Was war die Inspiration für diese Ausstellung und wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen den Kuratoren?
Die Idee zur Ausstellung ist relativ spontan bei einem Scheiterhaufen im Café Diglas entstanden. Wir haben viel über das Thema der Selbstoptimierung gesprochen und beobachtet, dass wir uns eigentlich konstant selbst in Zaum halten und alles effektiver, produktiver gestalten wollen: vom Ständigen Kalorien zählen bis hin zu Meditations-Apps und makelloser virtueller Präsentation nach Außen, haben wir uns in vielen Belangen zu einer gewissen Selbstausbeutung verdammt gefühlt. Das sind ja keine neuen Dinge und wahrscheinlich fühlen viele diesen Druck.
Aus dem Grund haben wir uns die Frage gestellt, wo die Zeiten sind, als man sich, wie in der Antike, noch ein optimal erfülltes Dasein als ein Leben ohne Arbeit, mit einer Handvoll Weintrauben auf der Liege in der Therme vorstellte? Ähnliche Ideen gab es ja auch zu späteren Zeitpunkten, als man von fliegenden Autos und Robotern träumte, die die Menschen von jeglichem Mühsal befreien und einzig die Kunst des Müßiggangs auf der Tagesordnung steht. Diese Überlegungen mögen ja alle unglaublich naiv klingen, aber warum ist uns diese Naivität abhandengekommen? Warum können wir uns keine Alternativen mehr zu unserem jetzigen System vorstellen? Diese Fragen haben uns dann länger beschäftigt und so sind wir auf die Idee zu SPECULATIVE SPECULUM gekommen.
Theorien gibt es ja dazu mehr als genug, aber uns hat der Gedanke angetrieben, dass Kunst vielleicht Möglichkeiten bietet, die eventuell Theoretiker*innen oder Philosoph*innen verborgen bleiben. Hier kann man es sich leisten, auch mal unpräzise Aussagen zu treffen, vage Behauptungen in den Raum zu werfen und damit auch eventuell mal falsch zu liegen. Das ist eine Freiheit, die man sich in der Kunst erlauben kann und eine der großen Stärken die wir nutzen wollten.
Dass wir dies dann gemeinsam auf die Beine gestellt haben, hat sich daraufhin einfach natürlich ergeben. Wir hatten beide die Naivität und den Elan, so ein Projekt privat zu realisieren. Irgendwie haben wir dann gesagt, wir ziehen das durch, egal wie viele Schulden und Probleme man sich damit am Ende anhäuft. Es schon erstaunlich, was alles möglich ist, wenn man einfach stur genug dran bleibt und offensichtlich funktioniert das mit dem „beim Universum bestellen“ doch ab und zu. Vielleicht braucht es bei solchen Projekten einfach ein Fünkchen Esoterik.
Wie habt ihr die Künstler:innen und Kunstwerke für die Ausstellung ausgewählt?
Livia: Sämtliche Werke der Künstlerinnen wurden anhand einer thematischen Nähe ausgewählt, ohne direkt deskriptiv wirken zu wollen. Dabei war es uns vor allem wichtig, auch internationale Positionen einzuladen, die man hier noch nicht in Wien gesehen hat. Wenn man sich mit einem Thema wie diesem beschäftigt, weiß man ja auch, welche österreichischen Künstlerinnen sich damit beschäftigen. Wir wollten hier auch einen frischen Wind reinbringen und daher haben wir einerseits in Wien basierte Künstler:innen, wie Andreas Werner, Chin Tsao oder adO/Aptive eingeladen und andererseits eben auch versucht, einen internationalen Dialog zu schaffen, der durch die Arbeiten von Isabelle Andriessen und Tim Enthoven ermöglicht wurde.
Kai: Man hat natürlich immer ein bisschen ein Archiv an Leuten, die man interessant findet. Mir persönlich war es wichtig, der Ausstellung einen gewissen spielerischen Charakter zu geben und die Narrative der Ausstellung überlappen zu lassen. Vielleicht keinen zu strengen Konzeptcharakter heraushängen zu lassen, bei dem man eine Themenausstellung macht und die ersten 5 Positionen hineinwirft, von denen man weiß, dass sie sich mit dem Thema XY beschäftigen. Alles war ein bisschen eine Abwägungssache und zB adO/Aptive wurde bewusst eingeladen, die bestehenden Arbeiten noch einmal weiter zu interpretieren und ein Script für ein interaktives (Theater/Performance)Stück zu entwickeln. Nicht alle Arbeiten sind von Anfang an thematisch oder auch formal ersichtlich. Die Ausstellung ist mehr wie eine aufbauende Geschichte zu verstehen.
Unterbewusst haben wir anscheinend auch nach der Farbe des Sofas im Ausstellungsraum ausgewählt. Ich war ziemlich erschrocken darüber, als dann alle Werke im Raum standen und diese so gut zueinander passten. Das ist ein ganz merkwürdiges Gefühl, – so ähnlich wie zu Freunden zu kommen, die ihr Bücherregal nach Farbe geordnet haben und man sich nicht sicher ist, ob das jetzt gut oder befremdlich ist.
Ausstellungsansicht, SPECUALTIVE SPECULUM, Galerie Raum mit Licht, 2023. Foto: Jorit Aust Ausstellungsansicht, SPECUALTIVE SPECULUM, Galerie Raum mit Licht, 2023. Foto: Jorit Aust
Wie wichtig ist es für Kunstausstellungen, politische und soziale Themen anzusprechen?
Livia: Das ist eine sehr schwierige Frage, da sie auf einen Diskurs innerhalb der Kunst abspielt, der uns schon seit einigen Jahren beschäftigt und sich in der gegenwärtigen Kunstlandschaft in jedem Fall widerspiegelt. Für mich persönlich war es immer wichtig, politische und soziale Themen durch Kunstausstellungen anzusprechen. Mein erster eigener Beitrag zur Kunst war aus diesem Grund auch durch die von Helena Gabriel-Oiwoh und mir gegründete Initiative unsichtbar – gegen sexualisierte Gewalt. Im Zuge von unsichtbar habe in einerseits eine große Ausstellung im März 2022 bei Never at Home kuratiert und andererseits auch einen kleinen Raum auf der Parallel 2022 bespielt.
Schon als ich die Initiative gegründet habe, war mir klar, dass ich durch die von mir kuratierten Ausstellungen einen gesellschaftlich relevanten Beitrag leisten möchte und zumindest einen Ort zu schaffen versuche, wo Diskurse Platz haben und an eine breitere Öffentlichkeit kommen. Mittlerweile habe ich mich als künstlerische Leitung von unsichtbar zurückgezogen, um an anderen Projekten wie eben SPECUALTIVE SPECULUM zu arbeiten. Meine „Roots“ habe ich aber dennoch nicht ganz verloren.
Bei einer Frage wie dieser, muss ich aber trotzdem sagen, dass ich es sehr schade finde, wenn zugunsten politischer, sozialer oder gesellschaftskritischer Themen, die Kunst in ihrer Qualität nachlässt. Ich beobachte derzeit eine sehr starke Orientierung an gesellschaftskritischen Themen in der Kunstlandschaft – was in jedem Fall wichtig ist – und finde es hierbei aber auch sehr wichtig, auch immer noch den Gedanken von „qualitätvoller Kunst“ mitzudenken und nicht alles ungefragt zu akzeptieren, eben weil es einen gegenwärtigen politischen Diskurs anspricht. Das mag jetzt vielleicht etwas harsch klingen, aber ich denke nicht, dass es die alleinige Aufgabe, bzw. die Hauptaufgabe der Kunst ist, die Welt „zu verbessern“ und demnach müssen auch Kunstwerke nicht politisch sein. Dennoch glaube ich, dass Kunst einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann und finde es daher auch schön und wichtig, wenn sie dies auch tut.
Kai: Wichtiger als soziale Themen künstlerisch zu behandeln, ist die sozialen Umstände aktiv zu ändern. (Bildende) Kunst, die thematisch etwas anspricht ist mir weniger wichtig als Künstler*innen auszuwählen, die unterschiedliche gesellschaftliche Hintergründe haben. Das betrifft weniger die Künstler*innen selbst als die Institutionen, die diese ausstellen.
Das ist sicher auch noch kein wirklich gutes Modell, aber das Einzige, mit dem die Kunstwelt leben kann, ohne Schaden zu nehmen oder sich selbst hinterfragen zu müssen.
Was politische Themen in Kunstwerken angeht, bin ich kritisch. Gesellschaftliche Themen, die in diesem Moment relevant sind, können Erzählungen unglaublich bereichern und eine zusätzliche Tiefe geben. Kunst, die sich dieser Techniken bedient, kann großartig sein, allerdings ist Kunst im Umkehrschluss nicht großartig, weil sie sich dieser Themen bedient. Und ich denke, hier stellen wir uns des Öfteren selbst ein Bein, da durch eine politische Moral oft das Werk selbst übertönt und zu einer gewissen Weiße fast schon einer Kritik immun wird. In der Kunst muss man sich sowieso schon viel zu oft die Frage stellen, wofür das nun gut sein soll und welche halbwegs objektiven Bewertungsmaßstäbe wir anwenden können – genau das macht es oft auch menschlich und interessant. „Gesellschaftliche Relevanz“ macht eine Antwort darauf zu einfach. Und ich denke, hier darf man auch polemisch sagen, dass dies momentan ein starker Trend ist. Kann man überhaupt noch irgendwo einreichen, ohne etwas politisch Relevantes zu machen? Ich denke, man könnte die Frage nach der Autonomie der Kunst durchaus wieder aufleben lassen.
Welche Botschaft möchtet ihr vermitteln?
Kai: Ich denke nicht, dass eine „Moral der G´schicht“ in SPECULATIVE SPECULUM gibt. Für uns war das mehr eine Möglichkeit eine Bühne zu eröffnen, vielleicht alte Themen auch wieder aufleben zu lassen. Gerade die Theorien auf die wir uns beziehen, sind in ihren Botschaften und Aussagen schon ein alter Hut. Fukuyamas „Ende der Geschichte“ ist aus den frühen 90ern und Mark Fisher, auf den sich ebenso vieles in der Ausstellung bezieht, ist längst zu einem pop-kultureren Meme geworden.
Wir denken, dass diese Überlegungen einer Endzeit allerdings durchaus noch aktuell sind und immer wieder aufkommen. Wie oft können wir eine Apokalypse ankündigen und ein Ende verkünden? Können wir auf Ewigkeiten in der „late stage“ des Kapitalismus leben und ist laut Arthur Danto die Kunst nicht sowieso auch schon mal zugrunde gegangen? Dieses immer verzögerten Enden fanden wir faszinierend und war schlußendlich auch Anlass, dies als Ausgangspunkt unserer Ausstellung herzunehmen.
Livia: Es ist uns klar, dass wir selbst keine Antworten auf die gegenwärtige Systemfrustration haben und uns nicht als Expert:innen über unsere mögliche Zukunft aufspielen können, geschweige denn wollen. Wir haben die Ausstellung als „politisches Stück ohne Politik“ tituliert. Das bedeutet natürlich, dass wir in gewisser Weise mit Worthülsen arbeiten. Freilich hat die Ausstellung eine politische Komponente, aber sie hat nicht den Anspruch eine politische Wirkkraft zu haben. Politik wird zu einem Theaterstück auf der Bühne. Ich denke, diese Abgrenzung ist wichtig.
Welche Rolle spielen Kunst und Kultur bei der Schaffung einer alternativen Realität oder einer imaginierten Utopie?
Livia: Wie schon bei der Frage über politische und soziale Themen innerhalb der Kunst, kann ich auch hier noch einmal betonen, dass Kunst nach meinem Verständnis die starke Ressource in sich trägt, etwas zu visualisieren und ein Instrument der Re-Imagination darstellt. Kunst und Kultur betrifft ja nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Film, Theater, Musik oder Literatur – ein breites Spektrum, das die Menschen schon immer inspiriert hat und hoffentlich auch noch lange inspirieren wird. Unsere Vorstellungskraft von etwas anderem, als dem Gewohnten, wird angeregt und motiviert im besten Fall auch dazu, das Gegebene zu überdenken und mögliche Alternativen zu überlegen.
Kai: Auch wenn der/die Künstler*in als Visionär*in eine etwas veraltete Vorstellung ist, glaube ich, dass es einen Funken Wahrheit in sich tragen kann. Nicht unbedingt als Klischee des prophetischen Genius, aber vielleicht einfach durch die Verarbeitung unserer Welt in etwas Wunderliches. Vieles geschieht einfach per Zufall, indem mehrere Dinge kombiniert werden und etwas schaffen, dass uns dann plötzlich ungeahnte Perspektiven eröffnet.
Ausstellungsansicht, SPECUALTIVE SPECULUM, Galerie Raum mit Licht, 2023. Foto: Jorit Aust Ausstellungsansicht, SPECUALTIVE SPECULUM, Galerie Raum mit Licht, 2023. Foto: Jorit Aust
Welche Herausforderungen gab es bei der Planung und Organisation der Ausstellung?
Livia: Für mich war die größte Herausforderung mit Sicherheit der Druck, die finanziellen Mittel für die Ausstellung auftreiben. Da wir auch internationale Positionen zeigen, die von Amsterdam nach Wien transportiert werden mussten, war mir von Beginn an klar, dass SPECUALTIVE SPECULUM einen finanziellen Aufwand bedeutet, den ich noch nie zuvor stemmen musste. Eine weitere große Herausforderung stellte auch das Zeitmanagement dar. Mit meiner Anstellung bei Galerie Eva Presenhuber und meiner selbstständigen Tätigkeit für Collectors Agenda sowie universitäre Verpflichtungen aufgrund meines Studiums, war die Organisation und das Management dieser Ausstellung in jedem Fall eine Herausforderung. Am Ende des Tages arbeite ich aber auch einfach sehr gerne viel und daher hat auch alles super funktioniert. Dennoch waren mit Sicherheit der ein oder andere Tag dabei, an dem ich dachte, „ich schaff es nicht mehr“. Auch diese Momente gehören dazu, wenn man verhältnismäßig größere Ausstellungen selbstständig organisiert.
Kai: Plötzlich wird aus einem Kaffeehausgespräch tatsächlich Realität und dann heißt es, einige tausend Euro aus der Luft zu manifestieren und sich zwischen Loan Agreements, Logistik-Zoomcalls und zweifelnden Blicken in die Brieftasche zu hangeln. Aber schlussendlich geht sich dann alles irgendwie aus und man ist im Nachhinein erstaunt, wie man das hinbekommen hat. Es war definitiv nicht einfach und es ist immer wieder erstaunlich, wie ein paar Skulpturen und Bildchen an der Wand einen am Burn-out entlangschrammen lassen können. Hier kann man wohl mit dem Standardzitat das Karl Valentin in den Mund gelegt wurde, schließen: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“
Könnt ihr euch an euren letzten Traum erinnern?
Livia: Ich habe generell sehr oft Alpträume und seit Beginn der Ausstellungsplanung verweben sich diese mit den Gedanken und Sorgen, die ich mir zur Ausstellung mache. Der letzte Traum, an den ich mich erinnere, spielte in den Räumlichkeiten der Ausstellung. Wir hatten irgendein Event und Leute sind nach und nach gekommen und gegangen. Plötzlich kam eine Person in die Ausstellung, die vorgegeben hat, mir beim Wegräumen der Stühle, die wir für das Event brauchten, zu helfen. Natürlich habe ich ihr Angebot dankend angeboten, jedoch schnell bereut. Die Person hat im Zuge des Aufräumens begonnen die Sessel wild durch den Raum zu schmeißen und als ich sie etwas panisch angeschrien habe, dies bitte zu unterlassen, wurde sie extrem wütend und hat begonnen alle Kunstwerke zu zerstören. Um mich sind alle Leute stillgestanden und keiner ist eingeschritten. Ich bin vollkommen in Tränen ausgebrochen und habe versucht, sie irgendwie davon abzuhalten die Ausstellung zu zerstören, allerdings ohne Erfolg. Schließlich bin ich (filmreif) schweißgebadet und komplett außer Atem aufgewacht und war SEHR froh, dass das nur ein Traum war. Was mein Unterbewusstsein damit sagen will… keine Ahnung.
Kai: Leider nicht, aber ich werde die „Luzides Träumen“ Anleitung, welche wir für die Ausstellungspublikation zusammengefasst haben, nun tatsächlich ausgiebig testen.
Livia Klein – www.instagram.com/liviaklein_/
Kai Philip Trausenegger – www.kaitrausenegger.com, www.instagram.com/kai.philip_trausenegger/