Wie entstehen deine Arbeiten?
Jede meiner Arbeiten entsteht unter anderen Voraussetzungen, hat einen anderen Ausgangspunkt und braucht im Prozess eine eigene Art von Zuwendung. Die Arbeiten der letzten Monate haben aber etwas sehr tagebuchartiges, weil ich versucht habe, meine Erfahrungen in diesem Isolations-Winter sehr direkt festzuhalten. Ich denke, unsere Erlebnisse in diesem letzten Jahr haben unsere Sicht auf die Welt, und darauf, was wir als Realität ansehen, schon stark verändert. Wie teilt man sich mit, wenn die Kommunikationskanäle virtuell sind, die realen Begegnungen eingeschränkt? Was macht es mit unserer Wahrnehmung, wenn wir einander öfter auf Zoom sehen als in real life, wenn ich dich nicht mehr direkt anschauen kann und mich entscheiden muss, schau ich in die Kamera über deinem Gesicht am Bildschirm, oder schaue ich unter der Kamera vorbei in dein Gesicht? So oder so werden unsere Blicke sich nie direkt treffen, obwohl wir versuchen, einander anzusehen.
Ich beginne meine Arbeiten dann damit, zu solchen Gedanken konkrete Motive zu finden, die ich dann direkt auf dem Malgrund – Papier, Holz oder Leinwand – skizziere. Dabei arbeite ich an mehreren Bildern parallel, damit ich bei jeder einzelnen Arbeit Pausen machen kann um mich zu fragen: Was braucht das Bild als nächstes?
Was ist mit ihm im Prozess passiert, womit ich vielleicht anfangs gar nicht gerechnet hatte? Jeder folgende Handgriff ist ein Dialog mit dem, der zuvor passiert ist.
Welche Inspirationsquellen nutzt du?
In den letzten Monaten ist mein Umfeld viel stärker in meine Arbeit eingeflossen. Deswegen finden sich auf den Bildern meine Schlapfen oder Fragmente aus eigenen Fotos. Die Lebensrealität beschränkt sich aber ja trotzdem nicht nur auf die Dinge, die uns real umgeben, sie erstreckt sich auch auf das, was wir an Medien konsumieren – in Büchern, Fernsehserien, sozialen Medien, Filmen, Videospielen, digitalen Sammlungen von Museen oder virtuellen Bibliotheken wie archive.org. Durch die Übersetzung in Malerei entstehen Unschärfen, Fehler und Unerwartetes, die die fertigen Bilder zum Teil sehr weit von ihrem Ausgangspunkt wegführen.
Was an deiner Arbeit ist intuitiv, was ist konzeptuell?
Ich denke, jede Arbeit hat Anteile von beidem. Es gibt bei jedem Motiv gedankliche Verknüpfungen, die über das Bild an sich hinausreichen – sonst würde ich wohl völlig auf die Repräsentation von konkreten Gegenständen verzichten. Aber das Malen an sich ist ein intuitiver Prozess, ein Austesten verschiedener Möglichkeiten, ein Treffen von schnellen Entscheidungen. Die Analyse kann bei mir erst richtig beginnen, wenn eine Arbeit fertig ist, denn während dem Prozess können Bildelemente wichtig werden, die ich am Anfang vielleicht als nebensächlich gesehen habe.
Was ist aktuell deine liebste Ausdrucksweise?
Meine liebste Ausdrucksweise ist Karaoke. Das Aneignen von Texten, Melodien und Inhalten, die schon da sind, durch die eigene Umsetzung aber ein anderes Leben eingehaucht bekommen. Das meine ich ganz wörtlich, wenn ich für mich selbst in meiner Küche einen Song performe, aber auch im übertragenen Sinn auf Malerei oder Schreiben bezogen.
Wie hast du das letzte Wochenende verbracht?
So, wie ich gerade meinen ganzen Sommer verbringe: Zum Teil im Atelier, obwohl es dort nach ein paar Stunden zu heiß wird. Zum anderen Teil mit Freundinnen und Freunden – und Bier – im Park, und alleine mit einem guten Buch.
Hast du ein Ritual?
Nicht für das eigentliche Malen, aber generell, um meinen Tag zu beginnen. Absurderweise wird dieses Ritual immer ein bisschen länger, mittlerweile brauche ich nach dem Aufstehen zwei Stunden, um es zu absolvieren. Es beinhaltet eine große Kanne grünen Tee, Yoga und ziemlich viel Zeitunglesen.
Was wissen die wenigsten über dich?
Mein Arbeitsplatz im Atelier ist selten wirklich aufgeräumt, Werkzeug, Pinsel, Papier bleibt meist liegen, wo es hinfällt und ich merke gar nicht, dass der Raum um mich herum immer chaotischer wird. Was mir aber bei all dem Chaos wichtig ist: Meine Pinsel zu waschen. Ich hasse Putzen, und auch zum Aufräumen muss ich mich zwingen, aber vorsichtig die Farbe aus den Pinselhaaren zu streifen, bis ihre Naturfarbe wieder zum Vorschein kommt, das mache ich wirklich liebend gerne.
Pläne für die Zukunft. Woran arbeitest du?
Im Moment bereite ich meine Einzelausstellung im Bildraum 07 vor, die im Oktober stattfinden wird. Ich bin gespannt darauf, wie die Gemälde, die im letzten Jahr entstanden sind, von ihren ersten Betrachterinnen aus Fleisch und Blut wahrgenommen werden. Und ich bin auch gespannt, wie sich meine Arbeit verändern wird, jetzt, wo es wieder mehr Austausch gibt. Außerdem hat sich in letzter Zeit viel Textmaterial angesammelt – ich schreibe parallel zu meinen Gemälden und möchte zur Ausstellung auch eine kleine Publikation herausbringen, die einen Einblick in diese Texte gibt.
Titania Seidl – www.titania-seidl.net