Jedes Grüppchen wirkte auf seiner Weise sehr klassisch, und das erinnerte mich an Manets berühmtes Bild. Unsere Körper und Gliedmaßen, die Schwerkraft und das Gleichgewicht, all das lässt nur eine begrenzte Anzahl an Positionen zu, in denen wir uns entspannen und gleichzeitig miteinander interagieren können. Ich tat so, als würde ich eine SMS schreiben und fotografierte dabei heimlich diese Grüppchen mit meinem Handy.
Dann lud ich meine Tochter und drei ihrer Freunde in mein Studio ein und bat sie, verschiedene legere Outfits mitzubringen. Ich bat sie dann die Positionen nachzustellen, die ich in den Parks gesehen hatte. Mein Assistent und ich haben sie von allen Seiten fotografiert, und ich versuchte sie dann mit einfachen Linien nachzuzeichnen, als wären sie Möbelstücke.
Wie sich herausstellte, war das nicht so einfach. Ich bin es gewohnt, Fotos als eindimensionale Bilder nachzuzeichnen, aber diesmal war es anders. Wir luden die Modelle nochmals ins Studio ein und scannten ihre Körper mit einer iPhone-App. Das funktionierte besser, da die App die Verzerrungen der Fotografie vermeidet und viel mehr Information wiedergibt. Trotzdem war es schwierig, und ich musste mehrmals meine AssistentInnen bitten, meine Zeichnungen in 3D-Computermodelle umzuwandeln, die ich dann im Raum drehen und positionieren konnte. Jedes der vier Modelle nahm in seinen verschiedenen Outfits die verschiedenen Posen ein, die ich im Park beobachtet hatte, und so entstanden nach und nach rund 24 Figuren. Ich wollte diese Figuren dann in unterschiedlichen Posen wie bei einem Picknick in Gruppen arrangieren.
Ich stellte diese Statuen in eine virtuelle Galerie und verwendete VR-Brillen, um zu ihnen in den Raum zu treten. Mit dem Programm konnte ich alle 24 Figuren sehen und sie in Vierergruppen zusammenstellen. Bisher waren meine Statuen immer flach, wie ausgeschnittene Zeichnungen. D.h. ich konnte sie aus flachen Materialien wie Sperrholz-, Bronze- und Aluminiumplatten ausschneiden oder, wie zuletzt, sie ausgehend von geraden Linien aus Stahlträgern und Holzbalken bauen. Aber rechtwinkelig geschnittene Materialien funktionierten nicht bei diesen in verschiedene Richtungen gebogenen neuen Figuren. Es ist schwer zu erklären, aber man kann ein eckiges Rohr nur in eine Richtung schneiden und abwinkeln, sodass man eine bündige spitze Ecke bekommt. Sobald man versucht, da eine Drehung hineinzubringen, ist die Ecke nicht mehr bündig. Die einzige Lösung war, runde Rohre zu verwenden, die man schön sauber in alle Richtungen abwinkeln kann. Das war eine Erleuchtung für mich. Und plötzlich sah ich überall runde Rohre: Als glänzend schwarz lackierten Handlauf bei den Stiegen runter zur U-Bahn. Als glänzend weiß lackierte Absperrung in einem Fußballstadion oder als Edelstahl-Ringe am Gehsteig, an denen man das Fahrrad anhängen kann. Mit der Technik der runden Rohre war fast jeder Winkel möglich, und somit konnte ich auch Kurven darstellen.
Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit Holzstatuten aus Indonesien aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese wurden von austronesischen Volksstämmen in Borneo und Sulawesi sowie Vietnam und Sumba hergestellt. Diese Figuren sind alle sehr frontal, wobei mir bei manchen aufgefallen ist, dass die Knie gebeugt waren. Ich fand dann auch Figuren, deren Körper in der Hockerstellung waren. Das brachte mich auf die Idee, mit meiner seit Jahren verfolgten Arbeit mit flachen Materialen zu brechen. Ich beobachtete jetzt die Leute um mich mit anderen Augen und merkte, dass ihre Körperhaltung und Gliedmaßen andere Möglichkeiten eröffneten und komplexe flächige Faltungen zulassen. Auf dem Flughafen sah ich Menschen, die sich stehend oder hockend an die Wand lehnten. Und das brachte mich auf die Idee, alternativ zu den anderen Figuren eine Gruppe von Figuren zu entwerfen, wo sowohl der Boden als auch die Wand als Stütze für die Figuren zum Einsatz kommen. Normalerweise stellt ein Künstler seine Gemälde oder Skulpturen in einer Galerie aus, wo sie von Besucherinnen und Besucher besichtigt werden, die sich ebenfalls im künstlerischen Raum befinden, aber in einem anderen, parallelen Sinn. Ich wollte den Raum mit Darstellungen von den BesucherInnen selbst vollstellen. Ich habe vor, die Galerie so mit Figuren zu bevölkern, als wäre sie ein öffentlicher Park oder ein Warteraum.
Julian Opie, 1958 in London gebore, lebt und arbeitet in London. Er hat umfangreich im Vereinigten Königreich und im internationalen Raum ausgestellt, darunter Ausstellungen im Kunstverein in Köln, in der Hayward Gallery und im ICA in London, im Lehnbachhaus in München, im K21 in Düsseldorf, im MAK in Wien, im Mito Tower in Japan, im CAC in Malaga und im IVAM in Valencia, im MoCAK in Krakau, in der Tidehalle in Helsinki und in der Fosun Foundation in Shanghai, im Suwon IPark Museum of Art in Korea sowie auf der Delhi Triennial, der Biennale in Venedig und der Documenta. Die Werke von Julian Opies befinden sich in vielen öffentlichen Kunstsammlungen, darunter Tate, British Museum, Victoria & Albert, Arts Council, British Council und National Portrait Gallery in London, The Museum of Modern Art in New York, ICA in Boston USA, Sammlung Essl in Wien, IVAM in Spanien, The Israel Museum in Jerusalem und Takamatsu City Museum of Art in Japan.
Ausstellung: Julian Opie
Dauer der Ausstellung: 11.06. – 30.07.2022
Adresse und Kontakt:
Galerie Krobath
Eschenbachgasse 9, A-1010 Wien
www.galeriekrobath.at