Welche Rolle spielt die Selbstreflexion in deinem kreativen Prozess?
Selbstreflexion spielt, glaube ich, eine zentrale Rolle in meiner Arbeit. Oft fühle ich mich verwirrt vom Verhalten anderer Menschen. In den letzten Jahren habe ich gelernt, Gefühlen, die nicht rational erklärbar sind, Raum zu geben. Es war ein wichtiger Schritt für mich, zu akzeptieren, dass Dinge nicht immer einer klaren Logik folgen. Ebenso wie ich versuche, andere zu verstehen, bemühe ich mich auch, mich selbst besser zu begreifen. Dabei helfen mir Bücher, Filme und Kunst enorm. Sie ermöglichen es mir, tiefer in mein eigenes Selbst einzutauchen. Diese Selbstreflexion und das Sammeln von Eindrücken beeinflussen maßgeblich meine künstlerische Arbeit. Alles, was ich erlebe und fühle, wird aufgesaugt und besprochen, und Bilder, Texte, Filme oder Zeichnungen entstehen.
Welche Themen interessieren dich besonders?
Derzeit interessieren mich besonders Identität und Herkunft. In letzter Zeit habe ich mich intensiv mit meinem Geburtsort Südtirol auseinandergesetzt. Dabei habe ich versucht zu verstehen, wie bestimmte Denkmuster, Verhaltensweisen und Ängste mit den prägenden Jahren meiner Jugend in Verbindung stehen. Es fasziniert mich, wie tief verwurzelte Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend unser gegenwärtiges Selbstverständnis beeinflussen. Ein anderer großer Themenbereich in meiner Arbeit sind die Liebe und das Menschsein. Mich interessieren die vielfältigen Facetten menschlicher Beziehungen und die emotionalen Tiefen, die damit einhergehen. Diese Themen spiegeln sich oft in meiner Arbeit wider. Letztendlich geht es mir darum, durch meine Kunst eine tiefere Verbindung zu diesen essenziellen menschlichen Erfahrungen herzustellen und sie auf eine Weise zu vermitteln, die andere berührt und inspiriert.
Kannst du mir mehr über deine Diplomausstellung „Heute bin ich aufgewacht// die ständige Angst HIV+ zu sein“ erzählen?
Zu Beginn dieses Jahres hatte ich bereits eine gemeinsame Ausstellung mit Paula Breuer in der Golestani Galerie in Düsseldorf, gefolgt von einer Einzelausstellung im Dito Space in Wien. Es hat gutgetan, Arbeiten, die im letzten Jahr entstanden sind, zu zeigen, und mit verschiedenen Menschen darüber zu sprechen. Als ich mich an die Arbeit für mein Diplom machte, war ich anfänglich etwas orientierungslos. Alle Bilder vom letzten Jahr wurden gezeigt, ich wollte fürs Diplom etwas Neues ausprobieren. Ich habe meine Tagebücher, Notizen und Bücher, die mich geprägt haben, erneut gelesen. Zum Beispiel „Rückkehr nach Reims“, „Giovannis Zimmer“, „Lie with me“, „Die Schönheitslinie“, „im Herzen der Gewalt“. Daraufhin ergab sich recht automatisch, das Heranwachsen als Homosexueller auf dem Land in meinem Diplom in den Fokus zu nehmen. Als ich mich geoutet hatte, hat meine Mutter ihre Sorge geäußert, ich könnte durch meine sexuelle Orientierung HIV+ werden. Diese irrationale Angst schießt mir immer wieder in den Kopf und wird so namensgebend für das Diplom. Außerdem wollte ich meine Liebe zu Theater und Text in meine Arbeit einbringen. Es hat mir nicht gereicht, Bilder zu malen und sie zu zeigen. Ich wollte schreiben, meine Texte den Besuchern der Ausstellung zum Lesen geben und meinen Bildern eine Bühne geben.
Welche Herausforderungen hast du bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Ausstellung erlebt?
Am meisten hat mich der Titel beschäftigt. Ich war kurzzeitig unsicher, ob er den gewollten Effekt hat. Im Laufe der Ausstellung habe ich viele Gespräche führen können und bin mir im Nachhinein sicher, dass es die richtige Entscheidung war.
Gibt es ein bestimmtes Werk oder eine Serie in dieser Ausstellung, die dir persönlich besonders wichtig ist?
In meiner Diplomarbeit betrachte ich die gesamte Ausstellung als eine zusammenhängende Serie. Jedes einzelne Werk und jedes Element tragen zur Gesamtaussage bei. Besonders wichtig sind mir neben meinen Bildern auch die von mir verfassten Texte und die Zitate, die in dem zur Ausstellung gehörenden Zine enthalten sind. Diese Textteile ergänzen die visuellen Werke und bieten eine zusätzliche Dimension zur Interpretation der Ausstellung.
Hilft dir deine Kunst, deine eigenen Emotionen besser zu verstehen?
Vielleicht nicht meine Kunst per se, aber Kunst generell, ja.
Welche Pläne hast du nach Abschluss deiner Diplomausstellung? Wie wirst du den Sommer verbringen?
Zusammen mit Freunden haben wir 2024 einen Kunstverein gegründet. Ich hoffe, ich habe jetzt mehr Zeit, Projekte zu planen und umzusetzen. Ansonsten werde ich malen und an neuen Ausstellungen arbeiten. Mit Paula Breuer habe ich bereits den Film „Plenty of Fish“ gedreht. In den nächsten Monaten würde ich gerne wieder intensiver mit ihr arbeiten und einen neuen Film machen. Also werde ich vermutlich einige Wochen in Berlin verbringen. Außerdem will ich seit Langem ein Theaterstück umsetzen – ich hoffe mal, das kann 2025 stattfinden.
Stefan Pfattner – www.stefanpfattner.com, www.instagram.com/stefanpfattner/