Die Zeichnung, als eine meiner wichtigsten Ausdrucksformen kam als erste in Dialog mit der Pflanze und sie öffnete die Wahrnehmung wilder Pflanzen aus meiner Umgebung neu zu entdecken. Hier begann die Skizze als Studie des Objektes um die genaue Form und Oberfläche bekannt zu geben. Diese Studien der botanischen Merkmale wurden ein Teil der Erzählungen, welche ich über Wildpflanzen in meinen Arbeiten auf Papier, Stoff und in den Stoffbüchern offenbare. In den Textilbüchern erzähle ich Geschichten über Wildpflanzen. Überlieferungen aus dem Volksmund oder die Signaturenlehre, Sagen und altes Kräuterwissen verschmelzen in Bild und Text auf der handgestickten Baumwolle.
Als ich klein war, lernte ich nähen und sticken von meiner Oma. Dort, auf dem Teppich mit orientalischem Muster in ihrem Arbeitszimmer, durfte ich die Resten an Stoff, Spitzen, Gummibandeln usw. verarbeiten. Manchmal kamen ihre Kundinnen nach der Arbeit vorbei. Meistens Frauen aus dem Dorf, um ihre neue Kleidung auszuprobieren. Ein anderes Mal brachten sie neue Stoffe und besprachen was daraus werden wird.
Ich freute mich sehr auf die neuen Stoffe und schaute mit Aufregung zu als sie ausgepackt wurden. Ab und an schaute die Oma vorbei, um Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen oder sogar etwas kritischer meine Näharbeiten zu prüfen. Sie hat einen stark ausgeprägten Sinn für Ästhetik.
Im Mai wachsen die Herzchen der Capsella bursa-pastoris überall. Oft kommen sie in sehr große Gruppen vor, deswegen wird sie in viele Länder auf der Welt als Neophyt bezeichnet. Jährlich sind bis zu 4 Generationen möglich. Die Pflanze ist einjährig, wobei sie über 60 000 Samen während ihr Lebensdauer produziert. Deswegen wird sie auch als invasiv eingestuft. Trotz der außergewöhnlichen Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten ist das Hirtentäschel in Vergessenheit geraten.
Mit meinen Stoffbüchern über Wildpflanzen möchte ich eben das Interesse an diesem verborgenen Wissen wecken und das Verhalten gegenüber Wildpflanzen problematisieren.
Als ich das Thema NEOPHYTEN in meinem Künstlerbuch Capsella bursa-pastoris erstmal ansprach, wurde mir bewusst, dass sich unsere Wege langfristig kreuzen werden. NEOPHYTEN sind die Immigranten. Als solche werden Pflanzen bezeichnet, welche nach 1492 bewusst oder unbewusst den Atlantik überquert haben. Trotz ihre vielen Nutzungsmöglichkeiten sind sie bei vielen Botanikern unbeliebt und ungewünscht, weil sie sich sehr stark ausbreiten.
Mit den gesammelten Pflanzenteilen, färbe ich das Garn und die Baumwolle und besticke Sie mit Arbeiten mit Text, Linie und Form. Zunächst arbeite ich mit der Kanadischen Goldrute (Solidago canadensis) und mit der Riesen-Goldrute (Solidago gigantea). Beide aus Nordamerika stammende Pflanzen tauchen in großer Menge bei uns auf.
Sie wurden von den Indianern Nordamerikas als Heil- und Färberpflanzen genutzt. Hier werden sie beschuldigt, den Lebensraum der einheimischen Goldrute zu erobern.
Die goldgelben Solidago, die ich in Tulln, bei der Donau entdeckte und die strahlende aber vergängliche Farbe die sie ergeben und die Geschichte über die Goldrute in einem Topf zu werfen waren die Ausgangspunkte dazu genau mit den Goldruten zu beginnen.
Im Entwicklungsprozess dieses Projektes möchte ich weitere Fragen stellen und NEOPHYTEN, welche sich hier einquartiert haben, Beziehungsweise nicht mehr als solche in Betracht genommen werden ansprechen. Warum werden Wildpflanzen nicht genutzt anstatt vernichtet zu werden?
Katya Dimova – www.katyadimova.com