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Wien Kunst

Interview Luis Zimmermann

Luis Zimmermann, geboren 1998 in Aachen, ist Meisterschüler bei Thomas Grünfeld an der Kunstakademie Düsseldorf. Zur Zeit studiert er bei Daniel Richter an der Akademie der Künste in Wien. Seine großformatigen Arbeiten basieren auf seiner fotografischen Beleuchtung aktueller politischer Zustände und gesellschaftlicher Befindlichkeiten.
Artist. Luis Zimmermann
Artist. Luis Zimmermann

Geschichtete Collagen und Transferdrucke von fotografischen Fragmenten zeigen die Brüchigkeit und Unsicherheit unserer Gegenwart. Analog zum thematischen Rahmen schafft auch die Arbeitstechnik durch Auslassungen und Störungen Unsicherheiten in der Wahrnehmung.

Wie haben deine Anfänge als Künstler im Bereich Graffiti und Street Art deine heutige Bildsprache beeinflusst und geprägt?
Meine Anfänge als Künstler im Bereich Graffiti haben einen großen Einfluss auf meine heutige Bildsprache gehabt und sie maßgeblich geprägt. Durch die Auseinandersetzung mit Graffiti wurde mein Blick für Motive und Objekte im öffentlichen Raum geschärft. Ich entwickelte eine höhere Sensibilität für meine Umgebung und begann, den urbanen Raum viel aufmerksamer wahrzunehmen. Hier finde ich auch heute oft die Motive und Bildideen für meine aktuellen Arbeiten. Auch die Größe von Graffitis und Billboards findet sich in meinen aktuellen Arbeiten immer noch in der Vorliebe für große Formate wieder. Zunächst wurden meine Arbeiten mit Werbeplakaten durch diese Eindrücke inspiriert. Stundenlanges Beobachten und Verfolgen des Stadtgeschehens hat mein Verständnis für die vielfältigen Details und Nuancen in meiner Umgebung erweitert. Ich habe entdeckt, wie viele kleine, scheinbar unbedeutende Elemente sich unserer Wahrnehmung entziehen, wie zum Beispiel die vielen Farbschichten von abblätternder Plakatwerbung, an denen man täglich vorbeigeht. Das Sammeln von Schichten dieser Papierriesen, das Kaputte, Verwitterte, das Werbeplakate nach Wochen in Sonne und Regen bekommen, hat an sich schon eine besondere Ästhetik. Durch das Experimentieren und Erforschen der verborgenen Farb- bzw. Papierschichten ergaben sich dann noch ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten. Es war jedesmal ein Forschen nach bestimmten Farben und Farbflächen, die als Komposition ausgegraben werden mussten. So entstand, auch durch malerische Ergänzung, eine andere Bildsprache für mich. Dies führte zur Entstehung einer Art Décollage, bei der ich diese Schichten „ausgegraben“, bearbeitet und kombiniert habe.

Wie würdest du deine Kunst beschreiben?
Meine künstlerische Arbeit treibt die Neugier an, ein Motiv neu zu erzählen. Schon bei der Motivwahl mit der Kamera versuche ich, Uneindeutigkeit im Ausdruck zu entdecken. Das scheinbar Konkrete zu abstrahieren und so den Deutungsspielraum zu vergrößern, ist mein Ziel. Darin liegt für mich auch der Reiz in der zunächst digitalen Bearbeitung der Fotografien und ihrer großformatigen, experimentellen Umsetzung als geschichtete Transferdrucke. Experimentieren mit Techniken wird zum Forschen bei der Bildwahrnehmung. Was ist konkret, was Fiktion?

Mit welchen Techniken arbeitest du?
Bei den früheren Arbeiten mit Werbeplakaten war mein Vorgehen darauf gerichtet, „vergessene“ Schichten wieder hervorzuholen, Vergessenes und Erinnertes sichtbar zu machen. Mit dem Cutter-Messer sowie verschiedenen Schleifgeräten habe ich Motive und Elemente in unterschiedlicher Tiefe aus den Plakatschichten wieder herausgeholt, Vergessenes so sichtbar gemacht, aber in einen neuen Zusammenhang gebracht. Neue Motive entstanden aus Bruchstücken der alten. Von der ursprünglichen Werbung blieben nur Fragmente übrig. Wie eine Schlangenhaut unserer Konsumgesellschaft wurden alte Bilder abgetragen und etwas Neues entstand daraus. Ihre aufgerissene, verwitterte Oberfläche bildet einen eindrücklichen Kontrast zu der „glatten Welt“ unserer Konsumgesellschaft. Das schnelle Überkleben jeder neuen Werbebotschaft wird in das „Ausgraben“ schon überholter Bilder umgekehrt. So wird ein kurzlebiges Werbeobjekt, das flüchtige Bild, durch künstlerische Bearbeitung zum Kunstobjekt. Die Suche nach passenden Schichten, die meiner Bildidee entsprechen, führte mich zu meiner aktuellen Technik, den sogenannten Peel-Off-Bildern. Insgesamt ist meine Herangehensweise geprägt von einer Kombination aus Planvollem und Zufälligem. Bei meinen aktuellen Arbeiten sind das Finden der Motive und die Aufnahme des Fotos die beiden ersten Schritte. Schon hier spielen planvolles Vorgehen und zufällige Momente zusammen. Das Motiv, der Einfall, das Foto sind der erste Schaffensmoment. Das Spielen mit Kameraeinstellungen und digitale Bildbearbeitung sind dann der Beginn des Experiments mit dem späteren Bild. Collagen aus Fragmenten dieser Fotos und die Übertragung durch verschiedene Druckverfahren, sind die Vermittlungsmethoden, die das Bild komplettieren. Das Experimentieren mit Transferdruck ermöglicht es mir, bewusst Überlappungen und Lücken zu erzeugen, was zu einem charakteristischen, brüchigen visuellen Effekt führt.

Welche Themen oder Motive sind in deinen Werken besonders präsent?
In meinen Arbeiten erforsche ich wiederkehrende gesellschaftliche Themen, wie den Umgang mit unserer konsumorientierten Zeit oder die Infragestellung meiner eigenen Identität und die komplexe Natur von Gruppen- oder sogar nationalen Identitäten. Zur Zeit beschäftige ich mich viel mit dem Herkunftsort meiner Familie, insbesondere der meines Großvaters. Er kam in den 1960er Jahren als Gastarbeiter von Sardinien nach Deutschland. Die Verwendung alter Familienfotos und Aufnahmen aus meinem Umfeld in Italien nehmen meine persönliche Identität in den Blick, zugleich beschäftigt mich die Einflussnahme rechter Gedanken und Ängste vor Flüchtlingen in Italien. Die Parallele zu den Ängsten im Deutschland der 60er Jahre vor den „Fremden“ wird für mich deutlich. Fragen nach Verwurzelung, Zugehörigkeit und Gegensätzen bestimmen meine Inhalte. In den Collagen finden sich oft Kompositionen aus Körpern, die neu zusammengesetzt, erst auf den zweiten Blick fremd wirken. Mein künstlerisches Statement zielt häufig darauf ab, die Fragilität und Dynamik von Identität zu betonen und gleichzeitig zu hinterfragen.

Spielen die Titel für deine Werke eine entscheidende Rolle in deiner künstlerischen Arbeit?
Titel spielen für mich eine eher untergeordnete Rolle. Ich beobachte oft Menschen beim Betrachten von Kunst, beispielsweise im Museum. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie schnell der Blick vom Kunstwerk zum Schild daneben geht. Da gibt es nicht viel Zeit, die Arbeit wirken zu lassen, ein Gefühl dazu wahrzunehmen. Das wird unterbrochen, der Titel stellt sich dazwischen, der Verstand wird aktiviert, der Bedeutungsrahmen gesetzt. Das finde ich schade. Ich gebe daher oft Titel, die einen größtmöglichen Spielraum für den Betrachter lassen, zum Beispiel Namen von Orten, die zu sehen sind, ohne Beziehung zum eigentlichen Thema.

Wie siehst du die Verbindung zwischen Kunst und Gesellschaft?
Diese Verbindung ist für mich widersprüchlich: dass Kunst oft als „Spiegel der Gesellschaft“ bezeichnet wird, ist sicher richtig. Sie kann schonungslos und direkt sein und dadurch verstören und Auseinandersetzung und Diskurs bewirken. Das macht Kunst für jede Gesellschaft enorm wichtig. Für mich ist die Kunst in Rezeption und Produktion ganz sicher auch ein Weg, Gesellschaft besser zu begreifen.

Welche Zukunftspläne hast du als Künstler, und welche neuen Herausforderungen oder Projekte möchtest du angehen?
Als nächsten wichtigen Schritt sehe ich meinen Abschluss an der Kunstakademie Düsseldorf. Hier plane ich schon langsam immer konkreter, was ich zeigen möchte. So viel Fläche als Bühne zur Verfügung zu haben, für die man ganz gezielt Arbeiten entwickelt, ist eine Herausforderung. Außerdem werde ich im November noch bei einer Gruppenausstellung im Wiener Semperdepot teilnehmen, die verschiedene Positionen aus deutschen Akademien und der Akademie in Wien zeigen wird.

Luis Zimmermann – www.luiszimmermann.com, www.instagram.com/luislzimmermann/