Als Künstler und Forscher gestalten sie die Regelwerke der bildenden Kunst um und bauen in Videos und Objekten an eigenwilligen Ordnungen und neuen Weltentwürfen. Dabei reflektieren und ironisieren sie verschiedene historische und zeitgenössische künstlerische Strategien wie auch ihre Ausdrucksmittel.
Wann habt ihr euch das erste Mal getroffen?
Markus Hanakam: Ich bin 2002 mit dem Erasmus Programm an die Angewandte in Wien gekommen, Roswitha hat in diesem Jahr dort zu studieren begonnen.
Roswitha Schuller: Wir haben uns zu Studienbeginn im Herbst kennengelernt und sehr schnell in einer Workshopsituation gemeinsam zu entwerfen begonnen. Damals noch im Team mit mehreren Kolleg:innen, die Teamarbeit hat uns gut gefallen.
MH:sodass sich im Laufe des Studiums immer mehr herauskristallisiert hat, dass wir diese Arbeitsweise beibehalten werden. Unser Bildhauereidiplom haben wir mit einer gemeinsamen Arbeit abgeschlossen.
Gibt es bestimmte Themen oder Botschaften, die in euren Arbeiten häufig auftauchen?
RS: Ich würde sagen, dass wir an der Kunstproduktion selbst ein nahezu archäologisches, sicherlich aber kulturhistorisches Interesse haben: Wie beeinflussen historische Situationen, ihre Energiesysteme, ihre Tools und Weltbilder die Produktion von Visuellem und Artefakten?
MH: Eine ganz wesentliche Methode in unserer eigenen Arbeit ist, und das ist vermutlich nicht immer auf den ersten Blick sichtbar, die Arbeit mit Text und mit Regelsystemen, Anleitungen, Manuals. Wie Sprache das Visuelle und Objekte formt, das ist oft Ausgangspunkt für unsere Arbeiten. Die Themen sind dabei breit gefächert und oft arbeiten wir an Kommissionen für Ausstellungen oder Biennalen, oder im Format von Artist-in-Residencies an ortsspezifischen Themenlagen.
Wie kam es dazu, dass ihr begonnen habt, Artefakte zu schaffen, die sich als Gestaltwandler zeigen und in verschiedenen Kontexten auftauchen?
RS: Wir haben bald in unserer Arbeit einen Zugzwang gesehen, die erst konzeptuelle, textlastige Methoden in eine Farb- und Formensprache zu übersetzen, die für das Publikum den Anreiz gibt, in Interaktion zu treten. Als erste interaktive Computerarbeiten von uns in den frühen 2000ern an der Angewandten entstanden, waren viele handheld gadgets und devices noch nicht für den Verbrauchermarkt entwickelt. Also so Dinge wie iPhones und Tablets. Interaktive Oberflächen waren technisch sehr anspruchsvoll zu vermitteln und die Hardware war selten und teuer, es gab schon Touchscreens, beispielsweise für Messen und Industrie.
MH: Wir haben aus der Situation heraus Stellvertreterobjekte entwickelt, die den haptischen Reiz simulieren, in Videos und 3D-Animationen. Diese digitalen und physischen Artefakte, Teile aus unserer Alltagskultur, die wir neuen Funktionen zuführen, sind geblieben. Sie wandern durch unser Werk und nehmen verschiedene Aggregatszustände an.
Wie entstehen eure Arbeiten?
MH: Viele Arbeiten entstehen zunächst außerhalb des Studios in Wien, auf Residencies oder, wenn wir zu spezifischen Ausstellungsprojekten eingeladen werden. Für unsere Ausstellung im MAK Center for Art and Architecture Los Angeles 2022 haben wir mit einem lokalen Architekturduo gemeinsam eine Mis en scene entwickelt. Der Ausstellung ging eine Reihe von Onlinesessions voraus, in denen wir gemeinsam online Skizzen und Szenen, Texte und Referenzen erstellt haben. Aus dieser Art Seminar hat sich dann die künstlerische Produktion herausgeschält.
Welche Rolle spielt Wien als Ort eures Schaffens und als Inspiration für eure Kunst?
RS: Wien ist unsere Homebase, wohin wir mit unseren gesammelten Materialien zurückkehren und in Postproduktion unsere Arbeiten erstellen. Die meisten unserer Partner*innen für technische Produktion, wie etwa für unsere pneumatischen Objekte, sind in der Stadt.
MH: Inspirierend ist die traditionell enge Verschränkung von Kunsthandwerk, Design und den visuellen Künsten, nicht nur bekanntermaßen im Wiener Jugendstil, sondern auch in Sammlungen wie etwa der Kunstkammer im KHM. Wir haben selbst auch mehrfach mit der Vienna Design Week kollaboriert, beispielsweise mit der Firma J.L. Lobmeyr 2018 oder ganz aktuell mit unserer neuen Werkserie von KI-Objekten.
Was ist „Palaces & Courts“? Welche Ziele oder Absichten verfolgt ihr mit „Palaces & Courts“ in Bezug auf die Darstellung von Ausstellungen und deren Beziehung zur Welt?
MH: Palaces & Courts ist eine künstlerische Strategie die sich, unter Einbindung vermittelnder Software, mit dem Wiederaufleben einer historischen Ausstellungssituation im virtuellen Raum befasst. Dazu nutzt Palaces & Courts als Blaupause historische Zeitdokumente und verschränkt den Text der Autorin Juliet James zur US-Amerikanischen Weltausstellung des frühen 20. Jahrhunderts – ein Prototyp der Universal – bzw. Mehrspartenauasstellung – mit dem Führer durch das Historische Museum des Rudolfinums in Klagenfurt von K. Baron Hauser aus 1884. Diese Textpassagen beschreiben auf enzykloplädisch–poetische Art und Weise Ausstellungsräume und Artefakte, u.a. architektonische Details, Raumgliederungen, Materialbeschreibungen, akkurate Aufzeichnungen der gesamten ausgestellten Botanik sowie indigenes und westliches Mythologiewissen zu Skulpturen und Friesen.
RS: Die Grundidee ist die Imagination von kultureller und künstlerischer Produktion im Internet. Da es sich hier um einen virtuellen Raum handelt, können Artefakte, Räume und Inszenierungen nicht über ihre eigentliche Materialität diskutiert werden. Die hier angewandte Methode ist es, imaginierte Bilder zu schaffen, die erst im Kopf der Betrachtenden entstehen und eigene Assoziationsräume ermöglichen. Jeder kann eigenen Weg durch Palaces & Courts gehen: www.palacesandcourts.com
Das Projekt wurde im Rahmen des Digital Call 2021 gefördert, mit freundlicher Unterstützung von Land Kärnten und BMKOES Wien. Die Strategie wird seitdem von Markus Hanakam & Roswitha Schuller und Paula Marschalek angeleitet.
An welchem Projekt arbeitet ihr derzeit?
RS: Aktuell arbeiten wir an Synthographien, dabei entwickeln wir mit Zuhilfenahme verschiedener Bild-KIs Darstellungen von stereotypisierten Berufsgruppen im Stil von Rokoko-Porzellanfiguren. Die Typologien dieser historischen Referenzobjekte – Darstellungen des „einfachen“ Volks in edlen Materialien für die Eliten – werden so digital in gegenwärtige prekäre und marginalisierte Berufsgruppen übersetzt. Sie formulieren erneut Fragen zu Klassismus, Salonkultur, Kunsthandwerk und Alltagstechnik. Diese „Metiers“ waren zuerst im Rahmen der Vienna Design Week 2023 zu sehen und die Wiener Galerie Krinzinger wird sie Mitte Oktober bei der Paris Plus zeigen.
MH: Wir sind zu Zeit nicht in Wien, sondern mit einem Artist-in-Residence Programm in Andratx, Mallorca. Die Residency wird mit einer Soloschau in der angeschlossen Kunsthalle abschließen, wo wir unser digitales Trompe-l’œil GROTTO, ein 3D-animiertes GROTTO, eingebettet in eine ornamental gestaltete Höhle zeigen werden. Das Werk spielt in diesem fiktiven Grottenszenario mit dem Element Wasser als Erzählerstimme. Die Erzählstimme basiert auf Ovids Versen aus den Fasti nämlich der Egeria-Szene, in der sich die Wassernymphe, die Figur einer weiblichen Beraterin, in die Quelle selbst verwandelt. Die Arbeit ist ein spielerischer Kommentar zu den meist anonymen Designs der Youtube-Relax-Screens.
Hanakam & Schuller – www.hanakam-schuller.com
Hanakam & Schuller arbeiten seit 2004 als Duo, Ausstellungs- und Festivalbeteiligungen, sowie kuratorische Tätigkeit im internationalen Kontext. Präsentation ihrer Arbeiten unter anderen im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Eyebeam Center for Art and Technology, New York, Palais de Tokyo, Paris, Garage Center for Contemporary Culture, Moskau, MAK Museum für Angewandte Kunst /Gegenwartskunst, Wien und MAK Center Los Angeles. Aktuelle Soloshows umfassen Kunstraum Lakeside, Klagenfurt (2019), Muzej—Museo Lapiadarium Novigrad (HR, 2019), MAK Center for Art and Architecture Los Angeles (2022), CCA Andratx (2023).