Doch gerade in diesem Widerspruch öffnet sich Raum für jene Aspekte, die Glassners Arbeit kennzeichnen: Reduktion, Meditation, Achtsamkeit, vermeintliche Passivität und Zeitverschwendung, konsum- und kunstmarktverweigerndes Nichtstun. Und all das in Mies van der Rohes Denkmal der modernen Architektur. In einem legendären Bauwerk wie der Villa Tugendhat fragt man sich fast unweigerlich:
Wirken sich die Atmosphäre, die Architektur, die Geschichte, die Ikonenhaftigkeit des Gebäudes auf die Wahrnehmung, die Denkprozesse und den Schlaf der Teilnehmer*innen aus? Auf ihre Träume? Kann man, ja darf man hier überhaupt „einfach“ schlafen, in diesem Kunstwerk?
Nicht nur, dass das Schlafen an einem solchen Ort an sich schon einen Akt der Negierung darstellt, passiert womöglich eine Raumaneignung mit Hilfe von Menschen im Ruhezustand, die in einer Funktionalität und Eleganz verkörpernden Architektur ins „Nichtstun“ kommen, in eine Art Nichtfunktionalität. Auf jeden Fall erfolgt ein Transferieren des Privaten in einen öffentlichen Raum, der ja ursprünglich ein privater war; gewissermaßen eine Rückführung an den intendierten Zweck des Wohnhauses. Kollektives Sein und Tun ist ein wesentlicher Bestandteil von Anne Glassners künstlerischer Praxis. Ihre kooperative Intervention „SENSING THE NIGHT“ ist die erste nächtliche in der Villa Tugendhat überhaupt; sie dauert eine einzige Nacht an, dokumentiert durch Video und Fotografien.
Die Teilnehmer*innen zeichnen außerdem ihre eigenen Gedanken auf; auch diese Notizbücher sind in der Ausstellung zu sehen. Aus Teilnehmer*innen werden also Kollaborateur*innen, die den Prozess und das Ergebnis aktiv mitgestalten.
Ausstellung: Anne Glassner „Sensing the night“ kuratiert von Neli Hejkalová
Dauer der Ausstellung: 4. August bis 29. August 2021
Interview mit Anne Glassner auf Les Nouveaux Riches
Anne Glassner – www.anneglassner.at
Adresse und Kontakt:
Villa Tugendhat
Černopolní 45, 613 00 Brünn
www.tugendhat.eu