Im Gegensatz zu einem Puzzle, das sich an bestimmten Stellen zu einem Ganzen zusammenfügen lässt, werden bei Langrehr die Nahtstellen offengelegt, ein vollständig Ganzes ist nicht erreichbar und dadurch die einzelnen Teile Fragmente im Raum. An einer Säule im Ausstellungsraum mäandern einzelne Fotografien unter dem Titel „Modul Ast“. Diese rhizomartige Wucherung, die auf Wiederholungen der einzelnen Teile basiert, suggeriert eine grenzenlose Ausbreitung im Raum. In der Installation die „Kutscherin“ liegt eine Fotografie eines Frauenkörpers eingehüllt in einer Jacke vor uns. Die Ärmel und Hände setzen sich in zwei podestartige Objekte fort und halten die Fäden in der Hand, die mit dem Wandobjekt, einem fotografischen Register von 24 Objekten, verbunden sind. Die fotografierten Objekte sind Alltagsgegenstände: Ein Schuh, eine Kugel, ein Schirm, ein Handschuh, Haare, ein Ast, Klebeband etc. Sie sind Gegenstände des Künstlerinnenarchivs, das Objekte wie Versatzstücke für weitere Arbeiten bereithält.
In der vorher erwähnten Fotoinstallation „Liquid Me“ (2020) finden wir beispielsweise die schwarze Kugel wieder, wie sie aus dem Ärmel eines Sakkos hervortritt und auf das gegenüberliegende, lebensgroße, aus Fragmenten bestehende Selbstporträt zielt, wobei die Kugel den Kopf der Künstlerin ersetzt. Das Gesamte begegnet uns hier als Netz aus Fragmenten und verweist auf das Imaginäre einer Ganzheitlichkeit. Im Sinne des corps morcelé steht der zerstückelte oder fragmentierte Körper der Selbstwahrnehmung dem ganzheitlichen Körperschema als Projektion entgegen, welchem wir zeitlebens nachzujagen versuchen (Jaques Lacan, Spiegelstadium). In Langrehrs künstlerischem Prozess wird das Fragmentarische zum Träger von Bruchstellen erklärt, die im Versuch der Fokussierung verschwimmen und jeglichen Moment der Grenzziehung zu entkoppeln drohen. Das Fragmentarische des weiblichen Körpers wird bei Langrehr einem subversiven Prozess unterzogen und dient zur Befragung (hetero) normativer Einschreibung und ihrer Repräsentationssysteme. Die Versatzstücke in Langrehrs Arbeiten repräsentieren einerseits eine Auswahl vorhandener Realität(en), gleichzeitig entlarven sie, infolge ihres fragmentarischen Charakters, die Utopie einer festgesetzten Wirklichkeit. Langrehrs Körperbilder sind fluide – sie begegnen jeglicher festgeschriebenen Form mit Leerstellen, die es neu zu verschieben gilt. Die Optionen einer Wirklichkeit werden ausgelotet und die Manipulierbarkeit ausprobiert. Was passiert, wenn der Körper als Projektionsfläche beschleunigten Informationsströmen ausgesetzt wird? Wie sich das Selbst zurückerobern?
Über die Künstlerin:
Sigrid Langrehr (*1968 in Salzburg) ist Medienkünstlerin und hat seit 1995 einen Lehrauftrag im Fach „Videokunst“ an der Universität Mozarteum in Salzburg (Klasse Graphik und Neue Medien). Langrehr versucht in ihren Arbeiten in scheinbar starren Systemen Schlupflöcher zu finden. Die Auseinandersetzung mit der Video- und Bildtechnik spielt dabei eine ebenso große Rolle, wie deren Befragung nach Möglichkeiten von Freiräumen technischer Wirklichkeiten und Programmen.
Ausstellungsdauer: 10. Juli bis 28. August 2020
Adresse und Kontakt:
Fünfzigzwanzig Residenzplatz 10
5020 Salzburg
www.5020.info