Wien Kunst

Selma Lindgren im Interview

Selma Lindgren (*1997) ist Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie studierte Szenografie an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Anna Viebrock und schloss ihr Diplom bei Nina von Mechow ab. Erste Theatererfahrungen sammelte sie bei der freien Theaterkompanie Grusomhetens Theater (Oslo).

Sie ist neben Ella Steinach und Xandi Vogler Teil des Bühnen- und Kostümbildnerinnen- Trios Lex Hymer, das seit 2022 eine enge Zusammenarbeit mit dem Regisseur Pablo Lawall wie dem Autor:innenduo Sokola//Spreter verbindet. Nachdem sie mit Polar den Nachwuchswettbewerb am Theater Drachengasse gewonnen hatten, brachten sie „Der Mensch erscheint im Holozän“. Ein Konvservierungsversuch nach Max Frisch und Joseph Haydn in Gelsenkirchen am Musiktheater im Revier auf die Bühne. Kafkas Josefine die Sängerin oder das Volk der Mäuse war 2023 im bat Berlin zu sehen. Im September 2024 hat die mit dem Reinhold Otto Mayer Preis verbundene Uraufführung Der Grund – Eine Verschwindung am Nationaltheater Mannheim Premiere.

Wie geht es dir? Was hast du heute Schönes gemacht?
Super! Ich habe ausgeschlafen und war im Waldbad schwimmen. Später gab es Pommes (nur mit Ketchup, ohne Mayo) Ein Traum!

Wir haben uns bei deiner Diplomarbeitspräsentation „POUFF…! Die größte Zaubershow der Welt aller Zeiten“ kennengelernt. Du hast die Show so spannend angekündigt, dass ich sie mir unbedingt anschauen musste – und sie war großartig! Kannst du den Leuten, die es nicht geschafft haben, erzählen, was es dort zu sehen gab?
Schön, dass du da warst! Die Show fand im Juni im EG Nord des Semperdepots zwischen vier Säulen statt. Ich habe Zaubertricks, Bühnentricks, Musik, Gedichte und Texte miteinander verwoben, sowohl eigene als auch die von anderen Autor:innen.

Die Geschichte geht ungefähr so: Zwei Gespenster haben sich einmal verliebt, doch plötzlich war ihre Liebe weg. Auch einer Zauberin ist einmal die Liebe verpufft, und mit dem Mittel der Zauberkunst untersucht sie, was noch alles verschwinden kann: eine Münze, ein Streichholz, ein Gletscher, Österreich, zwei Pferde verschwinden, ein weißer Hase, Moritz Raban Herzog (der großartige Musiker des Abends, der die Show durchgehend auf Schlagzeug und Keyboard begleitet hat) verschwinden, das Bühnenlicht, das Publikum, das Theater und am Ende verschwindet sie selbst.

Es verschwinden also einerseits konkrete Objekte und Menschen auf der Bühne, andererseits immaterielle Konstrukte wie Länder, Liebe oder „das Theater“, welches ja als konkretes Gebäude, wie auch als flüchtige Kunstform begriffen werden kann. Mich interessiert dabei, ob sich in der Leerstelle etwas finden lässt, und was eine über den Abend zunehmend entleerte Bühne erzählen kann.

Mit anderen Worten: Ich habe, statt auf der Bühne im Laufe eines Abends neue Bilder zu generieren, mit einem Anfangsbild in aller Fülle angefangen und dieses zunehmend reduziert. Ich habe versucht, wenn auch nur für einen kurzen Moment, durch unterschiedliche Verschwinde-Tricks Abwesenheiten herzustellen, um dem ungreifbaren Phänomen des Verschwindens eine Anwesenheit zu geben. Die Verschwinde-Tricks waren manchmal „echte“ Zaubertricks, manchmal ein Bühnentrick wie eine Klappe im Boden oder ein Seilzug, der etwas außer Sicht hisst. Das Verschwinden konnte aber auch nur durch die Behauptung „Weg!“ geschehen oder musikalisch, durch einen Tusch auf dem Schlagzeug.

Foto: Anna Pech

Wie bist du auf die Idee zu dieser Show gekommen und wie hat sich das Konzept im Laufe der Zeit entwickelt?
Die Idee entstand im Herbst 2023 aus der Lust heraus, das Diplom als Möglichkeit zu nutzen, um aus der Akademie der bildenden Künste tatsächlich zu verschwinden. Aus dem Gedankenspiel entstand mein Interesse für Zauberkunst, das mir halb im Ernst, halb im Spaß erschien, als das direkteste Mittel erschien, jemanden oder etwas zum Verschwinden zu bringen.

Zuerst war der Plan, nur selbst zu verschwinden …POUFF! In einer großen Nebelwolke, in Schall und Rauch! Dann bin ich aber durch den Tipp meines Dozenten Henning Nass auf die Erzählsammlung „Verzeichnis einiger Verluste“ von Judith Schalansky gestoßen, in der sie von verloren gegangenen Orten, Tieren, Erinnerungen, Sprachen oder Gedichtfragmenten berichtet. Diese Erzählsammlung wie auch die Gedichte der dänischen Lyrikerin Inger Christensen wurden im Prozess meine Wegbegleiter. Manchmal verstehen wir erst, wenn ein Mensch, Lebensabschnitt, Tier oder Objekt verschwunden ist, was sie uns wirklich bedeutet haben. Zugleich scheint es zu den sonderbaren Eigenschaften des westlichen Menschens zu gehören, Verschwundenes oder Verlorenes oft höher zu bewerten als noch Bestehendes. Ich frage mich, ob etwas oder jemand wirklich verschwinden kann, und was die dafür benötigten Parameter sind. Schalansky und Christensen haben mir den Anstoß gegeben, um über das Phänomen des Verschwindens an sich nachzudenken. Es war befreiend, dass die Idee im Laufe des Prozesses über mich selbst hinausgewachsen ist.

Wie bist du dazu gekommen, das Zaubern zu lernen? Hattest du einen Mentor oder eine Mentor:in?
Ich hatte das große Glück, beim Stammtisch der Wiener Zauberfreunde, das ist ein Verein für Zauberei im 7. Bezirk, Toni Mitev kennengelernt zu haben. Er ist ein großartiger Zauberkünstler, der mir sehr geduldig und großzügig ein paar seiner Tricks verraten hat, ständig mit neuen Ideen kam und unermüdlich Mechanismen für die Tricks mit mir ausgetüftelt hat. Ganz wichtig war auch die gemeinsame Erarbeitung meiner Figur als Zauberin und sein scharfes Auge darauf, wie ich Objekte halte oder zeige, wie ich eine Hand auf unterschiedliche Weisen öffnen kann, wenn etwas verschwunden ist, und wie ich die Aufmerksamkeit des Publikums lenke.

Welches Gefühl möchtest du mit deiner Zaubershow vermitteln?
Die Zaubershow wie auch der Theaterabend tragen die Möglichkeit in sich, mittels der Frage „Was wäre, wenn?“ Für einen bestimmten Zeitraum von kausal-rationalen Denkmustern freizukommen und gemeinsames Spekulieren, Phantasieren und Imaginieren in den Mittelpunkt zu stellen. Ich glaube sogar, dass die Bühnenzauberei das Potential hat, als subversives Werkzeug des Widerstands eingesetzt zu werden. Sie kann neue Identitäten und Diskurse generieren sowie die konfrontative Festgefahrenheit zwischen Macht und Widerstand auf spielerische Art unterminieren.

Was wäre, wenn… das Theater verschwindet? Was wäre, wenn mit einem kurzen Knall auf einmal die FPÖ verschwindet? Die Zauberei stellt für mich einen Befreiungsschlag dar, weil sie, auch wenn nur für einen kurzen Moment, die Komplexität der realen Welt ausklammert und Transformation sichtbar möglich macht.

Wie so oft stellt sich die Frage, ob das, was innerhalb einer Fiktion als real wahrgenommen und erfahren ist, die Realität verändern kann. Ist Veränderung auf diese Art und Weise im Kleinen oder Großen möglich?

Mir war es wichtig, die großen (geo)politischen Themen, die in der Show vorkommen, mit den kleinen individuellen, wie Liebe, Freundschaft, Arbeit oder Älterwerden zu verknüpfen. Das sind Themen, die die meisten von uns auf irgendeine Art beschäftigen. Ich hoffe, dass mein Publikum von dem Bühnengeschehen neugierig gemacht, berührt und unterhalten wird. Ich habe einen großen Glauben an die Kraft von Quatsch, Kitsch und Spiel auf der Bühne. Gleichzeitig will ich die Ernsthaftigkeit mancher Themen dabei nicht verharmlosen.

Was war die größte Herausforderung bei der Vorbereitung und Durchführung der Show
Sicherlich, dass ich so viele Sparten auf einmal umgesetzt habe. Wobei ich an dieser Stelle Roman Berleth, der mich mit seiner Expertise als Theatertechniker und Beleuchter unterstützt hat, und Marc Pierre, der in Show und Proben den Ton gemacht hat, unbedingt erwähnen möchte.

Ich bin sonst für das Bühnen- und Kostümbild verantwortlich. In diesem Fall kamen noch Regie führen, das Stück schreiben, das Schauspiel und der Bau eines funktionalen Theaterraums in einen leeren Ausstellungsraum hinzu. Also die Gestaltung von Zuschauerraum, Technikpult, Portal und Bühnenvorhangs und die Frage, wie die Theatertechnik und der „Schürboden“ händisch funktionieren… Das war aber gleichzeitig das Großartige daran, die Entscheidung über so vieles haben zu dürfen und eine Idee ohne Kompromisse umsetzen zu können. Das Skript zu schreiben ist mir überraschend leichtgefallen. Dafür war es schwierig, gleichzeitig Regie zu führen und selbst auf der Bühne zu stehen. Ich habe Mo und mich immer bei den Proben gefilmt, am Abend die Aufnahme angeschaut, Änderungen notiert, bei der Probe am nächsten Tag eingearbeitet und wieder abgefilmt. So ging das dann gut! Natürlich habe ich aber auch Kolleg:innen und Dozent:innen eingeladen, um Feedback zu geben.

Filmstills. POUFF…! Die größte Zaubershow der Welt aller Zeiten. © Antonia de la Luz Kašik
Photo: Kristina DESKA Nikolić

Außerdem war es eine Herausforderung, zu wissen, wann ich mit einer konzeptuellen Strenge an Entscheidungen rangehe und wann ich vom Konzept abschweifen kann. Wir hatten eigentlich vor, die Show nur einmal zu zeigen, weil ich mich ja nicht zweimal aus der Akademie zum Verschwinden bringen kann. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass wir uns doch nochmal „hergezaubert“ haben, um die Show noch ein zweites Mal zu zeigen.

Gibt es neben der Zauberei noch ein Hobby, dem du gerne nachgehst? Und wie beeinflusst deine Freizeit deine Arbeit?
Ich habe gar nicht so ein festes Hobby, sondern bin eher eine Hobby-Springerin, aber ich hoffe und glaube gerade ziemlich fest daran, dass das Zaubern länger bleiben wird! Ganz oft ist es allerdings eher die Arbeit, die meine Freizeit beeinflusst als andersrum. Das ist aber eigentlich schön, so lerne ich Sachen, auf die ich sonst nie gekommen wäre. Letzten Herbst habe ich mit Lex Hymer Josefine Die Sängerin oder das Volk der Mäuse ausgestattet und stand neben meinen Kolleg:innen selbst auf der Bühne. Dafür habe ich Careless Whisper auf der Blockflöte gelernt (Ich kann jetzt auch zwei Blockflöten durch die Nase gleichzeitig spielen, eines an jedes Nasenloch).

Wie verbringst du deinen Sommer? Hast du besondere Pläne oder Projekte, an denen du arbeitest?
Diesen Sommer arbeite ich bei den Salzburger Festspielen als Ankleiderin. Ich bin in meinem Team für die 135 Statistinnen bei Don Giovanni in der Regie von Romeo Castellucci verantwortlich. Eine sehr aufwändige Oper mit vielen dichtgetakteten Umzügen und Vorgängen auf der Bühne. Es beeindruckt mich immer wieder, wie hunderte von Menschen auf und hinter der Bühne zusammenarbeiten und all ihre Bemühungen und ihre Koordination in einem einzigen Bühnenmoment kulminieren. Dafür liebe ich die darstellende Kunst. Die minutiöse Planung und Vorbereitung im Vorfeld jeder Aufführung ist dabei entscheidend. Jede Szene, jedes Kostüm und jeder Bühnenwechsel sind genau durchgeplant. Nebenbei versuche ich, durch meine überambitionierte Leseliste für den Sommer zu kommen.

Was hast du für dieses Jahr noch geplant?
Ich arbeite eng mit Ella Steinbach und Xandi Vogler in unserer Bühnen- und Kostümbildgruppe Lex Hymer zusammen. Wir sehen die Lex Hymer als eine dreiköpfige Bühnen- und Kostümbildnerin… wie drei Auswüchse, die in einen Strang zusammenfließen. Im September feiert die Uraufführung Der Grund – Eine Verschwindung am Nationaltheater Mannheim Premiere. Dann haben wir zwei Gastspiele von Josefine die Sängerin oder das Volk der Mäuse, am Prager Theaterfestival deutscher Sprache und eines am TD Berlin.

Auf November freue ich mich schon sehr, da beginnt die Konzeption eines neuen Stücks, für das ich mit der Regisseurin Lea Marlen Balzer zusammenarbeite und das im Februar 2025 auf Kampnagel Premiere hat. Ich kann nur so viel verraten: Es wird um Liebe, Vergänglichkeit und den Ötzi gehen, ein bisschen um die Steinzeit und vielleicht auch um Tupperware. Außerdem sind wir gerade im Gespräch über eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung von POUFF…! Die größte Zaubershow der Welt aller Zeiten an einem Wiener Theater. Das wäre toll!

Selma Lindgren – www.instagram.com/selm_alindgren, www.lexhymer.com