Mit seinen aktuellen Arbeiten, die Porträts und fotografische Karikaturen umfassen, behandelt und reflektiert er Entwicklungen der Gesellschaft und visuellen Popkultur. Zum Zündstoff diverser Projekt- und Motivideen zählen für ihn auch kritische Gesellschaftstheorien und überhaupt der wechselseitige Dialog zwischen Theorie und Praxis.
Die Arbeit „Spare me your sanity“ ist von den persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven, später an Demenz erkrankten und verschiedenen Vaters angeregt und möchte vom Menschen einer spätmodernen Gesellschaft erzählen, die von Glücksversprechen und Leistungsimperativen durchzogen ist. Die Arbeit ist auch eine Auseinandersetzung mit dem philosophischen Gedanken des „kulturellen Alterns“, das sich auf Jean Améry zurückführen lässt. Améry beschreibt das kulturelle Altern als das Gefühl des Verlusts der Orientierung innerhalb sich ständig alternierenden Lebens- und Umgebungsverhältnissen. Das Subjekt, das altert, „irrt […] verzweifelt durch das Gestrüpp neuer Tonfolgen“, ästhetischer Technologien und sozialer Ordnungsgefüge dessen Epoche herum. Es befindet sich vollends dem Bann kumulativer Alienation ausgesetzt, wodurch es zwischen Selbstüberschreitung und Resignation hin und her schlägt.
Was Améry in einer existentialistischen Sprache bekleidet, nimmt in der Konsequenz das klinische Bild der Depression vorweg, die dann Menschen heimsuchen kann, sobald sie den Flexibilisierungsanforderungen eines Arbeitsmarktes nicht länger standhalten, Abstiegsängste entwickeln und die eigene Austauschbarkeit allgegenwärtiger Konkurrenzverhältnisse zu spüren kriegen.
persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven persönlichen Eindrücken eines manisch-depressiven Johannes Baudrexel ist Fotograf
Kernelement der Arbeit ist die Aneignung des öffentlichen und privaten Raumes für Performance-Einlagen, die der Künstler selbst performt. Als anonyme wiederkehrende Figur möchte er eine Anomalie in der Öffentlichkeit sein, Sehgewohnheiten irritieren und These wie Antithese zu gesellschaftlichen Tendenzen verkörpern. Dafür spielt „Spare me your sanity“ bewusst mit dem Spannungsverhältnis von Inszenierung und Dokument, indem mitunter eine Reportageästhetik aufgegriffen wird, welche die Bilder der inszenierten Realität dokumentarisch lesbar machen. Es ist aber kein rein fiktives Werk. Die porträtierte Figur tritt auf als abstraktes Subjekt realgesellschaftlicher Krisen und den psychologischen Folgen des Gefühls, ein Dasein als Anhängsel objektiver gesellschaftlicher, unüberwindbarer Kräfte fristen zu müssen.
Auf eine bestimmte Art und Weise ist „Spare me your sanity“ aber doch eine Hommage an den Vater, der in seinem Leben einen Hang zur Komik pflegte und sich mit Leidenschaft einem kunsthandwerklichen Schaffen hingab. So soll die braune, ausgezehrte Lederjacke, die der Künstler trägt und dem verschiedenen Elternteil gehörte, ein wiederkehrender Verweis auf diesen sein. Vor allem aber ist es das Temperament zur Selbstironie, die trotz der Tragik, die das Leben des Vaters mitbegleitete, ein beständiger Charakterzug von ihm gewesen, an den die Arbeit heimlich erinnern möchte.
Johannes Baudrexel – www.jbaudrexel.com, www.instagram.com/johannesbaudrexel