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Wien Kunst

Interview mit Angela Andorrer

Die Performance CANTUS KLIMA ist eine strenge Sprechperformance, bei der fragile Blattobjekte als Symbole des Überlebens in religiösen Monstranzen öffentlich zur Schau gestellt werden. Im Interview mit Angela Andorrer erfahren wir mehr über diese Inszenierung.
© Tom Poe
Cantus Klima 2023 | Künstlerhaus Wien 2023 © Tom Poe

Kannst du CANTUS KLIMA erklären? Wobei handelt es sich?
CANTUS KLIMA ist eine strenge Sprechperformance, bei der, begleitet von repetitiven Sprechchören, den Klima-Chants, fragile Blattobjekte in echten, religiösen Monstranzen öffentlich zur Schau gestellt werden. Bittgebete, Versprechungen und Gesten der Demut, die in unserer Kultur fast vollständig verschwunden sind, thematisieren den Umgang der Menschheit mit der Erde. Blätter werden hier zu Symbolen unseres Lebens, denn sie stellen mithilfe von Wasser und Sonnenlicht Sauerstoff her. Frei nach dem Motto „worship nature instead of old bones“. Im Mittelpunkt steht eine Figur, die Vermittler sein soll und mahnend die „Naturmonstranz“ hält. Sie sollte eine Verbindung zwischen Erde und Himmel darstellen, daher dieser Umhang, auf dem Erdoberfläche, Wasser, Berge und Himmel dargestellt sind.

Ich berühre mit dieser Performance Aspekte wachsender gesellschaftlicher Verzweiflung und ein Bedürfnis nach Irrationalem, nach Ritualen sowie Rausch und Vergessenheit, nach Auflösung des Individuellen in der Gemeinschaft. Seit 2023 beteiligen sich auch manchmal die Klimaaktivist:innen Red Rebels am CANTUS KLIMA mit ihrem ungemein bildmächtigen Aussehen und ihrer friedlichen Protestform. Die Red Rebels sind eine internationale Performance Gruppe, die aus der bekannten Klimaaktivist:innen Extinction Rebellion (XR) hervorging, die ‚gegen das Aussterben‘ und für das Leben rebellieren.

Blatt-Monstranz No 1 (Leihgabe Stift Klosterneuburg) © Angela Andorrer
Blatt-Monstranz No 1 (Leihgabe Stift Klosterneuburg) © Angela Andorrer

Was ist der Unterschied zur Performance letztes Jahr?
Letztes Jahr wurde der CANTUS KLIMA im Künstlerhaus Wien inszeniert, auf der architektonisch großartigen, sogenannten „Kaiserstiege“. Im Mittelpunkt die Klimaschamanin mit der Blattmonstranz und die Red Rebels bewegten sich dort nach einer Choreografie mit Gesten, Posen und Klimagebeten. Am Ende gab es die Deklamation und dann zogen wir aus dem Künstlerhaus aus. Dieses Jahr handelt es sich um eine viel umfangreichere Zwei-Tages-Performance, die den ländlichen mit dem urbanen Raum verbindet und eine Co-Produktion der Klima Biennale Wien und dem Forum Anthropozän ist. Der CANTUS beginnt im unglaublich idyllischen Ort Heiligenblut mit seiner berühmten Wallfahrtskirche St. Vinzenz vor dem Großglockner und bewegt sich von dort nach Wien, über das KunstHaus bis mitten ins spirituelle Zentrum des Landes, zum Stephansdom. Im lauschigen Innenhof des KunstHauses stimmen wir uns auf den CANTUS-KLIMA-Walk ein: Erst kann man zu sehen, wie sich die Red Rebels zu diesen wunderschönen roten Gestalten schminken und verwandeln. Dazu spielt der junge Wiener DJ und Musiker Luke Kopf Beats, die er für den CANTUS geschrieben hat und dazu werden die Klimachants mit der Sprechchortrainerin Evgeniya Lianskaya-Lininger geprobt. Wer nöchte, kann sich beteiligen: „We change our way of life to protect our children“ und „We must make friends with natur, ‚‘cause nature makes the climate on which we depend.“ Dann ziehen alle gemeinsam zum Stephansdom, wo uns Toni Faber empfängt und die Deklamation passiert. Meine Intention ist, dass die Klima-Chants sich verselbständigen und von Vielen gesprochen und gesungen werden, in Gedanken, so wie Gebete oder Mantras, im Alltag, auf Clubbings, auf Eröffnungen, Konzerten und anderswo, und im Prinzip unser Handeln beeinflussen. Beim letztjährigen Cantus Klima sagten mir einige Leute, dass der Text und Rhythmus noch Tage lang quasi „in ihnen weitergelebt hat“. Das wäre mein Ziel.

Was zeichnet deine Arbeit als Künstlerin aus?
Ich sammele, trockne, konserviere Blätter und bewahre sie vor ihrem natürlichen Zerfall. Dann bemale und besticke ich sie mit Farbe, Faden und Perlen. Auf das Pflanzenblatt habe ich mich konzentriert, denn Blätter sind die Lebensgrundlage für Mensch und Tier. Damit sind sie Überreste lebenserzeugender Prozesse und werden zum Sinnbild und zur Reliquie unseres Lebens auf der Erde. Sehr oft sammele ich von Blattparasiten, Pilzen, Insekten und Schnecken beschädigte oder zerfressene Blätter. In gewisser Weise führe ich die Arbeit der Parasiten fort. Oft flicke ich ihre gebrochenen Stellen, als würde ich mich um Wunden kümmern. Ich schiene gebrochene Äste, nähe gerissene Häute in dem absurden, symbolischen Versuch die Natur zu heilen. In den Blattformen sehe ich Länder, Inseln und geologische Formationen, aufragende Berge, durch die Wege führen und Flüsse strömen und ich setze auch topografische Zeichen. Für mich ist ein Blatt wie eine antike Landkarte, die wir verlernt haben zu lesen. Ich nehme Blätter mit auf Reisen und es entsteht die „Galerie der Reisenden Blätter“. In einer anderen Werkserie bedecken große Blätter nackte, anonymisierte Körper.

Wie entstehen deine Arbeiten und wie baust du sie bei CANTUS KLIMA ein?
„Blattscapes“ sind autonome Kunstwerke und dienen auch als Aktions-Objekte in Fotografien, Videos und Performances. Ich nehme kirchliche Monstranzen, die traditionell mit heilenden Kräften von geweihten, menschlichen Überresten in Verbindung gebracht werden und tausche das Allerheiligste mit dem Blatt aus. Statt der Hostie oder der Reliquie sind es hier Blätter, die vor ihrem natürlichen Zerfall bewahrt, in den Kontext des Magischen erhoben werden. Die ‚Blattmonstranzen‘ werden dann im CANTUS KLIMA öffentlich zur Schau gestellt und werden quasi zum „Totem“. Ein Totem ist per Definition ein tierisches, pflanzliches Wesen oder Ding, das als heiliger, zauberkräftiger Helfer verehrt wird und nicht verletzt werden darf. Es symbolisiert eine mythisch-verwandtschaftliche Verbindung zwischen Menschen und einer Naturerscheinung, häufig Tiere oder Pflanzen, jedoch auch Berge, Flüsse und Quellen. Mich interessiert die Frage was uns heute heilig ist oder sein sollte. Die Verehrung der Natur ist meiner Meinung nach heute zeitgemäß und angebracht. Jedes einzelne Blatt ist für mich eine Art Kniefall vor der Schöpfung, gewissermaßen eine ‚Reliquie der Natur‘. Ich trete hier mit unserer kulturellen, religiösen Vergangenheit in einen Dialog. Der Spannungsbogen zwischen Schamanismus, Pantheismus und Christentum, zwischen Prozession und Klimademonstration ist eröffnet. Die Blätter werden zum stummen Zeugen einer Welt, in der die Menschheit sich der eigenen Lebensgrundlage beraubt.

Woher nimmst du deine Inspiration?
Ich wuchs auf von alten Landkarten und schönen Stoffen umgeben. Mein Vater war Antarktis- und Marsforschers und Professors für Kartographie und der fünfte Deutsche am Südpol. Meine Mutter war Stoffgeschäftsinhaberin und mein Opa Kostümschneider bei der Bavaria Film. Ich sticke heute immer noch mit einigen seiner wunderbaren, alten Garne. Meine ersten, klaren Kindheitserinnerungen stammen vom endlosen Weiß des kanadischen Winters (wir sprangen vom Balkon in den Schnee) und von einer einjährigen Reise mit der Familie in Mexiko, Lateinamerika und Spanien. In jedem Land durften wir Kinder uns eine Puppe in der jeweiligen Landestracht aussuchen. Ich liebte diese Puppen und spielte in Europa noch sehr lange mit ihnen. Vermutlich prägten mich die Haptik und textile Verarbeitungsweise ihrer Gewänder und ihrer Farbigkeit. Bei der Arbeit an den Blättern greife ich auf diese Materialität folkloristischer Textilien und alter Landkarten zurück.

Ich assoziiere aber auch die Kunst eines Paul Klee oder Jean Dubuffet, den pastosen Farbauftrag informeller Maler (besonders Jean Fautrier oder Franz Grabmayr), die zarten, geometrischen Arbeiten von Hilma Af Klint und die wilde Buntheit von Katharina Grosse. Künstler:innen wie Eva Hesse und Kiki Smith waren prägend für mich, bei letzterer durfte ich auch studieren. Anthony Gormley, in der Landschaft ausgesetzten Figuren, beeindrucken mich tief und ich wandere wann immer es mir möglich ist. Erst letztens war ich bei einem Gletscher, leider ein sterbender. Immer sind es die Naturgewalten, die mich faszinieren wie Gletschertore und auch Vulkankrater, in denen ich schon viel Zeit verbrachte, ob in den USA oder Neuseeland. Dann fühlst du dich absolut unbedeutend und klein. Was den Umgang mit Performances und vielen Menschen anbetrifft sind prägend Spencer Tunick (ich war nackt dabei im Ernst Happel Stadion), Hermann Nitsch und natürlich Christo und Jean-Claude.

Work in Progress | Blattscapes Anonyma (c) Andorrer
Work in Progress | Blattscapes Anonyma (c) Andorrer

Was sind deine nächsten Projekte? Woran arbeitest du gerade?
Derzeit sammele ich alte Klosterarbeiten und verbinde sie mit meinen ‚Blattscapes‘, eigentlich eine Fortführung der Blattmonstranzen. Klosterarbeiten sind wertvolle Handarbeiten, die ab dem 14. Jahrhundert in Klöstern hergestellt wurden, ab dem 18. Jahrhundert in Bürger- und Bauernhäusern, und die sich mit dem Haus oder Hof vererbten. Darin sind Bilder oder Figuren von Maria, Jesus oder Heiligen mit Perlen, Textilien, Gold aber auch Haaren und Zähnen verziert. Klosterarbeiten wurden anonym und in der Regel von Frauen hergestellt mit einer teils unglaublichen handwerklichen Meisterschaft und Akribie. In einem bewusst performativen Akt ersetze ich die Symbole des Christlichen mit einem meiner Meinung nach übergeordnetem Symbol der Schöpfung, einem Objekt aus der Natur, als zeitgemäßes Sinnbild unseres Überlebens auf der Erde. Tradiertes, lokales Wissen vergangener Zeiten verbindet sich mit dem prägenden Thema unserer Zeit, der Sensibilisierung für weltweite Klimaveränderungen. Die Blattscapes reagieren auf die Arbeit der mir unbekannten Frauen. Es geht mir hier um ein Hervorheben der Versehrtheit, Verletzlichkeit, der Schwächen – der fragilen Blätter und der anonymen KunsthandwerkerInnen. Die Werkserie heißt dann „Blattscapes Anonyma“.

CANTUS KLIMA
15./16. Juni 2024
www.andorrer.at/cantus_klimabiennale/

Angela Andorrer – www.andorrer.at


Angela Andorrer wurde in Kanada geboren, als Tochter eines Antarktis- und Marsforschers, studierte u.a. bei Kiki Smith. Ihre Arbeiten wurden international auf Biennalen, in Museen und Galerien ausgestellt. Sie wird von der Galerie Artecont vertreten.