Stillstand als Wachstum und Rückzug: ein Vergleich zur künstlerischen Praxis Stützer-Tóthovás, in der nach anfänglicher Dissonanz die eigene Rolle als Mutter zu einer zusätzlichen Facette in ihrem Künstlerinnendasein wurde. Eine Rolle, in der die Künstlerin stetig auf multiplen Ebenen um Sichtbarkeit und Bedürfnisorientierung, um Notwendigkeit und Berechtigung kämpft.
Mit der Ausstellung Der Geist des Kumbhaka in der Neuen Galerie trifft die Künstlerin einen Nerv der Kunstwelt, in der Mutterschaft bzw. Elternschaft noch immer marginalisiert wird. Denn die Frage nach den Arbeitsbedingungen und Arbeitsrealitäten von Müttern und Eltern in der Kunst- und Kulturbranche, die die Kunsthistorikerin und Kritikerin Larissa Kikol in der aktuellen Ausgabe von KUNSTFORUM International¹ stellt, berührt das laut Jori Finkel „wohl letzte Tabu der zeitgenössischen Kunst“². Die Mutterschaft ist für Stützer-Tóthová von Rückzugserfahrungen geprägt; sowohl im Alltag als auch in der eigenen künstlerischen Praxis. Diesen mutterschaftsbedingten Rückzug oder Stillstand zu identifizieren und verstehen zu lernen, nicht nur aus der eigenen Perspektive, sondern auch aus einer kunstwissenschaftlichen Position, verhalf ihr letztendlich dazu, der eigenen künstlerischen Praxis mit einem neuen Selbstbewusstsein zu begegnen und sich ihren persönlichen Erfahrungen und Narrative zu ermächtigen.
Die Kunstwelt benötigt einen strukturellen Wandel, der dafür sorgt, dass Elternschaft nicht länger ein Hindernis für die Ausübung künstlerischer und zugleich bezahlter Arbeit darstellt oder gar den kompletten Ausschluss aus dieser Welt bedeutet. In How Not to Exclude Artist Mothers (and other parents) verdeutlicht Hettie Judah, wie umfangreich dieser Strukturwandel sein muss: Angefangen bei den Erwartungshaltungen der Akteur*innen im Kunst- und Kulturbetrieb, über Kunstakademien, als auch räumliche Ressourcen wie Zugang zu Atelier- und Studioräumen, bis hin zu Residency-Programmen, kommerziellen Galerien und öffentlichen Institutionen – sämtliche Bereiche der zeitgenössischen Kunst bedürfen eines Umdenkens. Das Sichtbarmachen von Erfahrungen und Initiieren eines Diskurses, auch aus einer feministischen Perspektive, stellt einen ersten Schritt dar.
It seemed to me that I lost my feminist vision what my role in this should be. – Magda Stützer-Tóthová
In der Diainstallation Fragments and contradictions (dt.: Fragmente und Widersprüche) im ersten Raum der Ausstellung gleicht Magda Stützer-Tóthová ihre Erfahrungen als Mutter mit der eigenen feministischen Haltung ab. Die Dias basieren auf Recherchen, Überlegungen und eigenen Erfahrungen der Künstlerin und setzen sich aus einzelnen Texttafeln mit persönlichen Reflexionen sowie aus collagiertem Bildmaterial zusammen. Die Motive zeigen einerseits Abbildungen gesellschaftlicher Erwartungshaltungen an Mütter, andererseits abstrakte Masken, die auf bestimmte Aussagen und Abbildungen reagieren. Die zweiteilige Diashow zeugt von der Ambivalenz und dem transitorischen Charakter von Mutterschaft/Elternschaft. In Fragments and contradictions stellt sich Magda Stützer-Tóthová Denker*innen wie Susan Sontag, die in der Mutterschaft das Ende von Wachstum und Errungenschaften für Frauen sah, und rechnet zugleich mit dem seit der Aufklärung verbreiteten und verklärten Mutterkult als einzige Bestimmung der Frau ab. Auch wenn die Künstlerin sich selbst die Frage nach dem Bedauern – dem Regretting Motherhood – stellt, spielt es für ihre Erfahrung keine Rolle. Vielmehr kommt sie zur Erkenntnis, dass keine Mutterschafts-/Elternschafts-Erfahrung der anderen gleicht und Antworten nur in einem selbst gefunden werden können. Antworten, die sie anhand von Text- und Bildfragmenten versucht zu reflektieren. Decken sich die eigenen Erfahrungen mit den Erwartungen an das Muttersein? Welche Rolle spielen dabei überhöhte Zuschreibungen? Wurde die „natürliche“ Mutter-Kind-Beziehung als eine Illusion der Aufklärung demaskiert?
Mit der Videoarbeit 81 Tage ohne Welt im hinteren Galerieraum wagt Magda Stützer-Tóthová den Versuch, „echte“ Mutterschaft/Elternschaft zu zeigen und reiht sich damit in eine feministische Praxis der Kunstgeschichte ein, bei der durch das Darstellen realer Alltags- und Familienszenen neue „Bilder von Mutterschaft mit emanzipatorischem Potenzial“³ in der Kunst entstehen und den Diskurs öffnen. Der Charakter des Videotagebuchs, das den Alltag der Künstlerin mit ihrer zweijährigen Tochter während der Pandemie begleitet, gewährt einen ungefilterten und schonungslosen Blick und erinnert an die Methode feministischer Consciousness-Raising-Gruppen der 1970er Jahre, die durch das Teilen individueller und persönlicher Erfahrungen diese in einen strukturellen und politischen Bezugsrahmen einbetteten.
Die Mutterschaftserfahrung der Künstlerin in dieser Zeit, die durch die Pandemie verschärft wurde, ist geprägt von einem Mangel an der Ressource Zeit. Die künstlerische Arbeit ist nur während des Mittagsschlafs des Kindes möglich oder verlangt nach einer Entscheidung zwischen Sport für das körperliche Wohlbefinden oder dem Schreiben für das geistige. Eindrücklich beschreibt Stützer-Tóthová im Video ihr Gefühl zu verschwinden – durch den fehlenden (eigenen) Raum und in ihrer Rolle als Mutter – sowie die anhaltenden Schuldgefühle als ständige Begleiter, die endlose Erschöpfung und das Verlernen, den eigenen Bedürfnissen entsprechend Dinge einzufordern.
Gefühle und Emotionen, die Magda Stützer-Tóthová durch ihre Mutterschaft erfährt, verarbeitet sie auch im mittleren Ausstellungsraum in der 11-teiligen Serie Emotional Artefacts. Beeinflusst von einer Tradition des Bön Buddhismus, bei der Geister durch bestimmte Rituale besänftigt werden sollen, verarbeitet Stützer-Tóthová in den Objekten aus Ton ihre Gemütszustände. Dabei entstehen Tonmasken, die zum einen an die Bilder von Masken aus den Dias der Arbeit Fragments and contradictions anknüpfen und Assoziationen zu Geistern erlauben und zum anderen ein wiederkehrender Teil in ihrer künstlerischen Praxis sind. Ergänzt werden die Masken von Objekten, deren Form an Handschmeichler erinnern, die beruhigen und Spannung rausnehmen. Sie sind eine Art Platzhalter und zugleich Reliquien aus dem persönlichen Alltag der Künstlerin. Durch die Gipsrosa Farbe im Raum transferiert Stützer-Tóthová die Wände aus dem Video in die Galerie und schafft den räumlichen Rahmen für die mehrteilige Skulpturengruppe Face to face, bei der die an Geister erinnernden Masken sich freundlich zugewandt als Mutter und Tochter begegnen und in einen Dialog treten. Komplementiert werden die Gestalten von zwei weiteren Figuren, die zwischen ihnen am Boden stehen. Angefertigt von Ella, der Tochter der Künstlerin, wird durch die beiden Fimoskulpturen die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Tochter auf einer weiteren Ebene betont. So wie Ella es ihrer Mutter erlaubt, Teil ihrer künstlerischen Arbeit zu sein, erlaubt Magda es ihrer Tochter, Teil ihrer Einzelausstellung zu werden.
Ausstellung: Magda Stützer-Tóthová – Der Geist des Kumbhaka
Ausstellungsdauer: 14.06. – 17.08.2024
Adresse und Kontakt:
Künstler:innen Vereinigung Tirol*
Neue Galerie
Rennweg 1, Großes Tor, Hofburg
6020 Innsbruck
www.kuveti.at
Literaturempfehlungen:
Sheila Heti, Mutterschaft (Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2020).
Anne Waak, Kümmern und Kämpfen: Warum Geschlechtergerechtigkeit in Erziehung und Familie uns alle freier macht (München: Goldmann, 2023).
Moyra Davey, Hrsg., Mother Reader: Essential Writings on Motherhood (New York: Seven Stories Press, 2001).
Julie Phillips, The Baby on the Fire Escape: Creativity, Motherhood, and the Mind-Baby Problem (New York: W.W. Norton & Company, 2023).
Adrienne Rich, Of Woman Born: Motherhood as Experience and Institution, paperback ed., reissued, Women’s Studies (New York, NY London: Norton, 1995).
Rachel Cusk, Lebenswerk: Über das Mutterwerden (Berlin: Suhrkamp, 2019).
Hettie Judah, How Not to Exclude Artist Mothers (and other parents) (London: Lund Humphries, 2022).
¹ KUNSTFORUM International (Bd. 295 April-Mai 2024), Mutter-schafft. Eine Bestandsaufnahme.
² Larissa Kikol, „Liebe Mutter, du Dilemma“, in KUNSTFORUM International 295, Mutter-schafft. Eine Bestandsaufnahme (April-Mai 2024), 49.
³ Sabine Kampmann „Great Mother Artists?“, in KUNSTFORUM International 295, Mutter-schafft. Eine Bestandsaufnahme (April-Mai 2024), 130.