praxis von Synthese und Sounddesign, erschafft Evita Manji musikalische Welten, die aus sich endlos erweiternden Klangorganismen und formlosen, festen Nichtmaterialien bestehen.
Sonic Territories Festival 2023
FROM LIMINAL ATTRACTION TO INTRA-ACTION
am 10. und 11. November 2023
Tickets Tag 1 (kostenlos): 10. November 2023, hier registrieren
Tickets Tag 2: 11. November 2023, hier erhältlich
Veranstaltungsort: VHS Kulturgarage Seestadt, Am Ostrom-Park 28, 1220 Wien (Anfahrt U2 Aspern Nord / U2 Seestadt)
SONIC TERRITORIES – www.sonic-territories.at
SONIC TERRITORIES kuratiert diverse Veranstaltungsprogramme in Wien. Das jährliche Festival findet an der Schnittstelle von Klang, audiovisueller und transdisziplinärer Kunst sowie experimenteller elektronischer Musik statt. Mit seiner 6. Ausgabe lädt das SONIC TERRITORIES FESTIVAL neugierige Zuhörer:innen und Entdecker:innen multisensorischer Erlebnisse ein, Klang als kritisches Medium zu erkunden und individuell wie kollektiv zu „intra-agieren“.