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Wien Kunst

Interview. Petra Schnakenberg

Die Bühnen- und Kostümbildnerin Petra Schnakenberg (*1994) beschäftigt sich außerhalb ihrer Arbeit im Theaterbereich mit dem Modell als künstlerisches Medium. So baut sie mitunter utopische Stadtmodelle, die unser Zusammenleben in der Stadt reflektieren und durch ihre liebvolle und detailreiche Gestaltung zum sich-darin-verlieren und Träumen anregen.

Wie bist du zum Modellbau gekommen?
Im Rahmen meines Studiums der Bühnengestaltung habe ich jedes Semester Bühnenbildmodelle für verschiedene Stücke gemacht. Für Dokumentationszwecke werden die Modelle noch fotografiert, dann aber meistens weggeschmissen. Manche Kolleg*innen behalten sie noch für ein Jahr, aber im Grunde sind sie bloßer Ballast, gewissermaßen Nutzobjekte. Ich fand das immer sehr schade – ich liebe es, Modelle zu bauen, mich zu vertiefen, Dinge auszuprobieren. Diese Faszination am Modellbau und die Fragestellung, wie ein Modell mehr sein kann als ein Mittel zum Zweck bildeten die Basis für meine intensivere Beschäftigung mit dem Thema. Als ich dann mein Auslandssemester in Paris gemacht habe, wusste ich bereits, dass ich mich mit der Stadt befassen und sie besser kennenlernen möchte. Ich wollte mich mit der brutalistischen Architektur in Paris und den Sozialbauten beschäftigen.

Bühnen- und Kostümbildnerin Petra Schnakenberg
Bühnen- und Kostümbildnerin Petra Schnakenberg

Dort angekommen, habe ich die analoge Fotografie für mich entdeckt und es mir als Ziel gesetzt, jedes Wochenende ein brutalistisches Bauwerk in oder um Paris herum zu fotografieren. Während ich in Paris gelebt habe, fiel mir die Enge in der Stadt auf, und auch wie anstrengend die Stadt manchmal sein kann – trotzdem habe ich es sehr geliebt in Paris zu leben. Parallel dazu hat mich das Buch „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino während meines Studiums immer begleitet, auch in meinem Auslandssemester. Calvinos utopische Stadtbilder hatte ich immer im Hinterkopf und ich begann nach und nach, Paris wie eine Geschichte von Calvino zu sehen. So entstand die Idee für das Modell Olinda, eine Stadt, die wie ein Baumstamm von außen nach innen wächst, mit dem jüngsten und kleinsten im Innern und den ältesten und größten am äußeren Rand. 

Dort angekommen, habe ich die analoge Fotografie für mich entdeckt und es mir als Ziel gesetzt, jedes Wochenende ein brutalistisches Bauwerk in oder um Paris herum zu fotografieren.

Modelle der Stadt Olinda
Modell der Stadt Olinda


Dann kam mir die Idee, selbst Geschichten zu schreiben, die meine Erfahrungen mit der Stadt widerspiegelten. Und so entstand Miriam: in Miriam herrscht wie in Paris eine unglaubliche Enge, die Menschen gehen sich gekonnt aus dem Weg. Diese zwei Städte – Miriam und Olinda- haben einen gemeinsamen Nenner, ein gemeinsames Thema: das (übersättigte) Zentrum einer Stadt. Im Fall der Stadt Miriam wird das Zentrum gesprengt, sodass die Menschen können nur noch am Rand wohnen und profitieren von der neu entstandenen Leere im Zentrum: sie müssen sich nicht mehr ausweichen und können wieder ruhiger werden. Bei Olinda wird ein umgekehrtes Wachstum beschrieben, das auch das Zentrum verändert: die jüngsten Gebäude sind nun im Innern wie die Sozialbauten aus Noisy-le-Grand und der Eiffelturm am Rand der Stadt.

Modelle der Stadt Olinda
Modell der Stadt Olinda

So rollte sich das dann immer weiter auf und es entstand das Projekt „Kleine Utopien“. Es gab immer eine Geschichte von Calvino auf die ich mit einer eigenen „antwortete“. Mittlerweile schreibe ich nur noch meine eigenen Geschichten und baue danach meine Modelle, aber Calvinos Stadtbilder waren meine anfängliche Inspiration, weswegen es wichtig ist, ihn zu nennen.

Hast du auch ein von Wien inspiriertes Stadtkonzept entwickelt?
Ja, dabei habe ich mich mit dem Verlauf des Wienflusses befasst. Wenn man durch Wien geht, fällt einem auf, dass der Wienfluss nicht wirklich Teil des Stadtbildes ist. Er wird regelrecht von der Stadt unterdrückt, fließt unterirdisch, hat zig Auffangbecken. So beschrieb ich eine Stadt namens Ava, wo der Fluss die Stadt überflutet, die Menschen aber im Einklang mit dem Fluss leben und sich ihm anpassen, nicht umgekehrt. So kam es zu der Unterwasserstadt Ava.

petra schnakenberg

Gibt es Dinge an Wien, die dich stören?
Das ist schwierig zu beantworten, weil ich Wien sehr mag und die Stadt bekanntlich auch eine hohe Lebensqualität hat. Was mir nur aufgefallen ist, dass es in Wien eine gefühlte „Architektur der Hinterhöfe“ gibt, dass das Leben miteinander versteckter, im Privaten stattfindet. Die versteckten Hinterhöfe gibt es vielleicht in Frankreich und anderen Städten auch, aber ich hatte in Paris schon viel mehr den Eindruck, dass das Leben auf der Straße stattfindet. Ein gutes Beispiel sind die Bars in Paris und Wien: in Paris sind die Stühle zur Straßenseite gewandt, man beobachtet einander, alles ist irgendwie offener. In Wien gehst du ins Amerlingbeisl, was in einem Art Hinterhof liegt. In einem wirklich wunderschönen Hinterhof, aber nun mal geschlossen, versteckt.

petra schnakenberg

Wirst du noch mehr Stadtkonzepte schreiben?
Ja, ich habe schon zwei neue Stadtbilder geschrieben. Einige andere Modelle, die ich für mein Diplom gebaut habe, möchte ich ausbessern oder weiter ausbauen. Ich würde das Projekt auch gerne öffnen und mit verschiedenen Menschengruppen arbeiten, um noch einen besseren Input zu bekommen und andere Standpunkte in die Modelle einfließen zu lassen. Ich denke, die Stadtmodelle werde ich immer weiter bauen, das ist ein nie enden wollendes Projekt, aber ewig möchte ich nicht nur Stadtmodelle bauen, sondern auch andere Geschichten mit dem Modell als Medium erzählen.

An welchen anderen Ideen würdest du gerne arbeiten?
Ich würde in Zukunft, neben den Städten, gerne mit Traumbildern arbeiten. Und auch gerne weiterhin als Bühnen- und Kostümbildnerin für Bühnen in realer Größe, was mein eigentliches Metier ist, arbeiten.

Modell für das Bühnenbild der Oper „Erdbeben. Träume“
Modell für das Bühnenbild der Oper „Erdbeben. Träume“

Was siehst du als wichtigsten Bestandteil für künstlerisches Arbeiten?
Ganz klar das Atelier. Ein Ort zum Arbeiten.

Was würdest du gerne lernen oder können?
Sprachen. Ganz viele Sprachen. Um mit verschiedensten Leuten kommunizieren zu können.

Architektur, Raum, Stadt: Themen die sehr viel auch mit Politik in Verbindung gebracht werden können. Hast du dich für „Kleine Utopien“ mit diesen Aspekten auch beschäftigt?
Ich habe mich schon auch damit befasst. Primär aber war es für mich wichtig, meine eigenen Erfahrungen und Eindrücke von Paris, Wien, dem Leben in der Stadt darzustellen, Fragen aufzuzeigen, die sich mir gestellt haben: Wie ist es, wenn man nicht lesen kann, man nicht die Sprache spricht… Davon habe ich mich leiten lassen. Das macht das Vorhaben dann vielleicht einfacherer, weil man sich selbst am besten kennt, aber für mich war das auch der ehrlichste Weg, weil ich so 100% hinter der Arbeit stehen konnte.

Wie lang brauchst du für die Modelle?
Das kann ganz verschieden sein. Für die Paris Modelle am längsten: 6 Wochen. Und das ist kurz. Meine Studienkolleg*innen haben mir viel beim Kleben geholfen. Danke nochmals hierfür an dieser Stelle.

Was wünscht du dir von 2021?
Ich wünsche mir, dass ich meine Bühnen- und Kostümbildassistenzen im nächsten Jahr machen kann. Außerdem wäre es schön, wenn ich Förderungen für meine „Kleine Utopien“ erhalten würde, um weiter an dem Projekt arbeiten zu können.

Was hoffst du, dass deine Arbeiten bei Menschen auslösen?
Ich will Leute inspirieren, zum Träumen bringen, sie dazu anregen, sich in etwas zu verlieren. Mit den Stadtmodellen explizit, dass die Zuschauer*innen über unser Zusammenleben reflektieren. Das ist es auch, was den Menschen derzeit ohne die Kultur schmerzlich fehlt. Ohne Theater, ohne Kunst verlieren wir uns nicht mehr in Details, nehmen uns nicht mehr die Zeit, die man nun gut auf der Couch mit Netflix verbringen kann, um in einem Theater, einem Museum, einem Konzert zu träumen, zu denken, zu reflektieren.

Petra Schnakenbergwww.petraschnakenberg.com