Venedig Kunst

Gewächshaus des Widerstands

In jüngster Zeit mehren sich die Ausstellungen, die die Verflechtungen zwischen Botanik, Kolonialismus und Körperpolitiken aufzeigen - hierunter zuletzt Orchidelirium. An Appetit for Abundance (23.04. – 27.11.2022), NOT YOUR ORNAMENT (15.09. – 12.11.2023) und Greenhouse (20.04. – 24.11.2024).
Kristina Norman, Bita Razavi, Orchidelirium. An Appetit for Abundance, installation view,
Estonian Pavilion at La Biennale di Venezia 2022, photo: Luke Walker, CCA Estonia.
Kristina Norman, Bita Razavi, Orchidelirium. An Appetit for Abundance, installation view, Estonian Pavilion at La Biennale di Venezia 2022, photo: Luke Walker, CCA Estonia.

Im Zuge der Venedig Biennale 2022 verbildlichen die Künstlerinnen Kristina Norman und Bita Razavi für den estnischen Pavillon im Zuge der Ausstellung Orchidelirium. An Appetit for Abundance die Verbindungen zwischen Kolonialismus und Botanik anhand einer raumgreifenden Multimediainstallation. Mai Ling denkt in der Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT in der Wiener Secession diese Verbindungen weiter und ergänzt sie um die rassifizierte und vergeschlechtlichte Denklehre des Ornamentalismus. Anstatt wie ihre Kolleginnen die Kausalitäten anhand der populären Zierblume Orchidee darzustellen, nutzt das Kollektiv die Historie der asiatischen Kudzu-Pflanze, erst als Zierpflanze, dann als invasiver Schädling und heute in vielen Ländern verboten, für ihre Narration. Somit lädt das Ausstellungskonzept des multihybriden Künstler:innenkollektivs auf eine Reise ein, die den hegemonial-patriarchalen Blick auf Körper und Pflanzen in Frage stellt.

Im ersten Ausstellungsteil offenbart sich dem Publikum die Zweikanal-Videoinstallation Becoming Stickiness, die anhand der Essenz der Kudzu-Pflanze deren Klebrigkeit zum einen als ungewünschte Lästigkeit und gleichzeitig Solidaritätsmoment à la „sticking together“ parallel zu Migrationserfahrungen versteht. Diese Referenz verstärkt sich durch die fließend-performative Darstellung asiatisch-gelesener Körper als Teil der Pflanze selbst im Rahmen der Videoarbeit. Der letzte Raum illustriert die Verstrickungen zwischen Kolonialismus und Alltagsleben, indem unterschiedlichste Gewächse von Ficus elastica bis Dracaena sanderiana und mit diesen die Vielstimmigkeit von Mai Ling zur Sprache kommen. Zeitgleich schmücken ornamentale Wandtapeten den Raum und untermalen die Parallelen zwischen humaner und botanischer Erfahrung weiter. Die Sinnlichkeit des Ausstellungsraums fußt im rötlichen Infrarotlicht, für das Überleben der Pflanzen unabdingbar, sowie in der Haptik der Pflanzen und ihres Nährbodens im White Cube.

Die Ausstellung NOT YOUR ORNAMENT besticht vor allem durch ihren ortsspezifischen Charakter. So deklariert bereits Adolf Loos Österreich per se als „Wiege der Ornament-Seuche“.¹ Die Verflechtungen zwischen Jugendstil, Ornamentik und Naturdarstellungen sind ubiquitär, formuliert sich doch das geometrische Ornament als Abstraktion der Natur. Eine Ausstellung, die den Vergleich des Ornaments als Schmuck ohne narrative Bedeutung mit der gelebten Erfahrung (nicht nur) asiatischer Frauen als dekoratives Accessoire suggeriert, ist demnach insbesondere in der Secession wirkmächtig. So illustriert die Schau die kunsthistorische Zeitgeschichte der Avantgarde von einer dekorativen Vergangenheit zu einer dekonstruierenden Gegenwart.

Während Krista Norman, Bita Razavi und Mai Ling diese Geschichten insbesondere beispielhaft an einer Pflanze aufschlüsseln, beschäftigt sich das künstlerisch-kuratorische Team des portugiesischen Pavillons der diesjährigen Venedig Biennal in seiner Ausstellung Greenhouse gleich mit dem ganzen Garten – und zwar dem kreolischen Garten. Die deckenhohen gotischen Fenster und die dunkle Holzvertäfelung des Palazzo Franchetti in Venedig umschließen die raumübergreifende Installation und schützen die vielfältige Indoorlandschaft, ganz im funktionalen Sinne eines Gewächshauses, vor Witterungsbedingungen und sonstigem Unheil. Das Team des Pavillons besteht aus Mónica de Miranda, Sónia Vaz Borges und Vânia Gala und vereint künstlerische, choreografische wie wissenschaftliche Kompetenzen. Hierdurch negiert die Ausstellung eine tradierte, auf Binarität basierende Rollenverteilung von Kurator:innen und Künstler:innen und somit von Theorie und Praxis. Dies unterstreicht die Intention einer Installation, die sich als antihegemonial positioniert und in Zuge dessen die Beziehungen zwischen Grund, Land, Grenzen und Körperpolitiken hinterfragt.

Beim Creole Garden handelt es sich um ein Stück Land, welches Sklav:innen erhielten, um dieses für den Eigenbarf zu kultivieren. Diese Gärten bestachen durch ihre Artenvielfalt und Diversität, die sich klar von einer auf Monokultur basierenden Plantagenarbeit distanziert. Als Orte, an denen die versklavte Bevölkerung Land in traditioneller Manier bewirtschaften konnte, avancierten diese Gärten zum Symbol des Widerstands. Während NOT YOUR ORNAMENT florale Wandtapetten in den White Cube bringt, bespielt Greenhouse ein Palazzo, in welchem noch originale Barocktapetten mit floralen Elementen zu sehen sind. Das Palazzo Franchetti, ein äußerst dekadentes Gebäude in einer Stadt, die enorm von den Handelsvorteilen einer westlich dominierten Gesellschaftsordnung profitiert, wird zum Inbegriff des hegemonial, eurozentristischen Weltverständnisses. In einer Kombination aus Skulptur, Installation, Videoarbeiten, Versammlungsräumen und Soundarchiv zeigt sich die Ausstellung ebenso facettenreich wie die blühende Gartenlandschaft voller Ananaspflanzen, Farnen und Bananenbäumchen.

Trotz der unterschiedlichen Ausrichtungen und Intentionen der drei Ausstellungen eint sie doch die kulturhistorische Perspektive, mit welcher sie die Veflechtungen von Botanik und Körper lesen. Ob Orchidee, Kudzu oder kreolischer Garten – zeitgenössische Kunst hat schon seit Langem das dekoloniale Potential von oft als exotisch oder invasiv verklärten Pflanzen verstanden. Die Künstler:innen verbildlichen anhand ihrer Praxen Prozesse des Othering und dessen Folgen – so lässt sich nur hoffen, dass diese Ausstellungen von Publika auch in ihrer historischen Dimension verstanden und nicht von Monstera-Fans zum plakativen, rein ästhetischen Instagram-Post degradiert werden.

Die Ausstellung Greenhouse ist noch bis zum 24.11.2024 im Palazzo Franchetti in Venedig von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr zu sehen.


Viktoria Weber lebt als Kuratorin, Kunstkritikerin und Kulturwissenschaftlerin zwischen Wien und Riga. Ihre Praxis kreist um Themen der (Für)Sorge, Heilung, Körperpolitiken und Erinnerungskulturen. Aktuell arbeitet sie im Bereich Kuration und Ausstellungsproduktion für TUR_telpa in Riga und schreibt für diverse Kunst- und Kulturplattformen. www.viktoriaweber.eu

¹ Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen, in: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, zsm.-gestellt und komm. v. Ulrich Conrads, 2. Nachdruck, Gütersloh/Berlin 2013, S. 17.