Was hat dich zu dem Ausstellungskonzept „Your Luxury Lifestyle is Pigeonpoop“ bewegt?
Angefangen hat alles damit, dass ich auf Besuch zu Hause in Kärnten war. Im Besitz meiner Familie ist immer noch ein kleiner Hof, auf dem auch Hühner leben. Als ich dann am Abend an der Reihe war mit dem Einsammeln der Eier, fiel mein Augenmerk zum ersten Mal auf die Hinterlassenschaften von ihnen. Die Formen und Farben kamen mir erstaunlich bekannt vor. Einige Tage später, zurück in meinem Studio, fiel mir dann die Ähnlichkeit mit Süßwasserperlen auf. Von da an hat meine Forschung zu dem Konzept begonnen. Dass in dem Ganzen ein interessantes Projekt liegen könnte, war mir anfangs nicht ganz bewusst. Am besten gefallen hat mir die Vorstellung, dass jemand viel Geld für so etwas wie Perlen aus Hühnerscheiße ausgeben würde, nur weil diese einzigartig wären. Die Absurdität in dem Gedanken bringt mich noch heute zum Lächeln.
Nach einiger Recherche war mir klar, dass ich ein wichtiges soziales und inhaltliches Thema in einem unkonventionellen Konzept aufarbeiten wollte. Durch meine Erfahrung weiß ich mittlerweile, dass Inhalte leichter im menschlichen Gedächtnis bleiben, wenn diese ungewöhnlich, aber ästhetisch aussehen, einen Hauch von Selbstironie besitzen und sich kritisch mit Gesellschaftsstrukturen auseinandersetzen. Dabei ist es mir wichtig, das Augenmerk auf gewisse Thematiken zu lenken, welche nicht gleich auf den ersten Blick ersichtlich sind.
Indem ich teure Süßwasserperlen durch wertlose Perlen aus Hühnerlosung, die mit Harz versiegelt worden sind, austausche, gelingt es mir, einen kurzen Moment der Verwirrung auszulösen. Die Bilder sind ansprechend, und doch fühlt es sich nicht ganz richtig an. Ein komisches Gefühl macht sich breit, und genau das fühle ich, wenn ich über strukturelle Probleme nachdenke.
Warum hast du die Taube als Symbol für deine Ausstellung gewählt?
Die Einbeziehung der Taube in das Thema des Luxuslebensstils und in die ökosoziale Gerechtigkeit gibt der Diskussion eine interessante und symbolische Dimension. Tauben, die oft als allgegenwärtige Stadtbewohner betrachtet werden, stehen in einem Gegensatz zur Opulenz dieses Lebensstils. Sie verkörpern aber dennoch entscheidende Aspekte der relativen Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen in der Gesellschaft.
Das Ausstellungskonzept erforscht die Konvergenz von Reichtum, Luxus und der Präsenz von Tauben und verbindet sie zu einer Geschichte, die deren Zusammenhänge aufdeckt.
Als ein ursprünglicher Sport in der Arbeiterklasse hat sich der Taubensport zu einem Zeitvertreib der Elite entwickelt, der durch extravagante Zurschaustellung von Reichtum und Status gekennzeichnet ist. In diesem Bereich geht der Taubensport über den bloßen Wettbewerb hinaus und wird zu einem Symbol für Opulenz und Exklusivität. Inmitten dieser Kulisse sind die Stadttauben ein kontrastreicher, aber integraler Bestandteil der Erzählung, der die Diskrepanz zwischen städtischem Leben und dem Glamour der High Society überbrückt.
Während die Brieftauben in luxuriösen Taubenschlägen gezüchtet werden, bewegen sich ihreGegenstücke in der Stadt mit einem unverwüstlichen Geist durch die belebten Straßen.
Obwohl sie von den Wohlhabenden als Schädlinge angesehen werden, besitzen Stadttauben einen Charme und eine Anpassungsfähigkeit, die sie auszeichnen. Ihre Präsenz in elitären Räumen verleiht ihnen eine unerwartete Authentizität und zeigt die Vielfalt der Lebenserfahrungen. Letztendlich spiegelt die Erzählung das komplizierte Zusammenspiel zwischen Reichtum, Luxus, Stadtleben und ökosozialer Gerechtigkeit wider und trägt so zu einem breit gefächerten Geflecht gesellschaftlicher Dynamiken bei. So werden aus Objekten, die wertlos scheinen, in diesem Kontext Hühnerlosung und Produkte von Luxusmarken inszeniert. Diese sollen ein Gefühl des Begehrens auslösen, die Kunstwerke um jeden Preis besitzen zu müssen. Ab diesem Punkt erscheinen jegliche Preisetiketten an Luxusgütern irrelevant.
Ziel der Ausstellung ist es, Werte neu zu definieren, um einen sozialen Diskurs auf Augenhöhe zu führen, heruntergebrochen auf Tauben. Diese erscheinen mir als perfektes Symbol für dieses Konzept – sie ist Luxus und kein Luxus zugleich.
Welche Reaktionen hast du bisher auf deine Ausstellung erhalten? Ich habe mit vielen Reaktionen gerechnet, eigentlich mit allem, aber überraschenderweise sind es durchgehend positive Reaktionen. Es gab eine Handvoll Besucher in der Ausstellung, die anfangs skeptisch waren. Diese haben sich aber nach einem offenen Gespräch die Skepsis beiseitegelegt. Doch auch kritische Interaktionen freuen mich, da ich es genieße, Fragen zu beantworten, durch die Ausstellung zu führen und einen Raum zu schaffen, in dem man diskutieren kann. Aufklärung ist in dem Fall der beste Weg, um Missverständnissen vorzubeugen.
Gibt es bestimmte Materialien oder Techniken, die du verwendest, um die Umweltproblematik in deiner Kunst darzustellen?
Die Frage nach der Umweltproblematik in der Kunst ist eine, die mich ständig begleitet. Auch im Universitätskontext diskutieren wir oft angeregt über das Thema. Oft verwerfe ich Pläne und Skizzen für Werke, die mir nach der Konzeption doch zu verschwenderisch erscheinen. Der Umgang mit Materialien ist oft sehr lose im textilen Diskurs. Deswegen stelle ich mir selbst immer wieder die Frage, ob es notwendig für den Kontext ist, dass ein Kunstwerk groß sein muss oder ob man den wesentlichen Inhalt mit einfacheren Mitteln darstellen kann. Vielleicht ist es auch möglich, eine ältere Arbeit im Archiv für ein neues Projekt zu recyceln. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mit Häkel- oder Stricktechniken arbeite – diese kann man einfach wieder auflösen und die Garne wiederverwerten. Das spart Ressourcen und natürlich auch einiges an Kosten.
Für ein anderes Projekt habe ich eine Skulptur aus Plastikverpackungen gefertigt, die im Laufe einer einzigen Woche in nur einer Ladenkette gesammelt wurden. Die Mitarbeiter:innen haben die Verpackungen von Online-Retouren der Kunden sorgfältig für mich eingesammelt, damit ich in einem komplizierten Verfahren Fäden aus dem Plastikmüll herstellen konnte.
Welche Bedeutung haben die visuellen Stilmittel?
Das dominanteste visuelle Stilmittel in meiner Kunst sind die Farben. Ich verwende häufig pastellige, aber trotzdem satte Farben, in die man am liebsten versinken will. Mit der Wahl dieser Farbschemen fällt es mir deutlich leichter, ernste Themen zu behandeln. Dadurch werden Menschen nicht gleich abgeschreckt – sie ziehen sie direkt in ihren Bann, und danach wird mithilfe von Produktfotografie, Skulpturen, Tapestries und handgemachten Schmuckstücken das Thema weiterbearbeitet bzw. nähergebracht. Der psychologische Nutzen dieser Farben spielt dabei eine ganz wichtige Rolle: Sie sind weich, verspielt, kitschig, leicht verdaulich oder eben träumerisch und dabei nie zu fordernd. Sie öffnen die Tür für weitaus tiefgreifendere Themen.
Die Taube spielt auch eine Rolle in der JW Anderson Kollektion. Was ist deine Meinung zur „PIGEON CLUTCH BAG“ von JW Anderson?
Lustigerweise ist mir die Tasche bei meinen Recherchen rund um die Taube untergekommen, aber ich habe sie nur am Rande wahrgenommen. Aufgrund dieser Frage habe ich mich ein bisschen intensiver damit beschäftigt und ich muss sagen, dass die Tasche auf eine gewisse Art ironisch aufgeladen ist. Durch meine Arbeit mit dem Thema Luxus und damit, inwiefern wir als Gesellschaft einen Luxusartikel definieren, bringt mich eine Tasche in Form einer Taube für diesen Preis zum Schmunzeln. Besonders deshalb, da viele Menschen eine Abneigung gegenüber der Taube empfinden, sie als Tasche aber ein absolutes Must-have ist. Bei näherer Betrachtung der Bilder fällt mir jedoch auf, dass die Clutch dann doch eher wie ein Projekt wirkt, das noch schnell einen Anstrich vor einer Deadline gebraucht hat. Die harten Farbübergänge, die nicht mit den organischen Formen der Taube harmonieren, stören mein Bewusstsein für Ästhetik dabei am meisten. Aber persönlich freut es mich, dass Tauben endlich den Zuspruch bekommen, den sie verdienen.
Woran arbeitest du gerade? Oder wirst du jetzt einfach den Sommer genießen? Falls du im Urlaub bist, wohin geht es?
Gerade bereite ich einen Lehrplan für kommendes Semester vor, bei dem ich Jugendlichen einer HBLA für Mode (Höhere Bundeslehranstalt für Mode) die Grundlagen von digitalen Techniken im Diskurs von Design, Mode und Bildender Kunst unter Einbezug auf neue Medien und Technologien näherbringen kann.
Weitergeben will ich vor allem, wie Prozessabläufe in der Modebranche in Bezug auf Textildesign funktionieren. Dazu erhebe ich bei mir selbst den Anspruch, ein Verständnis für das Ökosystem unserer Umwelt zu vermitteln, damit zukünftige Modedesigner:innen kritischeres Denken entwickeln. Mein großes Anliegen des Projekts ist es, angehenden Designer:innen und Künstler:innen bei der Entwicklung eigener Fähigkeiten Tools an die Hand zu geben, welche sie individuell einsetzen können.
Zusätzlich strebe ich an, über den Sommer mindestens eine neue Technik für das textile Arbeiten zu lernen, und in diesem Prozess werden mir bestimmt weitere Themen für größere Arbeiten über den Weg laufen. Ich bin froh, dass ich in einer Position bin, in der sich das künstlerische Arbeiten nicht wie Arbeit anfühlt, sondern immer wie etwas, das mir leicht von der Hand geht.
Selina Huss – www.selina-huss.at, www.instagram.com/by_selli/