Zusammen mit den Künstler:innen Eglė Budvytytė, Seba Calfuqueo, Caterina Gobbi, Nona Inescu, Josèfa Ntjam und Sophie Utikal wirft Matrix Bodies einen Blick auf die vielfältigen Verflechtungen zwischen Körper und Umwelt. Dem Kunstraum-Jahresmotto Sensing the Heat folgend, versteht sich die Ausstellung dabei auch als Anstoß, über mögliche andere Formen des Miteinanders von Mensch und Natur – jenseits von Naturausbeutung und -zerstörung – nachzudenken.
Viren haben gemeinhin keinen guten Ruf. Als Parasiten, Krankheitserreger und – nicht zuletzt – potenzielle Auslöser von globalen Pandemien stehen sie historisch vor allem für eines: Unheil. Was das heißt, haben wir in den vergangenen Jahren schmerzlich zu spüren bekommen. Und doch: Das Bild des Unheilbringers greift zu kurz. Viren sind ein integraler Part der Biosphäre. „These infectious agents“, so der Kulturanthropologe Eben Kirksey, „are world- forming as well as world-destroying. They are nomadic – constantly floating among cells, bodies, and populations, jumping species and moving between domains of life.“ (1)
Die Gruppenausstellung Matrix Bodies nimmt die Virosphäre zum Ausgangspunkt für eine Erkundung der vielfältigen sicht- und unsichtbaren Interdependenzen zwischen Mensch und Natur. Als „infectious agents“ und Grenzgänger zwischen unterschiedlichsten Systemen, organischen und anorganischen, gewachsenen und gebauten etc. stellen Viren die etablierten Dichotomien und Hierarchisierungen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Welt fundamental in Frage. Blickt man aus der Perspektive der Virosphäre auf das Kräfteverhältnis zwischen Mensch und Natur, relativiert sich der menschliche Allmachtsanspruch auf den Planeten gründlich. Welche Konsequenzen gelte es daraus für unsere Vorstellungen von Natur und Umwelt zu ziehen?
Unserem Jahresmotto Sensing the Heat folgend, macht sich Matrix Bodies zusammen mit den Künstler:innen Eglė Budvytytė, Seba Calfuqueo, Caterina Gobbi, Nona Inescu, Josèfa Ntjam und Sophie Utikal auf die Suche nach Antworten, führt an Orte, wo die Grenzziehungen zwischen Körper und Umwelt instabil werden und neue, progressive Möglichkeiten des Zusammenlebens zwischen Menschen und nicht-menschlichen Wesen aufscheinen.
Einen möglichen Entwurf für ein solches „mehr-als-menschliches“ Miteinander präsentiert Sophie Utikal mit ihrer Serie Coexisting (2018), einem vierteiligen Stoffbild-Ensemble in der Tradition der chilenischen Arpilleras: vier Stationen auf dem Weg zu einer Lebensweise – nicht gegen, sondern mit dem Planeten. Eine Naturbegegnung der besonderen Art machen wir auch in der Sound-Installation Caterina Gobbis, dem Klang-Porträt eines schmelzenden Gletschers, aufgenommen (von Gobbi selbst) auf den entlegenen Höhen des Mont Blanc. Dabei inszeniert Gobbi die schwindende Eismasse nicht nur als Zeugnis menschlichen Raubbaus an der Natur, sondern als eine lebendige und aktive Entität eigenen Rechts. Vorstellungen der Interkonnektivität (und Solidarität) zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen haben im Denken zahlreicher indigener Völker bekanntlich eine lange Tradition. Wie ein solches „symmetrisches“ Mensch-Natur-Verhältnis – auf Augenhöhe – praktisch aussehen kann, beleuchtet Seba Calfuqueos Video-Performance TRAY TRAY KO (2022). Selbst dem Volk der Mapuche in Chile angehörend, begibt sich Calfuqueo darin an einen Schlüsselort der Mapuchekultur, einen Kreuzungspunkt physischer und spiritueller Energien: den Trayenko („Wasserfall“). Um die subversiven Potenziale des Wassers geht es auch in Josèfa Ntjams Fotomontage-Serie Underground Resistance – Living Memories #2 – #4 (2022). Die Künstlerin spannt darin einen weiten assoziativen Bogen – von dem visuellen Nachleben dekolonialer Kämpfe zu den Resilienzstrategien maritimer Ökosysteme. Die Frage, wie Wasser Gestein und Landschaft formt – und die Landschaft umgekehrt den Weg des Wassers –, bildet den Ausgangspunkt von Nona Inescus Installation Meander (2020). Hartes und Weiches, Biegsames und Sprödes, begegnen uns hier nicht als abstrakte Gegensätze, sondern als Komplemente, die sich zu einem lebendigen, „viralen“ Gesamtzusammenhang fügen. Dass man „mäandernd“ weiterkommt – manchmal bis ans Ende der Welt –, weiß auch Eglė Budvytytė. In ihrer Videoarbeit Liquid Power has no Shame von 2017 lässt die Künstlerin eine Gruppe von Tänzer:innen die rauen Fjordlandschaften um das nordnorwegische Fischerdorf Henningsvær erkunden: eine sinnlich-meditative Gratwanderung zwischen den Gezeiten, an den Rändern des Kontinents und der Zivilisation.
Ausstellung: Gruppenausstellung. Matrix Bodies kuratiert von Frederike Sperling
Künstler:innen: Eglė Budvytytė, Seba Calfuqueo, Caterina Gobbi, Nona Inescu, Josèfa Ntjam, Sophie Utikal
Dauer der Ausstellung: Fr, 24.03.2023 – Sa, 13.05.2023
Eröffnung: Do, 23.03.2023, 19 Uhr
Eglė Budvytyte lebt und arbeitet in Amsterdam und Vilnius. Ihre Praxis ist an der Schnittstelle zwischen bildender und darstellender Kunst verortet. In ihren Sound-, Video- und Performancearbeiten erforscht sie die Potenziale von Bewegung und Gestik als Techniken zur Subversion von geschlechtlichen und anderen sozialen Normvorstellungen. Präsentiert wurden Eglė Budvytytės Arbeiten u.a. auf der 59. Ausgabe der Biennale di Venezia, Italien, auf der Riga International Biennial of Contemporary Art, Lettland, in der Renaissance Society in Chicago, USA, auf dem Lofoten International Art Festival in Norwegen sowie im Stedelijk Museum in Amsterdam, Niederlande.
Seba Calfuqueo arbeitet als bildende:r Künstler:in und Kurator:in am Espacio218 in Santiago de Chile und gehört den Mapuche-Kollektiven Rangiñtulewfü und Yene Revista an. Mittels Keramiken, Performances und Videoarbeiten thematisiert Calfuqueo den sozialen, kulturellen und politischen Status des Mapuche-Subjekts in der zeitgenössischen chilenischen Gesellschaft. Dabei spürt Calfuqueo unter Einbeziehung von Ansätzen aus Feminismus und Queer Theory den kulturellen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen indigenen und westlichen Epistemologien nach. Calfuqueos Arbeiten sind u.a. Teil der Sammlungen des Thyssen-Bornemisza-Museums in Madrid, Spanien, des KADIST in Paris, Frankreich, und des Museo de Arte Contemporáneo in Santiago de Chile. Gezeigt wurden ihre Werke u.a. in der Galería Patricia Ready in Santiago de Chile und in der 80M2 Livia Benavides in Barranco, Peru.
Caterina Gobbi lebt und arbeitet in den italienischen Alpen. Sie ist bildende Künstlerin und Performerin. In ihrer künstlerischen Praxis erforscht sie die Klangbeziehungen zwischen verschiedenen Lebewesen und ihrer Umwelt. Unterschiedliche Interessensträngen – elektronische Musik, Ökologie, feministische Kritik – miteinander kombinierend, schafft sie immersive Klangräume, die partizipative Formen des Zuhörens ermöglichen. Gezeigt wurden Gobbis Arbeiten u.a. im Castello Gamba, Italien, in der ZÖNOTÉKA, im Kunstraum Bethanien und im KINDL, alle Berlin, Deutschland, im Palazzo Grassi, Venedig, im LilyRobert in Paris, Frankreich, in der Chalton Gallery in London, in der Outpost Gallery, Norwich, beide Vereinigtes Königreich, und in der Karen Huber Gallery in Mexico Stadt.
Nona Inescu lebt und arbeitet zwischen Berlin und Bukarest. Sie hat am Chelsea College of Art & Design in London und an der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen sowie an der Universitatea Naţională de Arte in Bukarest studiert. In ihrer interdisziplinären künstlerischen Praxis – sie umfasst Installation, Fotografie, Skulpturen und Videoarbeiten – setzt sich Inescu mit den Beziehungsgeflechten zwischen menschlichem Körper und Umwelt in einer posthumanistischen Perspektive auseinander. Gezeigt wurden Inescus Werke u.a. im Kunstraum Kreuzberg in Berlin, Deutschland, im MAMAC in Nizza, Frankreich, im SpazioA in Pistoia, Italien, auf der Art Encounters Biennale in Timișoara, Rumänien, beim Steirischen Herbst in Graz, in der Tallinn Art Hall in Estland sowie im Museo Nazionale della Montagna in Turin, Italien.
Josèfa Ntjam ist Künstlerin, Performerin und Autorin, die in ihrer künstlerischen Praxis Skulptur, Fotomontage, Film und Sound miteinander kombiniert. Das Material für ihre Arbeiten gewinnt Ntjam überwiegend aus Internetquellen und aus naturwissenschaftlicher Literatur. Die gesammelten Bilder, Begriffe, Klänge und Geschichten verdichtet sie zu komplexen Assemblagen mit dem Ziel, die großen Erzählungen, die hegemonialen Diskursen über Herkunft, Identität und „Rasse“ zugrunde liegen, zu dekonstruieren. Dabei erstreckt sich der Referenzhorizont ihrer Arbeiten über so unterschiedliche Phänomene wie afrikanische Mythologie, religiöse Symbolsysteme, Ahnenrituale und Science-Fiction. Gezeigt wurden Ntjams Arbeiten u.a. im Centre Pompidou-Metz, im Palais de Tokyo in Paris, beide Frankreich, im NıCOLETTı in London, Vereinigtes Königreich, im Stedelijk Museum in Amsterdam, Niederlande, am Hordaland Art Center in Bergen, Norwegen, und im WIELS in Brüssel, Belgien.
Sophie Utikal ist Textilkünstlerin und lebt und arbeitet zwischen Berlin und Wien. Ihr Studium hat Utikal an der Akademie der bildenden Künste in Wien in der Klasse von Ashley Hans Scheirl absolviert. Sie ist Mitherausgeberin des Buches Anti*Colonial Fantasies / Decolonial Strategies (Wien 2017). Ihre Arbeiten wurden u.a. in der Kunsthalle Wien, der Kristianstads konsthall in Schweden, dem Museion Bozen in Südtirol, Italien, und auf der Mediterranea 19 in San Marino gezeigt. Utikals Arbeiten sind Teil der Kunstsammlung der Bundesrepublik Deutschland und der Sammlung des Museion Bozen.
Rahmenprogramm:
Do, 30.03., 18 Uhr (mit Kuratorin Frederike Sperling)
Sa, 15.04., 13 Uhr
Sa, 13.05., 13 Uhr (mit Kuratorin Frederike Sperling)
Workshops:
Mo, 03.04., Uhrzeit tba & Di, 04.04., Uhrzeit tba: Hermine – Die lebende Bakterienkultur, Workshops für Kinder
tba BODY TALK, Workshopreihe mit Daliah Touré
Do, 27.04., 9 – 11 Uhr Töchtertag KIDS / We are not alone! Signale aus dem Mikrokosmos
Fr, 24.03., 15 – 19 Uhr & Sa, 25.03., 11 – 15 Uhr Bücherflohmarkt Ostermarkt Palais Niederösterreich
Adresse und Kontakt:
Kunstraum Niederösterreich
Herrengasse 13, 1010 Wien
www.kunstraum.net
Pressekontakt: Maximilian Steinborn, maximilian.steinborn@kunstraum.net, +43 664 60 499 194
(1) Eben Kirksey, Welcome to the Virosphere, https://www.e-flux.com/journal/130/491400/editorial-welcome-to-the- virosphere, 05.10.2022, 09.02.2023