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Wien Kunst

Céline Struger im Interview

Céline Struger beschäftigt sich mit Skulptur und Installation. Ihr Fokus liegt in der Neuverhandlung von Orten, sie befasst sich mit den Themenschwerpunkten Post-Kapitalismus, Ökologie, Mythologie und menschlicher Wahrnehmung. Dabei greift sie in ihren Bodenskulpturen (”Floor Stills”) die reduzierte Formensprache der Moderne auf, denen sie opulente, semi-figurative Keramikskulpturen gegenüberstellt.
Bong Eyed Borealis I, Installationsansicht Kunstraum Gärtnergasse Dimension variabel
Stahl, Wasser, Tusche 2018
 FC: Flavio Palasciano
Bong Eyed Borealis I, Installationsansicht Kunstraum Gärtnergasse Dimension variabel Stahl, Wasser, Tusche 2018; Foto: Flavio Palasciano

Céline erhielt Stipendien von AIR Krems, dem Québec Art Council und der Daegu Art Foundation. Sie stellte im MODEM Debrecen, dem Forum Stadtpark und dem Kunstraum Kreuzberg Bethanien aus. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Wien.

Künstlerin Celine Struger, Foto: Detlef Löffler
Künstlerin Céline Struger, Foto: Detlef Löffler

Womit beschäftigst du dich?
Zu den großen Fragestellungen, mit denen ich mich befasse, zählen: Was kommt nach dem Kapitalismus? Inwieweit nimmt die Menschheit Einfluss auf das Evolutionsgeschehen der übrigen Erdbewohner? Welche Archetypen menschlichen und tierischen Zusammenlebens liegen unseren aktuellen Wertesystemen zu Grunde?Und schließlich: Wie können wir unsere historisch gewachsenen Weltanschauungen so ändern, dass wir sie in eine zeitgemäße, posthumanistische Ethik integrieren können? Zum Beispiel: Warum wird ein hundert Jahre altes Konstrukt wie das „Wirtschaftswachstum“ von allen industrialisierten Gesellschaften als langfristig erstrebenswerte Größe angenommen? Max Frisch hat in diesem Zusammenhang der TU Berlin anläßlich seiner Ehrendoktorwürde fünfundzwanzig Fragen zu Technik, Entwicklung und Gesellschaft gestellt. Die neunte Frage lautete folgendermaßen:

Die Dinosaurier haben die Erde 250 Mio. Jahre beherrscht. Wie stellen Sie sich vor, das Wirtschaftswachstum über die nächsten 250 Mio. Jahre „aufrechtzuerhalten?“ Und diese Frage beschreibt mein allgemeines künstlerisches Interesse ziemlich genau: Kapitalismuskritik, Dinosaurier und Artverwandtes.

Aktuell befasse ich mich mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie dem #meetoo-Movement und dem dafür errichteten Medusa-Denkmal an der Wall-Street und #freebritney. Im Gegensatz zur herkömmlichen kunstgeschichtlichen Darstellung hält hier Medusa den enthaupteten Kopf Perseus’ hoch. Das klingt theoretisch gut, aber praktisch erhielt leider ein männlicher Künstler den Auftrag. So steht mit Medusas nacktem Körper eine weitere Manifestation des Male Gaze für die Opfer patriarchaler Gewalt. Und das gab mir die Motivation mich in die kunstgeschichtliche Bearbeitung des Mythos zu vertiefen und schließlich auch skulptural zu bearbeiten.

Celine Struger
La Grande Coupure, Detail 120x90x25 cm Ton, Steinzeug, Altmetall, Tombakketten, 2021 Foto: Daniel Hosenberg

Welche Aufgabe hat Kunst heute?
Kunst hat die Aufgabe Freiräume einzufordern, und das auf gesellschaftlicher und individueller Ebene. Innerhalb der Gesellschaft hat sie die Funktion ihre Fühler auszustrecken und die zukünftigen Herausforderungen der jeweiligen Generation in zugespitzter Form abzubilden. Auf individueller Ebene kann sie dem/der Einzelnen sowohl in der Produktion, als auch in der Rezeption ein Stück Freiheit von vorgekauten Inhalten, wie man sie in der Unterhaltungsindustrie findet, bieten. Eine weitere zeitgemäße Aufgabe ist es Fragen zu gesellschaftlichen Umwälzungen durch interdisziplinäre Pionierarbeit zu stellen. Das kann innerhalb des künstlerischen Outputs erfolgen, – Stichwort Ökologie, aber auch innerhalb der künstlerischen und institutionellen Praxis. Ein Beispiel dafür sind neu gegründete Artist-in-Residencies, welche die Klimakrise nicht nur inhaltlich, sondern ganzheitlich bewältigen wollen.

wien studio views
Im Studio. Foto: Daniel Hosenberg

Ich war vor zwei Jahren in der Auswahl für ein Programm, das mit einem Meeresforschungsinstitut kollaborierte und von den KünstlerInnen „full sustainability“ auch innerhalb der Produktion einforderte. Das bedeutet, dass nicht nur die Unterbringung und Versorgung der KünstlerInnen 100% energieneutral (Solarstrom, vegane Ernährung aus dem hauseigenen Gewächshaus) erfolgen sollte, sondern dass auch 99% der für die Kunstwerke verwendeten Materialien biologisch abbaubar sind. Also auch kein Zement, kein Zinkoxid, kein Bitumen und schon gar kein Epoxidharz. Ich musste mir an dem Punkt eingestehen, dass ich zumindest in meinem künstlerischen Output (noch) nicht auf diese industriellen Materialien verzichten möchte und dass ich die Kriterien für diese Residency deshalb nicht erfüllte. Aber ich finde es großartig, dass einige Institutionen eben diese Vorreiterrolle einnehmen und dadurch ökologisches Bewusstsein innerhalb der Kunstwelt promoten, was in weiterer Folge einen gesamtgesellschaftlichen Wandel einleiten kann.

Wovon lässt du dich inspirieren?
Von den Landschaften, in denen ich aufgewachsen bin, Windspielen, Vogelscheuchen, gekippten Gewässern. Erinnerungen an die eigene Jugend bieten einen Pool an authentischen, originären Eindrücken, welche das spätere Ästhetikempfinden prägen wie nichts anderes. Ich bin in einem Bergarbeiterdorf an der österreichisch-italienisch-slowenischen Grenze aufgewachsen. Es ist immer noch ein Industriegebiet mit der größten Müllverbrennungsanlage der Region. Durch einen Umweltskandal, der in den 1990er Jahren ans Licht kam, sind die Böden und Gewässer vergiftet und können nicht anderweitig, z.B. landwirtschaftlich genutzt werden. Aus diesen Flüssen fischte ich als Kind ausgebleichte Knochenstücke heraus, beeinflusst von der Popkultur der Zeit („Jurassic Park“) hielt ich diese für Dinosaurierknochen. Ich setzte die Einzelteile zu Skeletten zusammen und ergänzte die fehlenden Teile mit selbstgebastelten Prothesen. Dann stellte ich diese Exponate im Keller meines Elternhauses aus und verlangte dafür von den Kindern aus der Nachbarschaft sogar Eintritt. Später fand ich heraus, dass die Knochen aus einem italienischen Schlachthof über der Grenze stammten. Sie wurden damals noch einfach in den Fluss geworfen und durch Tierbefall und Erosion blank gewaschen. Je länger ich künstlerisch tätig bin, desto mehr wird mir bewußt, wie sehr diese Erfahrungen meinen ästhetischen Output beeinflussen.

Wie wichtig ist das Publikum für deine Kunst? Welche Rolle nimmt es ein?
Der öffentliche Raum bietet eine Möglichkeit, kunstfernen Gesellschaftsgruppen Kunst zugänglich zu machen. Und da ich selbst kunstfern sozialisiert wurde, ist es mir besonders wichtig, dass mein Werk von unterschiedlichen RezipientInnen wahrgenommen wird. Kunst soll natürlich im und für den professionellen Diskurs entstehen, aber eben nicht nur. Daher versuche ich die Formensprache meiner Skulpturen auch mit popkulturellen Referenzen aufzuladen und einen gewissen Witz darin zu verpacken. Letztes Jahr baute ich für die Notgalerie (Ausstellungsprojekt von Reinhold Zisser) eine 3,20 Meter hohe Skulptur im öffentlichen Raum in der Seestadt Aspern Nord. Sie sieht wie ein Totempfahl aus einem Mad-Max-Film aus, mit Vogeltotenköpfen und Schnappfallen daran. Noch vor der Eröffnung avancierte es zu einem beliebten Fotoobjekt, vor allem Familien mit Kindern besuchten es und teilten es auf Social Media. Ein Objekt gewinnt im öffentlichen Raum an Mystik, wenn es nicht sofort als Kunstwerk einzuordnen ist. Es sickert ins Unterbewusstsein jener, die täglich daran vorbeigehen. Und daran möchte ich in meiner Arbeit anknüpfen.

Hast du eine Kraftquelle? Wie verbringst du deine Freizeit?
Ich gehe gern an Gewässern spazieren und sammle interessanten Müll, am liebsten ausgebleichte Plastikstücke, Glas und korrodierte Metalle. Ich schlafe gerne lange, spiele Schach und Super Mario und telefoniere mit meiner Mutter. Seit fast zwei Jahren schreibe ich an einem Roman. Immer wenn es in der bildenden Tätigkeit stockt, dann finde ich wieder dahin zurück, streiche daran herum und beginne von vorn. Der Text handelt von einem Schriftsteller, der an einer Schreibblockade leidet. Er überwindet diese schließlich, indem er eine riesengroße Installation baut. Sie beginnt als Textcollage, geht dann in die dritte Dimension über und nimmt seinen Wohn- und Arbeitsraum bald so ein, dass er seine Küchenkästen nicht mehr aufbekommt und nur mehr Cornflakes direkt aus der Packung ist. – Aber im Moment liegt der Text brach und das ist wahrscheinlich auch gut so.

Was ist dir im Leben wichtig?
Den Körper ausreichend gesund zu halten, um bis ins hohe Alter unabhängig künstlerisch tätig sein zu können. An unterschiedlichen Orten zu leben und zu arbeiten. Ich hatte das Glück in den letzten vier Jahren vor der Corona-Pandemie Arbeitsstipendien in Paris, Budapest, Berlin, Südkorea und Kanada annehmen zu können. Im Wald in Brandenburg habe ich einmal einen Wolf gesehen und am Katamaran in Québec einen Beluga-Wal. Solche Erlebnisse sind mir wichtig, da das diejenigen sind, an die man sich am Ende seines Lebens erinnert. Und Familie.

2021. Was hast du für die nächste Zeit geplant?
Im Mai geht es auf eine Artist-in-Residence nach Kärnten. Dort arbeite ich mit der Berliner Künstlerin Eva Funk an einer „fake excavation site” – einer „Fake” Ausgrabungsstätte im Marmorsteinbruch Krastal. Dafür werden wir mit einem Paläontologen und Geologen vor Ort an einem interdisziplinären Projekt zusammen arbeiten. Die dazugehörige Ausstellung findet dann im September statt.

Am 12. Juli 2021 eröffne ich meine Ausstellung „Goodbye Horses” in der MQ Art Box im Museumsquartier. Darauf freue ich mich besonders, da ich dafür eine neue, großflächige Wasserskulptur plane und umsetze, die zu dem Zeitpunkt dann hoffentlich auch wieder jede Menge an Besucherinnen und Besucher des MQ sehen können.

Céline Struger – www.instagram.com/celinestruger