Das “Drame Surréaliste”, das der Strömung ihren Namen gab, ist eigentlich nur der Untertitel eines Theaterstücks von Guillaume Apollinaire, das er mit bandagiertem Kopf 1916 zurück von der Front des Ersten Weltkrieges in Paris schrieb. Er war durch einen Granatsplitter an der Schläfe verletzt worden und musste deswegen zurück in die französische Hauptstadt. Toll fand er das nicht. Er wollte an die Front. Er wollte das so sehr, dass sich der in Polen geborene Apollinaire extra einbürgern ließ, um endlich eingezogen zu werden. Doch er sollte erst ein paar Jahre später und von dieser Verletzung bereits genesen an der spanischen Grippe sterben. Nicht ohne vorher noch voller Lebensmut seine PEegerin geehelicht zu haben. In dem Theaterstück, das im Titel “Les mamelles de Tirésias” heißt – übersetzt: Die Brüste des Tirésias – tauscht Thérèse mit ihrem Mann die Rollen. Sie lässt ihre Brüste ziehen und geht an die Front, während ihr Mann sich darum kümmert, die Kinderarmut Frankreichs bzw. des Gktiven Staates, in dem die beiden leben, zu bekämpfen.
40.049 Kinder gebärt er allein an einem einzigen Tag. Nachdem das Land wegen Überbevölkerung in eine Hungersnot gestürzt wird, nehmen beide wieder ihre ursprünglichen Geschlechter an. Es erscheint passend, dass sich André Breton den Untertitel dann zu Beginn der 1920er-Jahre zu eigen machte und darunter seine und die Arbeit seiner Freunde zusammenfasste, die sich mit den Parallelrealitäten befassten und sich dem zuwandten, was außerhalb dessen lag, was man mit bloßem Auge sehen konnte. Viel von dem, was in der heutigen Debatte um GenderEuidität und die Zuschreibung von biologischem und sozialem Geschlecht steckt, zeichnet sich hier bereits ab. Vormals gesellschaftlich klar gesteckte Grenzen beGnden sich in AuEösung. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung, gerade die künstlerische mit ebenjenen Themen. Dass das in eine Zeit fällt, die nicht nur wegen offen diskutierter Fragen um Geschlecht und Identität, sondern auch wegen einer nun über ein Jahr andauernden Pandemie enorm aktuell ist, ist ein weiterer Grund, sich dem “Drame Surréaliste” von künstlerischer Seite zu nähern. Die Elektrohalle Rhomberg versammelt unter dem Titel neun Künstlerinnen und Künstler. Einige von ihnen haben Arbeiten speziell für die besonderen Räume der Elektrohalle Rhomberg produziert. Es sind künstlerische Arbeiten, die sich aller möglichen Ausdrucksweisen bedienen. So gibt es Malerei, FotograGe, Skulpturen und Installationen.
Es ist eine Bandbreite und ein Spektrum an Ideen und Möglichkeiten, sich der Realität anzunähern und vielleicht nicht nur einen Blick von oben darauf zu werfen, sondern auch von unten oder von der Seite. Sie alle nehmen ihre jeweiligen Realitäten und Lebenswelten mit all ihrem darunter brodelndem Potenzial einmal genauer in den Blick. Wie in einem modernen Schelmenroman verEechten sich die einzelnen künstlerischen Werke und erforschen die aktuelle “Conditio Humana” in all ihrer Schön- und Verzwicktheit. Sigmund Freud hätte wohl großen Spaß gehabt.
Die Künstler*innen: Andi Fischer, Georg Frauenschuh, Tina Hainschwang, Flora Hauser, Adrian Hazi, Verena Issel, Tamara Malcher, Daniela Zeilinger, Gerlind Zeilner.
Dauer der Ausstellung: 27. März – 8. Mai 2021
Eröffnung: Samstag, 27. März, 10 – 16 Uhr
Andi Fischer (1987) übersetzt Bilder aus der Mythologie in eine neue, vereinfachte Formensprache, die stark an kindliches Gekrakel erinnert und dennoch nicht weiter davon entfernt sein könnte. Denn inhaltlich geht es um die großen Themen der Menschheit: Liebe, Tod, Macht und Vergänglichkeit.
Georg Frauenschuh (1979) zeigt in seinen Bildern Räume, die auch aus Träumen stammen könnten. Sie sind gleichzeitig völlig konkret und entziehen sich doch jeglicher Eindeutigkeit. In seiner Malerei hinterfragt Frauenschuh immer wieder eingeschliffene Sehgewohnheiten und benennt die aufklaffenden Zwischenräume und Bruchstellen unserer Zeit.
Flora Hauser (1992) Gligrane Malereien, auf kleinem Format, bewegen sich in pastelligen Parallelwelten, die dennoch den konkreten Bezug zum Realen nie verlieren. Sie kartographieren eine zunehmend komplexer werdende Welt, in all ihren illustren Details und Leerstellen.
Tina Hainschwang (1986) zeigt „Schrein mit EierGgurinen“. Eine Skulptur, die an Beuys Filzskulpturen oder auch die Holznester aus der Hollywood-Serie „True Detective“ denken lassen. Der Eierschrein kommt direkt aus den Tiefen des Unterbewusstseins an die OberEäche geschwommen und drückt ein universales Schutzbedürfnis aus. Hainschwang arbeitet oft mit organischem oder vermeintlich organischem Material. So nutzt sie in ihren Haarskulpturen oft billiges Plastikhaar, das sie im Internet bestellt. Ihre Arbeit changiert zwischen freundliche Zutraulichkeit und latenter Bedrohung.
Adrian Hazi (*1998) Bilder lassen an mystische Zeremonien denken, die ein neues Jahrzehnt einläuten. Der Ausblick auf Wandel liegt in allen seinen Bildern. Es geht immer um Machtgefälle und Zwischenmenschliches. Vollgepackt mit Mythologie und großen Gesten geben seine Bilder Ausblick auf das, was sein könnte. Als wären sie Überbleibsel uralter Riten, erscheinen Hazis Bilder in der Welt. Er scheint eine alte, vielleicht längst vergessene Sprache zu kennen, die dennoch in die Zukunft blickt.
Verena Issel (*1982) arbeitet meist mit raumgreifenden Installationen, die sich mit Claude Lévi-Strauss traurigen Tropen befassen oder mit der Reinstallation der zerstörten syrischen Stadt Palmyra aus Schaumstoff. Issel befragt ihr Material, aber auch ihre Umwelt und besingt mit ihren bunten Plastikarbeiten den Abgesang des Kapitalismus nicht ohne dabei das Augenzwinkern zu verlieren.
Tamara Malcher (*1995) malt FrauenGguren, die in vielen Punkten an die Brüste von Thérèse denken lassen, die sie mit einem Luftballon davonschweben lässt. So aufgeregt Eattern die Brüste der Frauenkörper durch Malchers Bilder und lassen sich nicht einfangen von gängigen Schönheitsidealen und Konventionen. Sie haben dicke Bäuche und große Brüste, sie stehen da ganz ohne sich einschüchtern zu lassen von ihrer Nacktheit und auch von den fremden Blicken. In ihrem Selbstbewusstsein stehen sie in einer langen Tradition mit der Venus von Willendorf, …und weiteren freudvollen Darstellungen von Frauen, die einfach sein können, ohne irgendetwas sein zu müssen.
Daniela Zeilinger (*1980) hat sich dem Raum im dazwischen verschrieben. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen Malerei und FotograGe und stellen Fragen nach der Verbindung und dem Unterschied zwischen dem Realen und dem Virtuellen und ob es dazwischen eigentlich noch benennbare Unterschiede gibt.
Gerlind Zeilner (*1971) Bilder kommen mitten aus dem aufgeschreckten Unterbewusstsein eines irren Traums. Sie verwischt und verklärt die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, verwischt dabei Grenzen und stellt infrage wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Ihre Bilder entwickeln dabei einen farbgetriebenen Sog und eine Dynamik, die den Betrachter unvermittelt mit dem Fuß wippen lässt.
Adresse und Kontakt:
Elektrohalle Rhomberg
Samergasse 28b, 5020 Salzburg
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