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Wien Theater

Interview mit Kay Voges

Seit der Spielzeit 2020/21 ist Kay Voges der künstlerische Leiter des Volkstheater Wien, doch erst in der letzten Saison konnte im Haus wirklich „durchgespielt werden“. Was kommt jetzt? Ein Gespräch über produktive Störungen, Gegenwärtigkeit und Mut.
Kay Voges "DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN" (2023), Foto: Marcel Urlaub
Kay Voges „DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN“ (2023), Foto: Marcel Urlaub

Können Sie uns einen Einblick in die vergangene Spielzeit geben, gab es besondere Highlights?
Wir hatten tolle Inszenierungen und ein riesiges reichhaltiges Programm. Ich fand die Arbeit „Szenen einer Ehe“ von Markus Öhrn wirklich außergewöhnlich. Die hatte im kleinen VOLX Premiere und wird wegen ihres Erfolges in dieser Spielzeit nun auch auf die große Bühne kommen. Auch meine eigenen Arbeiten fallen mir ein – so wie „Apokalypse Miau“, eine zeitgenössische Komödie nach einem wirklich klugen Text von Kristof Magnusson, die nun auch in anderen deutschsprachigen Theatern nachgespielt wird. Dann gab es da noch Kooperationen mit dem Tanzquartier wie zum Beispiel „Ophelia’s Got Talent“ von Florentina Holzinger, die wir auch im Oktober wieder hier zeigen werden. Eine unfassbar aufwändige und intensive Performance, die gerade zur besten Inszenierung des Jahres und zum besten Tanzstück gekürt wurde … Da ist man schon auch ein bisschen stolz, dass wir das hier so zeigen konnten. 

Das VOLX wurde ja jetzt zur Probebühne …
Genau. In dieser Spielzeit verstärken wir unser Engagement hier im Hause und bündeln unsere Kräfte. Gleichzeitig sind wir dabei, ein Probebühnenzentrum zu bauen in der Josefstadt und hoffen, dass das ungefähr mit Anfang nächsten Jahres bezugsfertig ist, um dann zu sehen, wie es mit dem VOLX weitergeht. 

Es erwarten uns in der neuen Spielzeit Premieren wie „Malina“ von Ingeborg Bachmann, später eine sogenannte Todescollage sowie ein Visual Poem. Haben diese Inszenierende auch einen gemeinsamen Nenner?
Das ist, glaube ich, die Herausforderung bei der Programmierung eines Theaters. Wir wollen ein vielfältiges, reichhaltiges Programm anbieten, in dem für alle etwas zu finden ist – nicht nur für die oberen 10.000 Bildungsbürger*innen. Und so versuchen wir, ein vielfältiges Programm zu erarbeiten und verschiedene Genres zu bedienen. Das klassische Sprechtheater neben dem mutigen Experiment, Komödien neben transmedialen Erzählweisen. Und ich glaube, langsam bemerken die Menschen in der Stadt, dass es hier eine Vielfalt gibt. Aber es ist nicht ein Kessel buntes, es ist nicht Willkür. Der gemeinsame Nenner ist, dass wir Künstler*innen einladen, die mutig sind, die versuchen, neue gegenwärtige Erzählweisen auszuprobieren und die Neugier und der Mut vereinen.

Was kann das Theater von der bildenden Kunst lernen?
Die Theaterkunst ist keine feste Kunst, die über Jahrhunderte immer so war wie sie ist. Sondern sie ist in einem permanenten Wandel, und der Wandel wird natürlich meist durch Einflüsse von außen angestoßen. Das können zum Beispiel politische, technologische oder ästhetische Einflüsse sein. Ich habe festgestellt, dass es genau diese Störungen in der Theaterproduktion sind, die Innovation erst möglich machen. Und so haben wir jetzt hier im Volkstheater vor, uns noch mehr von der bildenden Kunst stören und inspirieren zu lassen. Zum Beispiel wird Mika Rottenberg, eine wirklich aufregende amerikanische Künstlerin, am 26. Oktober ihren neuesten Film bei uns präsentieren. Und ich glaube für solche Projekte ist auch das Volkstheater der richtige Ort – wir sind hier einen Steinwurf vom MuseumsQuartier entfernt, in der Kunststadt überhaupt. 

Kay Voges „DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN“ (2023), Foto: Marcel Urlaub
Kay Voges „DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN“ (2023), Foto: Marcel Urlaub

Wenn Sie eine Inszenierung umsetzen könnten, ohne Risiken und Konsequenzen, was wäre das – gibt es eine Traum-Inszenierung?
Der Schriftsteller Heiner Müller hat mal gesagt, „Mein Leben lang arbeite ich daran, auf das Niveau meiner Träume zu kommen“. Er stellt sich die Frage, wie er in sprachlicher Hinsicht so stark werden kann, wie er träumt, und als Regisseur ist es, glaube ich, gar nicht so anders. Wir versuchen diese Träume – also das, was uns bewegt, unsere Fragen, unsere Ängste, unsere Lieben – zu erzählen. Und die Kraft dessen, was eigentlich in unserem Unterbewusstsein und auch in unseren Herzen und in unserem Denken stattfindet auf die Bühne zu bringen. So ist die jeweilig gerade stattfindende Arbeit die, die eigentlich die Verwirklichung der Träume sein muss. 

Schafft man diese Verwirklichung dann auch? 
Wieder ein Heiner Müller Zitat: „Ein Leben lang versuche ich“. Zufriedenheit ist keine gute Eigenschaft für Kunstschaffende. Das permanente Versuchen und Scheitern, das permanente Versuchen, es noch besser zu machen gehört dazu. Dazwischen kommen tolle Sachen zutage aber ich glaube, wenn man für sich selbst das Gefühl hat, die 100% erreicht zu haben braucht man auch nicht mehr weiter machen.

Trotzdem gibt es einen immensen Druck, Erfolgreiches zu zeigen. Wie gehen Sie damit um?
Angst ist kein guter Berater für kreative Prozesse. Wir haben hier das Credo: „Lasst uns ins Gelingen verliebt sein“. Denn wenn man verliebt ist, dann tut man dafür so einiges, und dann hält man dafür auch so einiges aus. Das ist aber ein positiver, produktiver Kampf, weil er gefüllt ist von der Liebe. Und wenn man etwas mit dieser Einstellung macht, steckt darin eine Kraft und ein Potenzial das stärker sein kann als die Angst. Und dann tut man das für die Liebe, nicht für die Kritiker.

Das Volkstheater widmet sich gesellschaftlichen Herausforderungen des Jetzt, der Klimakrise, Kriege, Machtstrukturen. Hat Theater die gesellschaftliche Verantwortung, aktuell zu sein?
Die Menschen, die Theater schaffen, und die Menschen, die im Zuschauerraum sitzen, sind Menschen der Gegenwart. Und das ist auch das Großartige, dass man gar nicht für die Zukunft Theater machen kann, weil Theater so eine schnelllebige Kunst ist. Sie ist in dem einen Augenblick da und zwei Jahre später gibt es davon vielleicht noch Fotos oder eine Videoaufzeichnung. Aber eigentlich nur mehr eine Erinnerung, weil das Theater nur im Augenblick stattfindet. Und somit sind wir in einem anderen Ausmaß als bildende Künstler*innen und Autor*innen der Gegenwart verpflichtet. Einen Jelinek Roman kann man auch in 200 Jahren noch aus dem Bücherregal ziehen, eine Inszenierung davon nicht. Die Zeitabhängigkeit in der Kunst verpflichtet uns dazu, gegenwärtig zu sein  – und das ist auch die große Kraft. Das, was am Vormittag in unseren Köpfen stattgefunden hat, kann schon am Abend auf der Bühne diskutiert oder assoziiert werden. Menschen, die das alte Theater wieder zurückfordern, haben Theaterkunst nicht verstanden. Denn das alte Theater existiert nicht mehr, es gibt nur das gegenwärtige.

Wie sehr spielt so ein Austauschen, Diskutieren, Assoziieren auch im Entstehungsprozess der Stücke eine Rolle? 
Theater war schon immer eine Kollektivkunst. Zwischen Schauspieler*innen, Bühne, Kostüm, Technik, etc. sind daran 20 bis 100 Menschen beteiligt. So ein menschliches Miteinander funktioniert nur durch Kommunikation, und somit ist es auch ein Gemeinschaftskunstwerk, welches auf der Bühne entsteht. Die Idee, dass Theater von einem Genie entwickelt wird, ist nicht zeitgemäß. Ich glaube sogar, das hat es nie wirklich gegeben. Als Regisseur bin ich überall umgeben mit Menschen, die Dinge besser können als ich: Ich kann nicht so gut spielen wie die Spieler*innen, ich kann nicht so gut Licht machen wie die Beleuchter*innen … Das Kollektiv an Expert*innen ist, was das Theater ausmacht. 

Und doch erlebt man immer wieder die Tendenz zu einem stark hierarchischen Denken. 
Wenn wir von dem Gedanken ausgehen, dass wir jede Menge Expert*innen in den verschiedenen Bereichen um uns haben, was ist dann die Aufgabe des Regisseurs? Die Aufgabe ist es eigentlich, die verschiedenen Kräfte zu bündeln, und vielleicht ein Ziel zu setzen – wo wollen wir mit diesen Kräften gemeinsam hin, mit welcher Fragestellung treten wir an das Thema? Und da gehört auch dazu, zu sagen „Nein, nicht in diese Richtung, sondern in die Andere“. Unser zweites Grundparadigma hier am Haus ist „Lasst uns respektvoll miteinander umgehen“. Das heißt, wie sprechen wir miteinander, welche Bilder haben wir voneinander, wie erkennen wir die Expertise der anderen an. Wenn ich akzeptiere, dass die Beleuchter*innen mehr wissen von Licht als ich, dann kann ich in den Dialog gehen und mich überzeugen lassen. Umgekehrt: wenn ich als Regisseur einen Weg vorschlage, muss es für diese Expertise ebenfalls Respekt geben. Und so kann man in der Theorie wunderbar miteinander arbeiten. Den Widerspruch hat wieder Heiner Müller formuliert: „Theater ist Krise“. Es gibt in diesem Kollektiv permanent Kommunikation, aber auch das permanente Scheitern und die Krise, und die Frage danach, wie es eigentlich möglich ist, die Utopie von der kollektiven Kunst umzusetzen. Und aus der Krise heraus kommt man zum Miteinander. 

Kay Voges, Foto: Marcel Urlaub
Kay Voges. Foto: Marcel Urlaub

Ihr Vertrag läuft bis 2025, das heißt es bleiben Ihnen noch zwei Jahre für „Versuche des Träume Verwirklichens“.
Absolut und ich glaube die beste Zeit vom Volkstheater unter meiner Direktion steht uns noch bevor. Zwei Jahre – das werden noch über 40 verschiedene Produktionen sein, die wir für die Menschen der Stadt machen. Jetzt geht es im September mit einem Premierenreigen los, hier ist nichts auf Abschied gestellt, sondern auf Gegenwart: wir sind hier. Und ich werde bis zum letzten Tag in Wien versuchen, ein Feuerwerk zu entfachen.

Gibt es konkrete Ziele für diese Zeit? 
Ich glaube das Ziel ist immer, einzigartig relevante Inszenierungen für die Menschen der Stadt zu machen. Was will Theater? Wir wollen verschiedene Erlebnisse und Impulse erzeugen, ein Mitlachen, Mitfühlen, Mitschrecken und Mitfeiern. Manchmal können die Abende kollektiven Lachens genauso sinnstiftend sein wie das Nachdenken, Reflektieren oder Diskutieren.

An welchen Orten finden Sie selbst sinnstiftende Impulse? 
Ganz privat: Ich war am Wochenende wieder im Venster und im Chelsea hier in Wien und denke mir dort immer wieder, wie schön es ist, dass es solche Läden gibt, und wie dort für mich teilweise völlig unbekannte Künstler*innen hinkommen. Hier habe ich das Gefühl von Aufregung, davon, etwas Neues entdecken zu können. Als Gegenpol dazu habe ich gerade 14 Tage in der Wüste in Kalifornien verbracht. Dort war absolut gar nichts, außer vielleicht mal eine Hyäne die vorbei tappst. Und zwischen Kontemplation und Irritation, einer Ruhe und etwas, dass mich überfordert und inspiriert … Dazwischen zu leben ist eine schöne Angelegenheit. 

Premieren im Volkstheater Wien (September – Dezember)

MALINA
von Ingeborg Bachmann
in einer Bühnenfassung von Claudia Bauer und Matthias Seier
Regie Claudia Bauer
Premiere: 8. September 2023

DU MUSST DICH ENTSCHEIDEN!
Die Gameshow für Österreich
Uraufführung
von Johan Frederik Hartle,
Kay Voges & Ensemble
Regie Kay Voges
Premiere: 15. September 2023

DER DIENER ZWEIER HERREN
Komödie
von Carlo Goldoni
Regie Antonio Latella
Premiere: 18. November 2023

DIE INKOMMENSURABLEN
Uraufführung
von Raphaela Edelbauer
in einer Bühnenfassung von
sputnic/ Nils Voges und
Anne-Kathrin Schulz (Mitarbeit)
Regie sputnic/ Nils Voges
Premiere: 7. Dezember 2023

Volkstheater Wien – www.volkstheater.at