“Festival
   
Stuttgart Kunst

Moritz Berg im Interview

Der Architekt und Künstler Moritz Berg (*1994) beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der emotionalen Wirkung, die unsere direkte Lebenswelt auf uns hat. Ausgehend von alltäglichen und trivialen Momenten erschafft er Gemälde und Plastiken, welche die Schnelllebigkeit unserer Zeit in Bezug auf philosophischen Fragen reflektieren und auf die verborgenen Qualitäten in vermeintlichen Nichtigkeiten hinweisen.
moritz berg interview
Künstler Moritz Berg

Du hast ein abgeschlossenes Architekturstudium. Was sind für dich die größten Unterschiede zwischen künstlerischem und architektonischem Arbeiten, und wie hast du den Schritt von Architektur zur Kunst empfunden?
Im Frühjahr 2020 habe ich meinen Master in Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart abgeschlossen. Für mich war es kein festzulegender Schritt oder Moment, indem ich mich für die Kunst entschied. Es fühlte sich richtig und natürlich an diesen Weg zu gehen. Mein Interesse an Kunst, Kultur und Musik, sowie mein kreatives Tun vermischte sich mit der Zeit immer mehr mit meinem Architekturstudium. Aufgrund der Erfahrungen, die ich dann in verschiedenen Architekturbüros machte, war ich auf der Suche nach etwas anderem als Architektur, die auf Netzhautreize und schnelllebige Trends aus ist und durch rein ökonomische Zwänge geformt wird. In der Praxis gibt es bindende Zwänge, Normen, Budgets und Vorschriften, an die man sich halten sollte. Das künstlerische Arbeiten half mir die heutigen Formen von Architektur in Frage zu stellen und sie dabei nicht nur nach rein visuellen, funktionalen oder konzeptionellen Werten zu messen.

Die Un­ein­ge­schränkt­heit der Kunst ermöglicht einem hierbei Themen abstrakt und frei anzugehen, um dadurch zu neuen Perspektiven und Erkenntnissen zu gelangen.

4 Untitled, Beton auf Leinen, 210x80x10cm, 2020
Untitled, Beton auf Leinen, 210x80x10cm, 2020

Der Titel deiner Masterthesis lautet „Vermeintliche Nichtigkeiten“. Beschäftigst du dich mit diesen auch auf künstlerischem Wege?
Ja, ich beschäftige mich weiterhin mit vermeintlichen Nichtigkeiten, Widersprüchen, zufälligen Ereignissen und flüchtigen Momenten. Sei es eine Plastiktüte, die im Wind tanzt oder eine Lichtreflexion in der Windschutzscheibe. Solche Momente bilden den Kern und Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeit. Alles um uns herum wirkt, prägt und formt uns. Egal ob wir es aktiv oder unterbewusst wahrnehmen. Dabei haben vermeintliche Nichtigkeiten, die wir oftmals nur unterbewusst wahrnehmen, eine ebenso große Wirkung auf unser Denken, Fühlen und Handeln, wie Dinge die aktiv in unser Bewusstsein gelangen. Spannend dabei finde ich, wieviele Menschen sich diesem Thema widmen und das Triviale in Fotos festhalten. Durch das Fotografieren und Dokumentieren dieser Trivialitäten steht die Zeit kurz still. Die Menschen treten ihrer Umwelt achtsamer entgegen, besinnen sich dabei auf das Hier und Jetzt und damit auf sich selbst. Achtsamkeit als Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft. Die Menschen suchen ihre Erfüllung dabei nicht in Dingen, sondern in Momenten.

Arbeitest du eher intuitiv oder gehst du mit klaren Vorstellungen in den Schaffensprozess?
Ich sehe mich eher als achtsamen Beobachter, dessen Arbeit nicht auf konkreten Vorstellungen, sondern auf Fragen beruht. Den Fundus bilden Fotographien, Videos und Erinnerungen von alltäglichen Momenten, die mich auf eine bestimmte Art und Weiße berühren. Um Marcel Duchamp zu zitieren: „Die Bewegungen des Rades erinnerte mich an die tanzenden Flammen in einem Kamin. Zu sehen, wie dieses Rad sich drehte, war sehr beruhigend, sehr tröstlich, in gewisser Hinsicht ein Sich-öffnen zu anderen Dingen als den materiellen des täglichen Lebens.“ Ich möchte die Qualitäten solcher Situationen verstehen und herausarbeiten. Präzises Schauen und das Aufspüren von feinen Charakterzügen sind Voraussetzung, um etwas in seinem Wesen zur Kenntnis zu nehmen und anschließend weiterzudenken. Dabei versuche ich meine Vorgehensweiße aus dem genauen Schauen zu entwickeln. Während des physischen Prozesses lasse ich mich in die Intuition fallen, um die wahrgenommene Atmosphäre einzufangen – sei es als Gemälde, As­sem­b­la­ge oder Videoinstallation.

Du beziehst dich auf Aldous Huxley und sein Konzept der „Istigkeit“ der Dinge. Huxley spricht über das intensive Erfahren von Objekten. Ist das auch dein Zugang?
Ich versuche so aufmerksam und unvoreingenommen wie möglich meiner Umwelt zu begegnen. Meine ästhetische Reaktion wird dadurch in gewissem Maße weniger meiner Erinnerung entnommen, noch von gesellschaftlichen Normen abgeleitet.

Ich versuche möglichst wertfrei zu beobachten um die Dinge als das zu verstehen, was sie von sich selbst aus sind. Dabei projiziere ich meine Erwartungen oder Erinnerungen nicht in die Dinge, sondern lasse es konträr geschehen.

The Subtle Prompter, Tinte auf Papier, 42x30cm, 2019
The Subtle Prompter, Tinte auf Papier, 42x30cm, 2019

Welchen Stellenwert hat Literatur für dich?
Literatur dient mir als Inspirationsquelle für meine Arbeiten. In gleichem Maße helfen mir die Philosophie, Psychologie und Poetik meine eigene Arbeit besser zu verstehen und sie in größeren Zusammenhängen zu verorten. Eine sich fortschreibende Spirale.

Woran arbeitest du gerade?
Ich arbeite stetig an mehreren Arbeiten gleichzeitig. Setzte sie miteinander in Beziehung und ordne sie neu. Ein kreativer Kreislauf, der immer wieder neue Fragen aufwirft, denen ich anschließend nachgehe. In Zukunft möchte ich mich intensiver räumlichen Arbeiten widmen und einen fassbareren Bezug zu Architektur entwickeln. Dabei möchte ich die Verantwortung der Architekten, durch ihre gestaltende und ausführende Rolle in der Erschaffung unserer Lebenswelt, gegenüber dem Menschen reflektieren. Insofern, dass sie unsere Umwelt nicht nur nach ökonomischen, funktionalen und rein konzeptionellen Ansätzen gestalten, sondern Architektur aus den Qualitäten der emotionalen Erfahrungen des Menschen mit seiner Umwelt heraus verstehen.

Moritz Bergwww.moritz-berg.com