IN + EX | situ ist ein choreographischer Beitrag in der Reihe KULTUR RAUM LANDSCHAFT / Baukulturjahr 2021 des Landes Kärnten, in dem unterschiedlichste Künstlerinnen sowie Wissenschafterinnen ihren je eigenen, in der Tradition ihrer Disziplin stehenden, Zugang zu Architektur und Raum präsentieren. In diesem Rahmen versteht sich IN + EX | situ als „dem TANZ Experiment verpflichtete Versuchsanordnung, die die Nähe zu Gedanken aus dem Feld der Architektur sucht“, so die Choreografin.
Das Ich im Außenraum verortet sich. Als Zuseherin im vermeintlich sicheren Zuseherinnen-Raum ist man in gewohnt voyeuristischer Manier sofort gewillt diese Anordnung zu entziffern und ihr ein schablonenartiges „So-ist-die-Welt“ drüber zu stülpen. Doch ehe ich’s mich versehe, bricht ein Element aus, das Zentrum wird destabilisiert, das System verschiebt sich und schafft Leerraum für Neues. Als Zuseher*in bleibt man nicht lange im Außen, sondern wird Teil der Versuchsanordnung, die Andrea K. Schlehwein an historisch vollgesaugten Orten und doch ganz klar aus dem Hier und Jetzt der unmittelbaren Beiläufigkeit entstehen lässt. Sie transformieren zu Räumen, die trotz ihrer überwältigenden Geschichtsträchtigkeit, die je individuelle Lebensfülle integrieren und respektieren. Man wird dazu eingeladen die Grenzen des Raumes zu überschreiten und die zwischenmenschlichen Barrieren, die gerade in den letzten Monaten so präsent waren, in dieser inkludierenden Komposition aufzulösen.
Der Außenraum im Innenraum im Binnenraum. Ein Einatemzug hebt den Brustkorb von 6 Tänzerinnen, die im Gleichklang atmen, während ich den Atem anhalte. Unita Gay Galiluyo, Andrea Maria Handler, Alina Jacobs, Jye Hwei Lin, SeungHwan Lee und WooSang Jeon finden sich trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen, individuellen Räumlichkeit in einem gemeinsamen Gleichgewicht wieder. Sie setzen kraftvoll an und in ihrer Entschiedenheit gleichen sie einem Orkan, der die Entropie herbeisehnt. Doch dann das eigentlich Bemerkenswerte, wenn sie sich am Berührungspunkt, hauchdünn, auf einen sanften Dialog mit der Umgebung einigen. Erneut wird ein inkludierender Raum eröffnet, der sich netzartig von Individuum zu Individuum spannt, Gedankenwelten hereinlässt und sich dadurch, nicht sichtbar, aber spürbar, dehnt. Es ist ein Raum, der die Überschreitung nicht scheut und die Grenzen lediglich als Momentangebot begreift. Genau wie die Tänzerinnen selbst ist der Raum in der Lage sich seinem eigenen und dem gemeinsamen Zentrum zu entziehen. Er darf, sie alle und wir alle dürfen, was uns unsere Wahrnehmungsgewohnheit nicht unmittelbar anbietet: ausbrechen und sich einem produktiven Dekonstruktionswillen hingeben, der eine neue, vorübergehende Ordnung schafft, dessen verbindlichen Mittelpunkt man vergeblich sucht.
Den pathetischen Beigeschmack ob der Schaulust ignorierend, möchte ich an dieser Stelle von einem ästhetischen Befreiungsakt sprechen, der nichts verlangt, doch alles erlaubt. Die Choreographie von Andrea K. Schlehwein ist all das aus nur einer Perspektive und aus allen anderen zusätzlich noch so viel mehr. Sie lädt nicht nur zum Dialog ein, sondern fordert diesen geradezu heraus. In + Ex | situ ist KEINE Erforschung des Raumes, nicht im Sinne eines sezierenden Sich-zu-Eigen-Machens. Es ist viel eher ein konspirierender Tanz auf Augenhöhe, der die Vielstimmigkeit im und mit dem Raum zulässt und die unterdrückende Stabilität von normierenden (Raum-)Ordnungen grinsend herausfordert.
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