Ein sich bedrohlich schnell drehender Traktorreifen auf einer Stahlgabel inmitten einer pechschwarzen Rampe dominiert das Ausstellungsgeschehen, welches den Besucher (un-)gewollt in eine unheilvolle Szenerie katapultiert. An den außenliegenden Wänden sind dunkle Farbflächen zu erkennen, welche in einer verschüttenden Geste auf die obere Decke hin verteilt sind.
Aus dem Nebenraum ertönen derweil Geräusche eines beschleunigenden Motors sowie die Stimme eines jungen Mannes, welcher Anekdoten aus seiner Motorradzeit in einer großformatigen, dokumentarischen Videoinstallation offenbart.
Das gesamte Narrativ der Schau eröffnet sich unscheinbar über einen neben dem Eingang platzierten Glastisch, auf welchem die Künstlerin den Besuchern ein Büchlein zur freien Entnahme anbietet. Darin skizziert wird der fiktive Charakter Gonzo, welcher seit seiner Geburt eine immense Furcht vor vertikalen Linien entwickelt hat. In sechs Kapiteln wird ein viriler Archetyp beschrieben, der in erotischer Manier eine Art Freiheit über sein Motorrad zu suchen beginnt. Als er eines Tages in einen Unfall verwickelt wird und sein Motorrad dabei zerbricht beginnt sein gesamtes Weltbild zu wanken. Sein Name ist dem Gonzo- Journalismus entliehen: ein Journalismus, der sich mit seinem subjektiven, individuellen Erleben sowie Umschreiben von Geschehen entgegen dem Rationalen, Objektivem stellt.
In der Ausstellung folgt der Betrachter nun biografischen Fragmenten aus ebenjenem Leben des Protagonisten. Die kinetische Installation „PROSTHESIS (Stand der Dinge)“ symbolisiert in beinahe bühnenartiger Manier den Unfall und dessen schmerzliches Zentrum – in Gonzos überdrehter Wahrnehmung fliegt dem „verletzten“ Motorrad ein Reifen davon, welches bizarrerweise plötzlich monumentale Größen annimmt. Einmal langsamer sowie schneller dreht und rotiert die Skulptur vor sich hin. Die Installation wurde in Zusammenarbeit mit Christoph Freidhöfer von Kunst- und Räderwerk entworfen sowie umgesetzt. In enger künstlerischer sowie technischer Kollaboration schufen sie eine schwere und mächtige Skulptur, welche beim Beschleunigen ein Gefühl von potenzieller Gefahr entlädt. Es ist übrigens bereits das zweite Projekt zwischen Joo und Freidhöfer: 2021 kooperierten die beiden bei der ebenso kinetischen Installation ARTE FACTUM in der MQ ARTBOX inmitten des Museumsquartiers miteinander.
Den Abschluss des Ganzen findet der Betrachter in einem Dokumentarfilm, welcher über sechs Bildschirme auf massiven Stahlstangen montiert einen jungen Mann porträtiert. Es ist der Bruder der Künstlerin, welcher in Segmenten über seine Beziehung zu Motorrädern, Jugendlichen und Unfälle spricht. Seien es Kommentare von Mädchen, die das laute „Angasen“ von Burschen nicht verstehen oder eine Anekdote über einen Motorrad- Kommilitonen, welcher bei einer Kollision mit einem Auto seinen Arm so stark verdrehte, dass man ihn kaum in den Rettungstransporter bekam: ob es sich bei dem Gesagten um Fiktion oder Realität handelt, bleibt stets offen.
Dies scheint indes vielleicht auch die Intention der Künstlerin. Zwischen dem kollektiven Empfinden von motorisierten Gefährten, einem verführerischen Verhältnis zu Maschinen und echtem Leben ist bloß der enge Spalt der subjektiven Wahrnehmung.
Ausstellungsdauer: 3. – 25. Mai 2022
Adresse und Kontakt
Bildraum 07
Burggasse 7-9, Wien 7
www.bildrecht.at/bildraum
Kaja Clara Joo – www.kajajoo.com
Christoph Freidhöfer – www.kunst-und-raederwerk.net