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Wien Kunst

Das Werk von Sandro Kopp

Der Deutsch-Neuseeländische Künstler Sandro Kopp zeigt in der Wiener Dependance der Sammlung Friedrichshof "Stadtraum" seine konzeptuell-gegenständlichen Gemälde und Zeichnungen.
Sammlung Friedrichshof Stadtraum, Sandro Kopp. Foto: Gianmaria Gava
Sammlung Friedrichshof Stadtraum, Sandro Kopp. Foto: Gianmaria Gava

Wir leben in einer Zeit beherrscht von Naturwissenschaft und Technologie. Der Mensch hat der Natur seinen Zauber entraubt, und mittels seiner fantastischen Technologien läuft er Gefahr, die Welt zu zerstören oder sich selbst auszulöschen. Doch gleichzeitig verleiht uns die Technologie die Chance, unsere kapitalen Fehler rückgängig zu machen und das Überleben unserer Spezies für die Ewigkeit zu sichern, indem wir eines Tages extraterrestrische Lebensräume erschließen könnten.

Denn in etwa fünf bis sieben Milliarden Jahren wird unsere wichtigste und nachhaltigste Energiequelle – die Sonne – anfangen, sich zu verwandeln und dadurch unsere Erde zerstören. Denn unser liebster Stern, der unter anderem dem Sonnengott Helios und später Apollon, dem Gott des Lichts, der Heilung und der Künste, geweiht wurde, ist nichts anderes als ein riesiger Kernfusionsreaktor, der langsam aber beständig seine Ressourcen verbraucht. Mag sein, dass dieser Gedanke unendlich fern und somit bedeutungslos erscheint, aber in Pandemie-Zeiten rücken vielleicht derartige apokalyptische Vorstellungen näher in unser Bewusstsein. Vielleicht ist die „Selfie-Kultur“ unserer Zeit ein Ausdruck der kollektiven unbewussten Angst vor dem globalen Ende, als ob wir uns und unsere Liebsten mit unzähligen Megapixel-Abbildern in der Cloud tatsächlich verewigen könnten…

Seitdem überhaupt die Fotografie im 19. Jahrhundert erfunden wurde, und umso mehr heutzutage ein Smartphone perfekte Bilder „schießen“ oder beinahe cineastische Videos aufnehmen kann, erscheint es anachronistisch, mit Pinsel und Ölfarbe oder dem moderneren Filzstift Porträts oder Selbstporträts zu schaffen. Doch gerade dies macht Sandro Kopp vielleicht auch zum Trotz unserer Zeit mit einer derartigen Konsequenz und Hingabe, die zutiefst beeindruckt. So sehr ein talentierter, sensibler Künstler „klassisch“ arbeitet, so kann er auch vom Zeitgeist nicht unberührt bleiben. Und tatsächlich weht ein zeitgenössischer Geist in Sandro Kopps Werken, insbesondere in seiner Arbeitsweise, die in seiner ersten Wiener Einzelausstellung zutage tritt.

Der 1978 in Heidelberg (Deutschland) geborene Künstler, der mit zweiundzwanzig Jahren nach Neuseeland emigrierte und seit 2006 in Schottland wohnt, zeigt in der Wiener Dependance der Sammlung Friedrichshof, im sogenannten STADTRAUM, drei Werkzyklen: „The New Me III“ (2020), seine Eye-Portraits (ab 2017) und seine Lockdown-Zoom-Portraits (2020-21). Gern weise ich auf das vom Künstler verfasste prägnante „Artist Statement“ zur aktuellen Ausstellung hin, das im Folder zur Ausstellung publiziert worden ist, sowie auf mehrere interessante Texte zu den eben genannten Werkzyklen, die auf seiner Homepage abrufbar sind¹. Ich möchte mir also nicht anmaßen Neues oder Originelles zu diesen Arbeiten zu erdenken oder zu schreiben. Vielmehr werde ich versuchen, mich dem Wesen seines Schaffens bzw. den grundlegenden Fragen dieser drei Werkzyklen zu nähern.

„The New Me III“ (2020). Berühmte Selbstporträts kennen wir von Albrecht Dürer, Leonardo da Vinci, Rembrandt van Rijn, Artemisia Gentileschi, Vincent van Gogh, Pierre-Auguste Renoir, Max Beckmann und Lucian Freud, um einige wenige chronologisch aufzulisten. Angeblich gibt es Selbstporträts bereits seit der Antike, aber diese besondere Praxis konnte sich erst in der Renaissance etablieren, als der „selbstbewusste“ Künstler, so die gängigste Interpretation, sich nicht mehr als bloßen Handwerker verstand, sondern sich den Intellektuellen seiner Zeit, den Philosophen, Wissenschaftlern und Literaten gleichwertig fühlte. Auf Wikipedia steht dazu: „Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Physiognomie als allgegenwärtigem und billigem Modell zeugen viele Selbstbildnisse auch von der inneren Auseinandersetzung des Künstlers mit sich selbst, mit den eigenen sich wandelnden Stimmungen und der eigenen Vergänglichkeit.“² Das trifft auch auf Sandro Kopp zu, wobei er weit darüber hinausgeht. Sandro Kopp malte seine erste Selbstporträt-Serie 2008 („The New Me“), dann abermals 2013 („The New Me II“) und zuletzt im November/Dezember 2020 „The New Me III“, die nun in Wien gezeigt wird. Während achtundzwanzig aufeinander folgenden Tagen, einem sog. Mondmonat, setzt sich der Künstler stundenlang vor einem Spiegel und malt sich selbst. Während Sandro üblicherweise gern lächelt und sein Gesicht eine fröhliche, solare Natur ausstrahlt, wirkt sein Antlitz in den Selbstporträts besonders ernst. Das hat nichts mit Wichtigtuerei zu tun, wie dies so oft bei fotografischen Porträts der Fall ist, sondern es ist ein Ergebnis der stundenlangen Konzentration des Beobachtens bzw. Selbstbeobachtens. Gleichzeitig bekommt dadurch sein schmales, wohlgeformtes Gesicht etwas majestätisches. Das hat aber auch mit der intensiven Auseinandersetzung des Künstlers mit der spät-ägyptischen Kunst zu tun, in welcher die ersten Porträts als Grabmalkunst – die Mumien- bzw. Fayumportraits – entstanden sein dürften.

Als ehemaliger Naturwissenschaftler wirkt Sandro Kopps „malerischer Selbsterkenntnisprozess“ wie ein Experiment: der Künstler versucht gleiche bzw. ähnliche Rahmenbedingungen herzustellen, um eine Art Messung durchzuführen. Einerseits „misst“ er die täglichen „Schwankungen“ seines malerischen Schaffensvermögens. Einige Porträts sind realistischer, andere nur impressionistisch angedeutet, ein eher düsteres Selbstporträt besteht beinahe nur aus einer üppigen Bleistift-Skizze. Bei einem anderen hat man das Gefühl, die offengelegte Muskulatur seines Gesichts wiederzuerkennen. Beim einem weiteren erscheinen die Gesichtszüge wie in einem Alptraum verwischt. Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Farben um den Kopf herum, die möglicherweise etwas mit dem Gemüt des Künstlers zu tun haben. Sandro begeht auch Fehler beim Malen, er erkennt sie, korrigiert sie, aber lässt sie auch partiell als Teil seines Mal- und Erkenntnisprozesses bestehen.

Auf einer höheren, metaphysischen Ebene geht es bei diesem Werkzyklus um das „New“ und das „Me“. Was ist neu an mir? Was bleibt? Dem panta rhei (alles fließt) des griechischen Philosophen Heraklit wird die fundamentale Frage seines Zeitgenossen Parmenides nach dem Sein hinter dem Schein gegenübergestellt. Tatsächlich verändern wir uns in jedem Moment, sowohl psychisch als auch physisch. Unser Gemüt hängt von vielen Faktoren ab wie von dem gerade Erlebten, einem Satz, einer Berührung, von unserem Schlaf oder dem aktuellen Traum. In unserem Körper sterben täglich rund zehn Milliarden Zellen und ebenso viele werden neu geboren. Aber nicht nur wir, sondern auch unsere gesamte Umgebung verändert sich ständig: die Temperatur, das Klima, die Lichtverhältnisse usw.. An einem einzigen Tag bewegt sich die Erde auf ihrer elliptischen Bahn um ca. 2,5 Millionen Kilometer weiter und das Universum dürfte auch um die 6,4 Millionen Kilometer gewachsen sein. Trotz all dieser unendlichen Veränderungen scheint etwas erhalten zu bleiben, das die Kontinuität unseres Bewusstseins in der Zeit gewährt: das Ich. Es entsteht also der Eindruck, dass Sandro Kopp mittels seiner Selbstporträts gerade diese rätselhafte Konstante „messen“ möchte und dadurch schlussendlich der existentiellen Frage nach unserem innersten Wesen nachgeht: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wer bzw. was sind wir?

Sandro Kopp, Sadaf Saaz
Sandro Kopp, Sadaf Saaz

Eye-Portraits (ab 2017). Aber verlassen wir nun das Selbstbildnis und tauchen ein in die Eye-Portraits von Sandro Kopp, von denen er beinahe hundert Stück auf einer großen Wandmalerei im Stadtraum eingebettet hat. Sie stehen räumlich seinen Selbstbildnissen größtenteils gegenüber und blicken diese sowie die Besucher der Ausstellung lebendig, neugierig, verträumt oder einfach so an, wie uns hundert verschiedene Augen wohl ansehen können. Die Augen sind bekanntlich die Tore der Seele. Aber was ist diese Seele überhaupt? Handelt es sich „bloß“ um elektromagnetische Wellen, die in den hochkomplexen neuronalen Netzen unseres Hirns herumschwirren? Oder verbirgt sich etwa das Rätsel unseres Bewusstseins in makroskopischen Quanteneffekten der Mikrotubuli unserer Hirnneuronen, so wie es uns Sir Roger Penrose nahegelegt hat? Oder gibt es am Ende doch etwas, das das Physische transzendiert? Möchte etwa der Künstler mit dem byzantinisch anmutenden Hintergrund aus Blattgold, den er hinter zahlreichen Augen sorgfältig anbringt, auf diese nicht-profane, geistige Ebene hinweisen? Wenn man tief in die Augen eines Anderen sieht, entsteht manchmal ein Gefühl der Scham, so als ob der Andere uns nackt sehen könnte, unsere intimsten Gefühle, Sehnsüchte, dunkelsten sowie leuchtendsten Gedanken erahnen könnte. Vielleicht verrät uns lediglich die feine Augenmuskulatur, die im Laufe der Jahre von Charakter und Launen geprägt wird, das Innenleben seiner Träger. Was ist aber dieses Leuchten in den Augen von Kindern oder in den Augen einer geliebten Person und nicht zuletzt in Sandro Kopps Eye-Portraits? Auf den ersten Blick wirken Sandro Kopps Augenporträts eigentlich sehr materiell, sinnlich, fleischlich, würde ich sogar behaupten, so als ob sie der Maler seziert hätte und in den 10 x 10 bis 20 x 20 cm großen Holzkassetten nicht bloß aufgemalt, sondern vorsichtig eingeschlossen hätte. Bei längerem Betrachten entfalten sie dann eine eigene Lebenskraft. Sie sprechen uns an. Wir spüren die intime Beziehung zwischen ihren Eigentümerinnen und dem Maler. Bei einigen Werken kann man im Widerschein der Pupille gar den porträtierenden Maler erkennen. Die Augen gehören Familienmitgliedern, Freundinnen, höchst interessanten Persönlichkeiten und nicht wenigen Berühmtheiten, die Sandro Kopp in seinem reichen Leben in aller Herren (bzw. Frauen) Länder immer wieder getroffen hat. Die überdimensionalen Porträts entstanden in seinem Atelier in Schottland, in Kaffees, in Theatern, am Set, in Hotels, sogar auf Toiletten, wenn die Lichtverhältnisse dies so verlangten. Es ist verblüffend mit welcher Selbstverständlichkeit Sandro nicht nur die Namen der Augenbesitzer, sondern auch kleinste Details zur Entstehung dieser zahlreichen Eye-Portraits erzählen kann. Die raumübergreifende Wandmalerei, die Sandro Kopp im Stadtraum schwungvoll und von Musik inspiriert geschaffen hat, mutet wie eine Landschaft an, in der eine gelb leuchtende klosterähnliche Struktur triumphierend emporsteigt. Hier tritt auch seine nicht-figurative, gestische Vene besonders zum Vorschein, die möglicherweise auch ein aktionistisches Element in sich verbirgt. Große, monumentale nicht-figurative Arbeiten von Sandro Kopp werden insbesondere im Film „The French Dispatch“ (2020) von Wes Anderson in Kürze gezeigt.

Hana Usui, Marcello Farabegoli, Tilda, Sandro, Luki Wadlinger und Chiara Campanile
Sammlung Friedrichshof Stadtraum. Intensive Care Units von Sandro Kopp. Gruppenfoto (von links nach rechts): Hana Usui, Marcello Farabegoli, Tilda Swinton, Sandro Kopp, Luki Wadlinger und Chiara Campanile. Foto: Gianmaria Gava

Lockdown-Zoom-Portraits (2020-21). Dulcis in fundo begeben wir uns in den oberen, kabinetthaften Raum des Stadtraums der Sammlung Friedrichshof, in welchem sechsunddreißig sogenannte Lockdown-Zoom-Portraits von Sandro Kopp wie schwebend an der Wand hängen. Mit einer gewissen Gelassenheit schauen sie hinab in Richtung der Selbstporträts ihres Erschaffers. Es ist bemerkenswert wie Sandro Kopp bereits 2008 den Einfluss von Skype und damit auch seiner Nachfolger-Apps erkannt sowie künstlerisch untersucht hatte. In Bezug auf diese Porträts spricht der Künstler von einer „Mediated Presence“ (vermittelten Präsenz). Seit der Corona-Pandemie hat er vorwiegend Zoom, die gängigste der Plattformen, benutzt. Die Porträts hat der Künstler während der Onlinegespräche mit lichtempfindlichen Buntfilzstiften auf A5-formatige Blätter aus einem Skizzenbuch gezeichnet. Sie changieren von Abbildungen mit starken, eindringlichen Farben bis hin zu zarten, eher zurückgezogenen Zeichnungen. Einige Porträts sind bereits vom Licht ein wenig verblasst, was den Künstler gar nicht stört, im Gegenteil: Es handelt sich um eine gewollte Charakteristik dieser Werke, die damit auch auf unsere Vergänglichkeit hindeuten. Sandro Kopp erörtert dabei, wie die virtuelle Gegenwart dieser Menschen, mit denen er in Kontakt tretet, sich bei ihm auswirkt und manifestiert. Gerade in Zeiten einer Pandemie, in der reelle Treffen und Reisen auf das Notwendigste reduziert werden müssen, entpuppen sich Skype, Zoom & Co. als wesentliche Mittel, um menschliche Kontakte aufrecht erhalten zu können. Dieselbe Technik, die uns mit dem Blick auf unsere Smartphones fixiert durch die Welt wandeln lässt, ermöglicht uns in derartig schwierigen Zeiten eine bestmögliche Vernetzung nicht nur geschäftlich, sondern auch mit Familie, Freunden und Bekannten. In diesem Sachverhalt wird der inhärente Widerspruch der Technologie noch einmal mehr deutlich. In diesen kleinen, flüchtigen Arbeiten Sandro Kopps scheinen somit Technik und Kunst auf eine Art und Weise zu verschmelzen, die an den ursprünglichen Begriff techné erinnert. Diese scheinbar harmonische Verbindung könnte somit auch als Lösungsansatz für das angespannte Verhältnis zwischen Technik und Natur bzw. zwischen Mensch und Welt interpretiert werden.

Wir lassen uns dank Sandro Kopps Ausstellung in Wien vollständig und bedenkenlos anstecken von seiner deutlich spürbaren Liebe zur Malerei und Zeichnung, von seinem Können, seinem Enthusiasmus für Farben, von seiner Hingabe und intensiven Zuwendung zu menschlichen Gesichtszügen und Augen, an das Menschliche an sich und nicht zuletzt von seiner weitblickenden Intuition sowie positiven, hoffnungsvollen Haltung, die in seiner Persönlichkeit und in seinen Werken durchscheint.

Ausstellung: Sandro Kopp. Intensive Care Units
Dauer der Ausstellung: 3. Juni bis 30. Juli 2021

Adresse und Kontakt:
Sammlung Friedrichshof Stadtraum
Schleifmühlgasse 6/11, 1040 Wien
www.sammlungfriedrichshof.at


¹ Bezüglich der Selbstporträts „The New Me“ verweise ich gern auf den Text „Portraits for the Artist“ von Denise Wendel-Poray anlässlich der Ausstellung „Take Time“ in der Galerie Eric Dupont in Paris (2016), und bezüglich der Eye-Portraits auf den Text „The Faithful Interpreter – On the paintings of Sandro Kopp“ von Jasper Sharp anlässlich der Ausstellung „mEYEcelium“ im Palazzo Grimani Museum in Venedig (2019). Über Sandro Kopps Skype-Portraits, die er insbesondere in der Ausstellung „There You Are“ in der Galerie Lehmann Maupin in New York zeigte (2012), hat sich Carolin Ackermann im Text „Sandro Kopp – ANALOGUE“ anlässlich der Ausstellung „Analogue“ in der Galerie Antoine Laurentin in Paris (2014) auseinandergesetzt.
² https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstbildnis