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Wien Mode

Moulham Obid // SALVAGE

Der visionäre Modedesigner Moulham Obid präsentiert seine bahnbrechende Kollektion "Salvage", die die Grenzen der Mode sprengt und ein Fundament für Gleichheit und Einheit schafft. Seine extravaganten und innovativen Kreationen sind ein Schrei an die Gesellschaft und an jedes Individuum.

Obid appelliert durch seine aus Reststoffen gefertigten Werke an die intrinische Würde jedes Menschen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder sozialem Status. Er betont, dass Vielfalt unsere Welt bereichert und zu ihrer Schönheit beiträgt.

Deine Kollektion trägt den Namen „Salvage“. Was bedeutet „Salvage“ und warum hast du dich dafür entschieden?
Salvage bedeutet ‚gerettet‘ – und dieses Thema zieht sich in der ganzen Kollektion, die sich auf die Harmonie von Kontrasten basiert, durch. Ich habe mit upcycled Materialien wie zum Beispiel Deadstock (Reststoffe) oder Vintage-Kleider gearbeitet, die ich für die Kollektion retten konnte, und dabei Schnitte, Stoffe und Materialen kombiniert, die eigentlich im Kontrast miteinander stehen. Die Message von SALVAGE ist: Harmonie trotz Kontraste – nicht nur im Design, sondern auch zwischen uns Menschen.

Zurzeit werden die Lücken zwischen Menschen – kulturelle Wissenslücken, Kommunikationslücken – immer breiter. Leider. Anstatt dass diese Lücken schrumpfen und wir Fortschritt erleben, werden die Differenzen zwischen uns immer extremer – und das müssen wir retten. Dass wir einander einfach verstehen und miteinander menschlich umgehen, indem wir zusammenkommen und unsere Unterschiedlichkeiten feiern, anstatt uns davor zu verstecken.

Moulham Obid // SALVAGE

Wie steht der Westen im Kontrast zur arabischen Welt?
Hier, obwohl ich in meiner Wohnung seit 3 Jahren lebe, grüßen mich meine Nachbaren teilweise nicht. Im arabischen Raum ist das anders! Da sind die Nachbarn eine Familie und niemand darf hungrig ins Bett gehen. Wenn jemand krank ist, bliebt das ganze Haus bei ihm und pflegt ihm, bis er wieder gesund ist. 

In deiner Kollektion passen die Schnitte, Stoffe und Materialen nicht aufeinander, aber zusammen kreieren sie eine harmonische Kreation.

Das Statement ist, dass wir eine wunderschöne Gesellschaft miteinander bauen können, trotz unserer Differenzen. Die Kollektion zum Großteil ist detaillierte Handarbeit. Wenn die Stoffe so unterschieden sind, ist es mit der Nähmaschine unmachbar, weil die Stoffe dehnen sich anders, sind anders gebaut und gewebt. Die Nähmaschine versteht das nicht und würde auf den Stoffen ausrutschen. Deswegen musste alles mit der Hand fixiert werden: 10 von 16 Outfits sind komplett Handarbeit. In SALVAGE habe ich zum Beispiel Wolle und Tüll kombiniert. Das Konzept war, dass der Tüll aus den Löchern des Pullis explodiert, genau wie unsere Emotionen von Wut, Liebe oder dem Drang nach Freiheit. Dass es so herausragt, rausspringt.

Das Brautkleid der Kollektion besteht auch aus verschiedenen Materialien, Elementen, Schnitten und nimmt Inspirationen von verschiedenen Kulturen: ein Statement, dass wir trotz Verschiedenheiten funktionieren können. Es ist eine Hochzeit der Differenzen. Das Ergebnis war dann auch wunderschön, sehr auffällig und trotzdem harmonisch. Und dieses Zusammenkommen existiert nicht nur zwischen zwei Einheiten, sondern kombiniert viele Individualitäten.

Also du nutzt die falschen Stoffe für die Schnitte?
Kein Stoff, kein Design ist „falsch.“ Etwas falsch zu nennen ist falsch. Aber ich nütze keine Klischeestoffe und breche Konventionen, indem ich die Designs anders als erwartet herstelle. Das Brautkleid war bedruckte Baumwolle, was einen Latexeffekt ergibt. Weder die Baumwolle noch der Latexeffekt sind typisch für ein Brautkleid – und das war Absicht. Aber auch die Outfits der männlichen Models waren untypisch: traditionell feminine Stoffe wie Spitze und Taft wurden in maskuline Outfits integriert. Aber Gender war auch ein Thema im Casting und war auch in der Auswahl der Models präsent.

Gender ist ein Thema, das wir endlich in unserer Gesellschaft akzeptieren sollten. Gender gehört zu Gesellschaft dazu. Die femininen Stoffe zu maskulinen Models zeigen: Es ist alles machbar. Alles ist machbar, egal wie bunt oder anders oder neuartig – es findet eine eigene Schönheit.

Das meine ich: Jeder und seine Sache. Wir sollten einfach Verständnis füreinander haben – und Mut zeigen, die Differenzen zu leben und trotzdem aufeinander zu kommen und miteinander diese Differenzen stolz zu zeigen und zu tragen. Die Schönheit dieser Kontraste zu zelebrieren.

Warum haben die Models am Laufsteg so wütend dreingeschaut?
Ja, das haben mich viele Menschen gefragt. Aber das war natürlich mit Absicht. Weil das Gefühl von Wut in mir zurzeit permanent existiert. Wut ist eine Emotion der Veränderung und des Wunsches nach Freiheit. Momentan habe ich so viele Diskussionen über das, was in der Welt vorgeht, und danach war ich immer so so wütend. Ich habe mich im Spiegel gesehen und meine Augen waren voll mit Wut. Und auch die Menschen, mit denen ich diskutiert habe, haben mir gesagt, sie hätten mich noch nie so blicken gesehen. Diesen Blick haben die Models verkörpert.

Wie haben dich deine persönlichen Erfahrungen, zum Beispiel in der Kindheit, in deinen Designs inspiriert?
Ich bin sehr streng erzogen worden. Das hatte nichts mit Religion oder Kultur zu tun, sondern ich stamme aus einer bekannten, etablierten Familie. In meiner ganzen Kindheit hörte ich „Ja, das darfst du machen. Nein, das darfst du nicht machen.“ Als Kind musste ich auch immer bestimmte Farbe und bestimmte Schnitte tragen. Bunte Farben waren ein No-Go in meiner Kindheit. Alles wurde mir vorgeschrieben: wie ich benehme, „…weil wir gerade im Spotlight sind und alle können dich sehen.“ Das hat mir einfach so viel – ich hatte so wenig Spaß, als ich ein Kind war. Weil ich immer das tun und tragen musste, was mir vorgeschrieben wurde. Was ich anziehe und was ich tue und was ich sage und wie ich sitze und mit wem ich sitze und alles. Und jetzt bist du Modedesigner und hast Spaß an Tüll und an großen Formen und Gedanken und an Dissonanzen und Kontrasten.

Ja, das waren schon immer Themen, die mich seit meiner Kindheit interessiert haben, aber ich wusste nicht, wie ich Zugriff auf diese Kreativität bekommen und was ich damit anfangen konnte.

Moulham Obid // SALVAGE

Wer oder was ist das Label Moulham Obid?
Ich mache Mode für Menschen, die stark sind, die zu sich selber stehen, die selbstbewusst und mutig sind, aber vor allem auch herzlich und warm sind. Meine Klient:innen haben eine ganz eigene Eleganz, die immer selbst-definiert ist. Lieb und stark. Selbstbewusst, warm und herzlich und menschlich. Und vor allem mutig. Deswegen hat die Braut auch die Show eröffnet und nicht – wie gehabt – die Show geschlossen. Sie ist auf der Bühne als Beweis stehen geblieben: gemeinsam sind wir stark und schön. „Look at me,“ sagte sie und steht im Spotlight. „If you want to face something, then you will always find yourself under the spot. You and what you want to face. Have courage to be free.“

Gehen Mut und Freiheit Hand in Hand?
Um frei zu sein, musst du manchmal sehr mutige Entscheidungen treffen. Als ich nach Europa kam, war ich natürlich mit einigen Sachen freier als im MENA (Middle East North Africa) Raum aber ich musste trotzdem sehr mutig sein und die Entscheidung treffen, hier ohne meine Eltern und Geschwister zu ziehen. Emotional zahle ich einen Preis dafür.

Aber man zahlt immer einen Preis für die Freiheit. Und man zahlt genauso einen Preis für die Nicht-Freiheit.

Moulham Obid – www.moulhamobid.com