Hallo, Raphael! Du bist analoger Fotograf, der sich nicht nur einen Namen in Wien vor allem für Momentaufnahmen mit Nostalgiefaktor schafft, sondern auch dedicated Skaterboy. Wie kam es dazu?
Ich bin in Mürzzuschlag in der Steiermark aufgewachsen. Da gabs halt echt nicht so viel außer ein Fußballplatz und den Skatepark. Fußballspielen war halt nie meins und so habe ich großteils meiner Jugend im Skatepark verbracht. Wir waren den ganzen Sommer zusammen, haben eine Skatecrew gegründet. Damals war ich 12 und die anderen waren auch so in dem Alter. Aber es war total divers: es waren auch Mädls und Jüngere mit in der Crew. Jeder war da cool miteinander. Wir sind gemeinsam durch die Stadt geskatet und haben uns gemeinsam ein Eis gekauft. Vor allem dokumentierten wir unsere Fortschritte mit dem Skateboard. Das wurde dann mit einen alten Sony Ericsson Walkman Handy oder mit ausgeborgten Digitalkameras der Eltern festgehalten. Für einen coolen Effekt haben wir Mehl auf die Skateboards gegeben. Es ist eigentlich eine lustige Geschichte: mit 12 Jahren habe ich eine Skatecrew gegründet und habe aus dem Kinderzimmer Brands für Merch und Sponsoring angeschrieben. Meine Eltern wussten nichts davon bis die ersten Pakete antrafen. Wir wollten eigentlich hauptsächlich unseren Prozess dokumentieren und was wir als Skatecrew gerade so gefühlt und gemacht haben. Wir waren halt total Kiddos. Mein erster richtiger Kontakt mit Kameras, ob Fotografie oder Filmen, war die Aufzeichnung unserer bescheidenen Skate-Künste. Da ist auf jeden Fall mein Anfang zu verzeichnen.
Sind diese Videos noch auf YouTube zu sehen?
Zum Glück nicht! Für mich war es dann voll wichtig nach Wien zu gehen. Ich habe mich nie in den technischen Berufen wie z.B. Maschinenbau, die in der Industriefurche Mürzzuschlag herrschten, gesehen. Ich wusste zwar nicht, was ich mit meiner Kreativität machen wollte aber ich wusste, dass es etwas mit Medien zu tun haben soll. Das Studium für Medienproduktion war für mich der Weg die Medienlandschaft besser kennenzulernen, wobei sich schnell rauskristallisierte, dass Fotografie und Film die Medien sind, mit denen ich mich am ehesten und am meisten identifizierte. In dem kleinen steirischen Ort gab es für mich keine kreative Zukunft. Ich wusste, es gibt viel mehr. Der Austausch mit verschiedenen Leuten interessierte mich. Und das erzählt auch meine Fotografie: von starken und emotionalen Begegnungen mit Menschen, die ich seit langer Zeit oder auch erst seit sehr kurzem kenne, die aber einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen haben.
Wie kamst du zu der analogen Fotografie?
Nachdem ich in Crossmedia Produktion in Wien über ein Fernstudium an der Middlesex Univeresity abgeschlossen habe, hatte ich viele Fragen an mich selber. Ich war unschlüssig, wo ich hingehöre, wie es weiter mit mir geht und fühlte mich verloren in der Frage: was ist ‚mein‘ Medium?
Ein irrsinniger Lichtblick in dieser Zeit, wo ich mich in Gedanken verloren fühlte, waren die Arbeit andere FotografInnen. Ich spürte plötzlich tief in mir: das kann und will ich auch.
Vor allem die analoge Fotografie würde mich relevant weil ich merkte, wie wir in einer total übersättigten Welt leben.
Bei einer digitalen Kamera kann ich tausendmal abdrücken um ein Bild zu inszenieren aber ich faszinierte mich für ein Ergebnis, dass nicht sofort sehbar ist: wo ich das Bild zuerst selber entwickeln muss, Negative und Abzüge im Badezimmer zum Trocknen aufhänge.
Ich liebe den Prozess etwas mit meinen Händen zu machen. Einen Knopf, einen Auslöser ist mir zu wenig. In der analogen Fotografie gibt es während der Entwicklung so viele kleine Details. Wie lange man ein Bild belichtet oder welche Chemikalien benützt werden.
Ein physisches Einfangen und Entwickeln von Momenten und Aufnahmen.
Diese Bilder können viel mehr die Realität, so wie wir sie sehen, interpretieren. Fotografie ist immer eine Interpretation, die durch einen beschnittenen oder auch einen erweiternden Blickwinkel Ausdruck findet. Die Wahl des Filmes bis hin zu der Rauheit des Korns: das machen meine Bilder aus. Sie sind unretuschiert, körnig. Leicht chaotisch. Fast eine Art Kintsugi.
Kintsugi ist diese japanische Kunstform, das Zerbrochene von Krügen oder anderen Artikel mit Gold zu untermalen und die ‚Fehler‘ hervorzuheben. Dass Fehler als Merkmale wahrgenommen werden statt dass sie übereditiert oder gar entfernt werden. Imperfektionen als Teil der Geschichte zu ehren.
Du hast am 30. März die Vernissage zu deiner neuen Ausstellung „Will Sein.“ Erzähle uns doch davon!
Für mich ist die Ausstellung ein wirklicher Meilstein zwischen Werden und Sein. Sie handelt um meine Entscheidung wirklich Fotograf zu sein und hebt die verschiedenen Menschen und Begegnungen aber auch intime Erlebnisse bildlich hervor. Die Ausstellung ist ein Statement, dass es mir ernst mit der Fotografie wird. Ich arbeite zwar noch im Film aber Fotografie ist wirklich das, was ich machen will. In der Ausstellung zeige ich private Bilder von dem Chaos meines Zimmers, welches Chaos in meinen Kopf und in meinen Umfeld widerspiegelt. Diese innere Welt – sei es in dem Zimmer, wo großteils meine Arbeit passiert oder die Frage ob Liebe ein Geschlecht hat – ist voller Fragen. Wer bin ich? Wie nehme ich ein Ganzes wahr? Die Ausstellung spricht von Liebe, Lebendigkeit und Freiheit aber das „Wird Sein“ bezieht sich vor allem auf ein nach-vorne Blicken zwischen Werden und Sein. Das Festlegen auf eine oftgestellte Frage oder auch nur eine gefundene Antwort, welche man dann in die Realität umsetzt.
Ein Hin zum Sein während man ist.
Skatest du eigentlich jetzt auch noch?
Das Skaten gibt mir alles! Von Freiheit in meinen Kopf bis zu den schönsten Moment mit Freundinnen und Freunden bis hin zu einem Ventil für meine Probleme. Und es gibt mir eben auch Antworten.
Es ist auch eine Subkultur, in der man seine Identität sucht und findet. Das Skaten hat mir extremst viel über das Leben gelernt. Beim Skaten kann man Tricks schnell lernen aber diese dann wirklich auszuführen ist ein Kampf mit dem eigenen Kopf. So sind auch die meisten Probleme, die wir haben, Auseinandersetzungen, die wir mit uns selbst haben. Manchmal findet man die Antworten im Sport, manchmal findet man die Antworten, wenn man tief in sich selbst blickt und manchmal findet man die Antworten in einer Kamera oder in einem Bild.
Oft geht man in dieser Leistungsgesellschaft verloren und funktioniert einfach nur noch. Lebendig zu sein bedeutet für mich Wertschätzung von den kleinen Momenten und Erlebnissen, welche oft in dem Werdegang des Erwachsenwerdens/sein verloren geht.
Bewusst zu leben bedeutet Lebendigsein.
Location: Kunstverein Fortuna, Westbahnstraße 25, 1070 Wien
Ausstellungsdauer: 30.03.2023-01.04.2023
Vernissage: 30.03.2023
Finissage: 01.04.2023
Öffnungszeiten: 18-22 Uhr
Kuratorin: Nike Bekemeier
Raphael Riegler – www.instagram.com/raphiiction/