Der Akt des Demolierens – das macht die Videoarbeit zum Projekt deutlich – verbindet sich für den Künstler wie für die Betrachter*innen sichtlich mit Spaß. Ganz im Sinne des Niederreißens alter Ordnungen, das wie ein Befreiungsschlag wirken kann, im konkreten Fall der Befreiung von Gegenständen, von Besitztum, welches uns bindet, verpflichtet und einengt. Darüber hinaus geht es auch um die Befreiung von inneren Frustrationen, Stress und angestauter Aggression. Aggressivität ist vermutlich in jedem Menschen zumindest im Keim angelegt – ein Verhaltensmuster, das einerseits zur Abwehr von Gefahr und andererseits zur Gewinnung von Ressourcen dient. Im Kontext von Chiereghins Projekt stellt sich zudem die Frage, ob dieser Grundimpuls in uns nicht auch eine noch tiefere Bedeutung hat. Geht es da nicht auch um den ewigen Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau, von Tod und Geburt, von Erneuerung, also um wesentliche Entwicklungsmerkmale des Lebens und der Menschheit? Es mag sich um eine reine Spekulation handeln, aber vielleicht basiert auch die Naturwissenschaft, d.h. eine der wichtigsten bzw. mächtigsten Errungenschaften der Menschheit letztendlich auf Zerstörung. Um zu erkennen, was die „Welt im Innersten zusammenhält“, genügt uns weder Religion oder Glaube, noch Meditation oder gar Philosophie, sondern wir möchten schlussendlich wie der Apostel Thomas mit unseren Fingern in der Wunde wühlen, um uns der Wahrheit zu vergewissern. Wir Menschen haben das Experiment erfunden und dafür müssen wir des Öfteren Dinge zerstören oder gar Lebewesen töten und sezieren, um unseren Wissensdrang zu stillen. So sehr wir die Natur und ihre Schönheit lieben, so sehr zerstören wir sie, auch um sie zu erkennen.
Abseits dieser Abschweifungen meinerseits, richten sich Pablo Chiereghins Angriffe konkret auf die Dingwelt, auf Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs wie Sessel, Tische, Betten oder Schränke. Das Kaufen und Besitzen von Objekten hat einen ambivalenten Charakter: einerseits gibt es uns Befriedigung, andererseits ist es mit Verpflichtungen sowie Sorgen bezüglich Verwendung und Aufbewahrung verbunden. Dazu werden die Haltbarkeit von Objekten, die Aktualität ihrer Funktionen, die Moden, deren Designs usw. immer flüchtiger, sodass die Spanne zwischen Kaufen und Wegwerfen immer kürzer wird. Diese Tendenz gepaart mit der wachsenden Weltpopulation steigert immer mehr die Ausbeutung von Ressourcen und lässt somit den Fluss der Objekte immer breiter sowie rasanter werden. Also entscheidet sich Pablo Chiereghin diesem ausbeuterisch-zerstörerischen Prozess symbolisch entgegenzuwirken. Indem er Gegenstände zerstört, versucht er uns kathartisch vom Zwang zu befreien Dinge besitzen zu müssen. Das Ablehnen von Besitztum, der Künstler spricht von „disowning“, und die Präsentation sowie Thematisierung dieses Phänomens im Ausstellungskontext sind die Herzstücke des Projekts. Dass „RIOT DESIGN“ in einem ehemaligen Tresor einer mächtigen Bank seine erste Wiener Glanzstunde erfahren hat, bedarf meines Erachtens keiner weiteren Erklärung.
Pablo Chiereghins künstlerischer Praxis lässt sich nach dem bislang Gesagten als aktivistische Sozialkritik begreifen. Immer wieder frage ich mich selbst, wie es gelingen kann, sozialkritische Kunst auszustellen, die womöglich die Finanziers der Ausstellung selbst kritisiert. Woher kommt das „liebe Geld“, das den ganzen Kunstmarkt antreibt, wohl her? Als ehemaliger Mitarbeiter eines Auktionshauses habe ich so manche Vorstellungen bzw. Vermutungen. So erfreuen sich Museen über zahlreiche und betuchte Fördermitglieder ohne allzu pingelig nach dem Ursprung des gespendeten Geldes nachzufragen, wobei allerdings Compliance-Richtlinien so manches regeln dürften. Auch die konsequentesten Künstler*innen werden mehr oder weniger schwach, wenn sie mächtigen Sammler*innen begegnen. Schlussendlich fallen auch institutionelle Förderungen sicherlich nicht vom Himmel, sondern werden von der führenden Politik und dem verwaltenden Beamtentum gewissermaßen abgefärbt. Und gerade an dieser heiklen Stelle setzt Pablo Chiereghin an und verwendet Widersprüche als Ausgangspunkt für seine künstlerischen Ideen. Dank seines Charmes und Witzes schafft er es immer, seine „Ausstellungsgeber“ ein wenig zum Narren zu halten. Ist der Künstler (und in gewissem Sinne auch der Kurator) mitunter nicht eine Art zeitgenössischer Hofnarr, der die Nähe und Gunst der Reichen und Mächtigen benötigt, um in gewissen Grenzen diese auch am besten kritisieren und mahnen zu können? In diesem Zusammenhang behauptet Pablo Chierighin kein „radikaler Denker“ zu sein, sondern an Kompromisse zu glauben. In den meisten Fällen wählt er den Weg einer „consensual partnership“ aus und ich zitiere hier gerne wieder Kuratorin Lisa Ortner-Kreil, die gegenüber dem Künstler Folgendes äußerte: „You use the institution while the institution uses you. There is no winner or loser but both players get a piece of the cake.” Wie dieses Zitat verdeutlicht, beruht im Ausstellungskontext formulierte Kritik am Betriebssystem Kunst stets auch auf einer Art Abkommen zwischen Künstlerin, Kuratorin und ausstellender Institution.² Auch in der Sammlung Friedrichshof Stadtraum konspiriert der Künstler mit dem Kurator und revoltiert gegen die Organisation, die sein Projekt ermöglicht. Konkret abzulesen ist seine Revolte am zerstörten Namensschild der Sammlung Friedrichshof Stadtraum an der Eingangsfassade zum Ausstellungsraum. Die Zerstörung des Schildes ist auf symbolischer Ebene gleichzusetzen mit einem Angriff auf das Wesen der Institution selbst, insbesondere auf deren Erscheinungsbild, deren Corporate Design, sprich deren Repräsentation nach außen hin. Selbstredend entstand aus dieser Aktion ein neues Werk, das Chiereghin schlicht als „Institution Sign“ (2021) betitelte.
Damit gelangen wir zum letzten Aspekt von „RIOT DESIGN“, dem konstruktiven Part, dem des Zusammenfügens und Neuerfindens, der auf den Akt des Demolierens folgt. Für die maximal-invasive Restaurierung verwendet der Künstler Industrie- und Baumaterialien wie etwa farbige Thermopaste, Harze, Schäume und Styroporplatten. Während diese Materialien in der Regel im Verborgenen bleiben, lässt sie Pablo Chiereghin bei seinen Skulpturen deutlich zum Vorschein treten, sodass sie selbst zu wesentlichen Teilen des Designs werden. Damit möchte der Künstler auch einen Tribut an die Handwerker- und Bauarbeiterbranche leisten. Für diese Materialien wählt er zudem auffallende Farben wie etwa Pink oder Türkis aus, die einen gewissen poppigen Trend in der zeitgenössischen Kunst bzw. im zeitgenössischen Design andeuten sollen. Das Wesentliche daran ist aber, dass die Spuren der Gewalt, die „Wunden“ an den Objekten gut sichtbar bleiben. Es sind nämlich gerade diese Spuren, die auf den ganzen Prozess hindeuten und somit im Sinne des spekulativ design den Betrachter zum kritischen Hinterfragen anregen sollen. Es sei auch angemerkt, dass der Künstler Objekte auswählt, die einen sehr geringen bis gar keinen Marktwert haben. Gleichzeitig müssen sie so unpersönlich wie nur möglich erscheinen, d.h. sie dürfen als Massenware nicht den unverkennbaren Charakter einer bestimmten Produktionsfirma aufweisen. Der Grund dafür ist, dass der Künstler, diese Objekte durch seine Art des Re-Designs in eine neue Ebene hebt: vom unpersönlichen und wertlosen Alltagsgegenstand zum außergewöhnlichen, kostbaren Unikat-Kunstwerk, das nicht zuletzt durch die ausstellende Institution als solches legitimiert bzw. zertifiziert wird und unter Umständen in weitere Vertriebssysteme des Kunstmarktes eingeschleust werden kann. So gelangte etwa die Arbeit „Double Chair“ (2020) aufgrund dieser Ausstellung in die kommende Designauktion im Dorotheum. Grundsätzlich vollzieht der Künstler den Prozess des Restaurierens in seinem Atelier abseits von Publikum oder Kameraauge. Den (Wieder)Herstellungsprozess seiner Arbeit „Table“ (2021), für die er einen Tisch vom oberen Stockwerk des Stadtraums in den unteren geworfen und anschließend lustvoll und gründlich weiter zerteilt hat, wird eine fotografische Dokumentation begleiten, nachdem die zerborstene Fassung am Boden des Ausstellungsraumes während eines Teils der Dauer der Schau verharrt haben wird.
Ausstellung: Pablo Chiereghin. Riot design 21/22 kuratiert von Marcello Farabegoli
Dauer der Ausstellung: 10.11.2021 – 25.02.2022
Öffenungszeiten: Dienstag bis Freitag, 14 – 18 Uhr
Adresse und Kontakt:
Sammlung Friedrichshof Stadtraum
Schleifmühlgasse 6/11, 1040 Wien
www.sammlungfriedrichshof.at
Pablo Chiereghin – www.pablochiereghin.com
¹ Die Sammlung wurde in den 1980er Jahren von der Aktions-Analytischen Kommune Otto Muehls zusammengetragen und nach dem Ende der Kommune im Jahr 1990 in eine Genossenschaft eingebracht. In langjähriger Zusammenarbeit mit Hubert Klocker, dem Direktor und Chefkurator der Sammlung, wurde die Sammlung Friedrichshof auch international zunehmend sichtbarer. Sie hat ihren Hauptsitz in Zurndorf, wo sie über eine von Architekt Adolf Krischanitz gestalteten Kunsthalle verfügt. Der Stadtraum im Galerienviertel Schleifmühlgasse ist die Wiener Dépendance der Sammlung Friedrichshof und gleichzeitig auch der Sitz des Estate Otto Muehl. Unabhängig vom Ausstellungsprogramm der Sammlung Friedrichshof in Zurndorf wird hier unter dem Titel „Project“ eine selbstständige Ausstellungsreihe kuratiert, im Rahmen derer „RIOT DESIGN 21/22“ bereits das zehnte Projekt darstellt.
² An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen kleinen Exkurs zu Pablos Chiereghins Arbeit „Mir fehlt das Meer“ (2013) zu machen. Im Sommer 2021, d.h. in der ersten größeren „Entspannungsphase“ der Corona-Pandemie hat der Künstler sehr treffend beinahe ganz Wien mit riesigen Bannern samt der Aufschrift „Mir fehlt das Meer“ tapeziert und somit unser aller kollektives Gefühl bestens getroffen. Die Arbeit entstand aber ursprünglich für KÖRs Projekt „Kunstgastgeber Gemeindebau“ im Jahr 2013. Im Zuge der oben erwähnten Ausstellung „Domenica“ haben wir 2017 ebenfalls auf dem Gebäude der Botschaft von Italien in Wien ein großes Banner mit der Aufschrift „Mir fehlt das Meer“ angebracht. Nach einem ersten Blick konnte man diesen Text so interpretieren, dass die Italiener*innen in Wien damit ihre Sehnsucht nach dem Meer ausdrückten. Da aber die italienische Botschaft ihren Sitz im Palais Metternich hat, könnte man den harmlosen Satz auch als eine Art Seufzer des großen Diplomaten Metternichs (und der österreichischen Monarchisten) interpretieren, im Sinne eines innigsten Wunsches das geliebte Triest wieder zurückhaben zu wollen. Diese weitere Interpretationsmöglichkeit hatten wir aus diplomatischen Gründen nicht geäußert. Eine kluge Journalistin kam ihr dann aber auf die Spur, sodass Pablo Chiereghin und ich als Kurator der Ausstellung dadurch einen kleinen diplomatischen Skandal riskierten…