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Wien Kunst

Interview mit Marlene Heidinger

Marlene Heidinger beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Voyeurismus, Scripted-Reality-Formaten und dem Mangel an Privatsphäre in den modernen Medien. Das Eindringen in die Privatsphäre einst Fremder bietet die Grundlage ihrer künstlerischen Praxis.
Marlene Heidinger
Marlene Heidinger. Foto: Katharina Kirchner

Sie ist bestrebt, die Brücke zwischen Privatem und Öffentlichem mit Satire und skurrilen Konzepten zu schlagen. Sie arbeitet sowohl mit dem Standbild als auch mit dem Bewegtbild, was es ihr ermöglicht, neue Ansätze für multidimensionale Erzählungen zu entdecken.

Beschreibe eine Situation aus dem Leben, die dich inspiriert hat?
Tatsächlich inspirieren mich ganz alltägliche Situationen. Gespräche Fremder in der U-Bahn, der Wocheneinkauf des Herren vor mir an der Billa Kassa oder auch eine Nachricht im Familien WhatsApp Chat. Ich liebe das Drama des Alltags, die Komödie des Banalen. Ich habe vor einigen Jahren gelernt, mein Leben mehr mit Humor zu nehmen und die Absurdität der Ernsthaftigkeit zu entdecken. Im Zwischenmenschlichen findet tagtäglich das Wunder der Kommunikation und all deren Schwierigkeiten statt, ein Wunder ähnlich eines Mini-Urknalls.

Marlene Heidinger. Foto: Katharina Apetrova
Marlene Heidinger. Foto: Katharina Kirchner

Gibt es unterschwellige Botschaften in deinen Arbeiten?
Ja, ich arbeite sehr stark mit Symbolen und Botschaften. Ich habe sehr viel Spaß dabei, die zweidimensionale Bildfläche als Bildraum in Schichten und Ebenen zu betrachten, ähnlich wie man eine Szene in einem Film durch Schnitte und veränderte Kamerawinkel erzählen würde. Ein Bild, auch wenn es zweidimensional ist und einen Moment festhält, hat in meinen Augen ein Vor und ein Nachspiel, es ist Teil einer Sequenz und erzählt somit eine Geschichte.

Diese Botschaften müssen sich also nicht in dem Bild selbst wiederfinden, sie finden jedoch in der Geschichte, aus der das Bild gegriffen ist, ihren Platz.

Ausstellungsansicht. Schicksal von Voesendorf
Ausstellungsansicht. Schicksal von Voesendorf. Foto: Marlene Heidinger

Was treibt dich an?
Das ist eine recht schwierige Frage, denn manche Sachen fühlen sich so natürlich an, dass man gar keinen wirklichen Antrieb außer das innere Verlangen hat. Bin ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und höre einen interessanten Dialog im Lift am Weg zu meinem Zahnarzt, wird dieser sofort in meine Notes-App eingetragen und Tage später auf die Leinwand gebracht. Doch natürlich würde ich auch einen Antrieb darin sehen, ein Teil der zeitgenössischen Kunstszene sein zu wollen und diese aktiv mitzugestalten. Ich bin ein sehr umtriebiger Mensch, daher spreche ich auch gerne mit anderen über Ideen und Konzepte, der Austausch ist mir ebenso wichtig wie der Schaffensprozess an sich.

Ausstellungsansicht. Schicksal von Voesendorf
Ausstellungsansicht. Schicksal von Voesendorf. Foto: Marlene Heidinger

„Das Schicksal von Vösendorf“ – Ich liebe diesen Titel. Worum geht es in dieser Serie? 
Das Hauptbild der gleichnamigen Ausstellung im Rahmen meines Artist Statements bei der Parallel 2022 zeigt eine wahrlich dramatische Szene: zwei malträtierte Pflanzen am Boden einer Ikea Möbelhaus Kassa, umgeben von Figuren, mache schockiert, manche genervt. Das Bild zeigt eine wahre Geschichte, die mir tatsächlich so wiederfahren war. Anfangs als unangenehmen, jedoch gänzlich  unwichtigen Moment meines Lebens abgestempelt, stellte sich wenig später heraus, warum mich die Erinnerung an diese Situation an der Ikea Kassa nicht mehr in Ruhe lassen wollte. Genau diese Situation machte mir das Scheitern in banalen Alltagssituationen bewusst und festigte meinen täglichen Selbstzweifel. In der Serie habe ich meine persönlichen Hürden verarbeitet und verortete deren Ursprung in der patriarchal geprägten Gesellschaft. Ein Ziel war es, meine Frustration mit den Erwartungen sichtbar zu machen, die mein Umfeld – und in Folge die gesamte Gesellschaft – an mich stellt. Ich verarbeitete meine Zweifel und Ängste des unvermeidlichen Erwachsen-werdens in einer Welt der Krisen, wie Pandemie und Krieg. Wie soll man sich seiner eigenen Probleme bewusst werden und diese lösen, wenn sie sich auf der Waage des großen Ganzen doch so unwichtig anfühlen? In der Serie greife ich Themen wie das ständige Beobachtet sein, die Klassengesellschaft und das ewig laufende Förderband des Konsums humoristisch auf:

Das Bild „Das Schicksal von Vösendorf“ ist ein Abbild einer Momentaufnahme, in der das Chaos des Alltags mit dem Chaos der ganzen Welt in Konkurrenz tritt.

Hast du Zeit für Hobbies? 
Ja, durchaus. Ich habe sehr viel Energie und treibe sehr gerne und regelmäßig Sport. Beim Laufen höre ich gerne True Crime Podcasts. Außerdem bin ich passionierte Prosecco-Trinkerin und schaue gerne Reality TV. Letzteres verbuche ich aber oftmals als „Arbeit“ da ich gerne Dialoge aus dem Reality TV mitschreibe oder Standbilder daraus male. Hauptsächlich schaue ich aber für Unterhaltung, aber psst… das bleibt unter uns.

Marlene Heidinger. Foto: Katharina Apetrova
Marlene Heidinger. Foto: Katharina Kirchner

Woran arbeitest du gerade? 
Derzeit arbeite ich an einer neuen Serie für eine Ausstellung im Februar. In dieser Serie geht es um die Scheidung eines Ehepaares. Ich male verschiedenste Bildausschnitte aus deren Leben vor, während und nach der Scheidung und versuche Thematisch auf Emanzipation, Gewalt, Sucht und mentale Gesundheit einzugehen. Wieder versuche ich vom Kleinen aufs Große zu schließen und mit Bildausschnitten aus dem privaten Alltag auf große gesellschaftliche Probleme hinzuweisen. Außerdem gebe ich derzeit mit meinem Kollektiv eine Publikation heraus und arbeite an der Planung einer Gruppenausstellung zum Thema Kriminalität, welche im Dezember stattfinden wird. 

Die Künstlerin und freie Kuratorin Marlene Heidinger (geb. 1996 in Wien) lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte in der Klasse für Malerei und Animationsfilm bei Judith Eisler auf der Universität für Angewandte Kunst und auf der École de Communication Visuelle in Paris. Zusätzlich zu ihrer Arbeit als bildende Künstlerin ist sie Gründungsmitglied des Kuratorinnenkollektivs Sicc.Zine, das sich auf die Darstellung von sequentieller Kunst fokussiert. Derzeit studiert sie curatorial studies an der Universität für Angewandte Kunst.

Marlene Heidinger – www.marlene-heidinger.com, www.instagram.com/emha.animation/