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Wien Kunst

Erinnerung/Gedächtnis/Archiv

Die Geschichte macht die augen zu, aber kann nicht schlafen umfasst eine viertägige Gruppenausstellung mit interdisziplinärem Rahmenprogramm, welches sich kollektiven Gedächtnissen widmet. Neben Ausstellung, Lesung, Performance und Konzert im Sehsaal findet auch ein Film-Screening im Admiralkino statt
V. l. n. r. Naa Teki Lebar, Ohne Titel, 2024. Carlos Vergara, At The End of The Day I Still Remember, 2023. No tengo señal (Material Origin), 2022. Ava Binta Giallo, Ohne Titel, 2024. Isabella Andrea Pacher, Dort, 2023.
V. l. n. r. Naa Teki Lebar, Ohne Titel, 2024. Carlos Vergara, At The End of The Day I Still Remember, 2023. No tengo señal (Material Origin), 2022. Ava Binta Giallo, Ohne Titel, 2024. Isabella Andrea Pacher, Dort, 2023.

Zwischen der bloßen Existenz einer Erinnerung und dem aktiven Prozess des Erinnerns liegt ein entscheidender Auslöser, der Zugang zu unserem persönlichen Archiv gewährt und somit das Gedächtnis auf vergangene Ereignisse lenkt. Die Ausstellung mit Veranstaltungsreihe „die geschichte macht die augen zu, aber kann nicht schlafen“, kuratiert von Anna Höfling in Kooperation mit dem Musiklabel RAIN, widmet sich genau diesem komplexen Thema. Im Zentrum steht nicht nur die Erinnerung selbst, sondern auch die Kultur des Erinnerns, das Archiv, das Verschränken von kollektivem und persönlichem Gedächtnis sowie die Problematik systematischer Manipulation, Auslöschung und des Vergessens, oft aus politischen Motiven heraus. Durch eine vielfältige Auswahl an Kunstwerken, Filmen sowie einer Performances und einer Lesung wird der Begriff der Erinnerung aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet.

Ein zentraler Aspekt, der in der Ausstellung thematisiert wird, ist die Verfestigung von Erinnerungen in verschiedenen Arten von Archiven. Diese können materieller Natur sein, wie etwa Architektur in Form von Denkmälern oder Mahnmalen, oder immateriell, wie Sinneserfahrungen, die sich in unseren Körper einschreiben. In der Performance „Betray Your Tongue: Eruptions of an Affect Alien“ wird ein begehbares Archiv erzeugt, das erforscht, wie soziopolitische Strukturen Emotionen steuern und Schuldgefühle erzeugen, die uns zum Schweigen bringen.

Es stellt die Frage, wie wir inmitten dieser Strukturen unsere sprachliche und emotionale Ausdruckskraft zurückgewinnen können.

Ein differenzierter Blick wird auch auf die Archivierung von Erinnerungen durch verschiedene Künstler:innen geworfen, darunter Isabella Andrea Pacher, Ava Binta Giallo, Leonie Seibold und Sophia Davislim. Dabei stellt sich die Frage, wie objektiv Erinnerungsarchive sein können und wie leicht sie durch fehlende Aufarbeitung ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren können. Der Film „A Message from the Future: Bosnia Meets Ukraine“ erinnert an historische Ereignisse in Bosnien der 90er Jahre, die Parallelen zum Krieg in der Ukraine aufzeigen und somit auf die Wiederholung von Geschichte hinweisen. Persönliche Erinnerungen, die auf kollektive Erfahrungen verweisen, werden unter anderem in den Filmen „Über Namen“, „Wankostättn“ oder der künstlerischen Auseinandersetzung von Carlos Vergara präsentiert und werfen die Frage auf, was erinnert und was bewusst vergessen oder ausgelöscht wird.

Begriffe wie Manipulation, Auslöschung und Vergessen sind eng mit politischen Agenden verbunden, die dazu führen, dass bestimmte Ereignisse unter den Teppich gekehrt werden. Beiträge von Künstler:innen wie Naa Teki Lebar, Kia Sciarrone, Rosa Andraschek oder die Lesung aus dem Buch „Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938-1945“ holen jedoch vergessene oder bewusst ausgelöschte Erinnerungen zurück ins Bewusstsein und geben ihnen somit eine Stimme.

Insgesamt verdeutlicht die Ausstellungsreihe, wie Erinnerungen sowohl individuell als auch gesellschaftlich konstruiert werden und wie wichtig es ist, sich aktiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um unbewusste sowie gewollte Auslöschung und Manipulation zu verhindern. Letztlich bleibt festzuhalten, dass jede Tat ihre Spuren hinterlässt und dass Erinnerung ein unverzichtbarer Bestandteil der menschlichen Erfahrung ist, sei es in körperlicher, materieller oder immaterieller Form.

Ausstellung: die geschichte macht die augen zu, aber kann nicht schlafen
Dauer der Ausstellung: 9.-12. Mai 2024
Öffnungszeiten: 11-18 Uhr [10. Mai bis 17 Uhr]

Kontakt und Adresse:
sehsaal
Zentagasse 38, 1050 Hofgebäude
www.sehsaal.at


Anna Höfling [Kuratorin, Projektleitung]:Anna Höfling studierte Kunstgeschichte, Fotografie und Kulturmanagement in Wien, Utrecht und Berlin. Sie war Mit-Gründerin und ehemalige Leiterin von Highbrow Institute, dem Art Department in der Garage Grande, sowie von dem Onlinemagazin resonanzen.store. Mit ihrer fotografischen Arbeit war sie in diversen Ausstellungen vertreten (OstLicht u.a.) und arbeitet aktuell in der Galerie Hubert Winter sowie beim Estate Birgit Jürgenssen.

Marie Hummer [Initiatorin, Projektleitung]:Nach dem Abschluss ihres Ethnologiestudiums gründete Marie Hummer 2021 das Musiklabel RAIN, welches junge Künstler:innen abseits des Mainstreams beim Aufbau einer nachhaltigen Musikkarriere unterstützt. Sie ist auch im Bereich des kreativen Schreibens tätig und gewann 2019 den Preis für junge Literatur und ein Stipendium des Literaturhaus Graz. Es folgten Veröffentlichungen in der Literaturzeitschrift barsch&friedrich.

Katharina Hoffmann ist Kuratorin, Kunstkritikerin und Kunsthistorikerin. Sie ist Mitbegründerin und war Chefredakteurin des polyphonen Kunstkritik-Blogs resonanzen.store und arbeitet als Kuratorin für die zeitgenössische Sammlung der Esterhazy Privatstiftung. Sie ist Gastautorin für Les Nouveaux Riches und sowie Autorin für mehrere Kunstkataloge.