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Hallein Kunst

Arbeiterinnen verlassen die Fabrik

Für die aktuelle Sommerausstellung im kunstraum pro arte entwickelte Kathi Hofer eine konzeptuelle Werkgruppe, die in der Geschichte der hiesigen „Tschikweiber“ ihren gedanklichen Ausgang nimmt und über Fragen zu Arbeit, Identität und zu den realen wie virtuellen Lebens- und Arbeitsräumen unserer Zeit in einen gleichsam hypothetischen Gedankenraum führt, den die Künstlerin in alltäglichen Gesten und Wahrnehmungen verortet.
Kathi Hofer, O.T. , 2021, Fotografie, Courtesy: Kathi Hofer und Gabriele Senn Galerie
Kathi Hofer, O.T. , 2021, Fotografie, Courtesy: Kathi Hofer und Gabriele Senn Galerie

„Arbeiterinnen verlassen die Fabrik, um nach Hause zu gehen – vielleicht zu ihren Familien; wahrscheinlich, um andere Arbeiten zu verrichten, denn zu tun gab es genug. Vielleicht auch weil sie streiken oder entlassen wurden. Einige werden sich in ihrer freien Zeit fortbilden, politisch oder künstlerisch betätigen. Durch das Verlassen des Fabrikgebäudes löst sich ihre Kollektividentität auf und jede tritt für sich in einen neuen Raum ein. Sie bilden neue Gruppen, freundschaftlich verbunden, und gehen, schlendern oder hetzen an den Häusern der Halleiner Altstadt vorbei. So stelle ich mir vor, dass es sich zugetragen hat. Und ich verlasse die Wohnung, um eine Runde um den Häuserblock zu gehen.“ – in ihrem Nachdenken über Arbeitsformen und ihre jeweils historisch bedingten Aktions- und Bewegungsradien macht Kathi Hofer vielfältige Assoziationsräume auf, in denen sie ihre Fotografien, Objekte und ortsspezifischen Setzungen platziert. Dabei überblendet sie die Idee der von der Arbeit nach Hause gehenden „Tschikweiber“, wie sie in Hallein im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert anzutreffen waren mit den Bildern anonymer Arbeiterinnen an der Schwelle zwischen Fabrik- und Privatraum in einer Filmminiatur von 1895 der Brüder Lumière sowie mit einer Zeichnung des solitären Heimarbeiters und Philosophen Ernst Mach (1896), die dessen subjektiven Blick auf die eigene Hand wiedergibt, die einen Bleistift hält. In Anlehnung daran entwickelte Kathi Hofer während der letzten fünfzehn Monate eine Fotoserie an ihrem Schreibtisch sitzend, in der sie tagebuchartig ihre eigene Hand fotografierte wie um sich ihrer selbst und ihrem wie auch immer eingeschränkten Tätigsein in der Pandemie zu versichern. Die seltsame Ich-Perspektive lädt Betracherinnen dazu ein, sie wie Porträts einer anonymen Arbeiterin zu lesen während in der Serialität der immer gleichen Betrachtung eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Produktivität und Identität im Lockdown möglich wird. Die 1981 in Hallein geborene und in St. Johann aufgewachsene Künstlerin Kathi Hofer interessiert sich für das Verhältnis zwischen künstlerischer Arbeit und Biografie.

Ihre Arbeitsweise ist medienübergreifend. In ihre konzeptuellen Installationen integriert sie naheliegende Materialien, oft gefundene Objekte, Bilder oder Praktiken, die sie mit neuen Bedeutungen auflädt, um die Wertevorstellungen, die sie widerspiegeln zu transformieren. In ihrer künstlerischen Praxis setzt sich Kathi Hofer immer wieder mit ihrer eigenen Arbeitssituation auseinander und vergleicht sie mit den Bedingungen anderer Arbeits- und Lebensformen. Zusätzlich zu ihrer objektbasierten, installativen Arbeit wandte sich Kathi Hofer in den letzten Jahren auch immateriellen Praktiken zu, etwa experimentellen Formen des essayistischen Erzählens, bei denen sie ihre Stimme und Texte aufzeichnet und gefundene Objekte, Geschichten und Theorien noch einmal neu erzählt oder arrangiert. Zudem initiierte sie ephemere Aktionen, die oft kollaborativ allerdings ohne Publikum stattfanden. In fotografischen und filmischen Bildern festgehalten, werden sie später wieder zu Elementen in ihren Installationen. In den letzten Jahren waren Bleistift, Spiegel und Papier konsequent eingesetzte Medien und Leitmotive ihrer Arbeit. Für Kathi Hofer sind diese grundlegende Werkzeuge in der Formung von Identität, Praxis und Lebensentwürfen.

Kathi Hofer, Figur 1, 2021, Fotografie/ Fine Art Pigment Print, Courtesy: Kathi Hofer und Gabriele Senn Galerie
Kathi Hofer, Figur 1, 2021, Fotografie/ Fine Art Pigment Print, Courtesy: Kathi Hofer und Gabriele Senn Galerie

In der Ausstellung im kunstraum pro arte zeigt Kathi Hofer neben fotografischen Arbeiten und Objekten, die 2020 und 2021 in Berlin pandemiebedingt in einem Zustand der Immobilität entstanden sind, ortspezifische Eingriffe sowie eine Zusammenarbeit mit dem Salzburger Malermeister Ernst Muthwill, der vor vielen Jahren das Kinderzimmer der Künstlerin farblich gestaltet hat. In einer Begleitveranstaltung am 16. Juli um 19:30 Uhr in der Stadtbücherei Hallein stehen die Geschichte der „Tschikweiber“, ihre Vorbildfunktion für Frauen heute sowie das Potenzial künstlerischer Aktualisierung von Geschichte(n) zur Diskussion.

Über die Künstlerin: Kathi Hofer, geboren in Hallein, studierte Philosophie und bildende Kunst in Wien und in Aix-en-Provence. Sie lebt als Künstlerin in Wien und Berlin. Ihre Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. bei TOKAS Tokyo Arts and Space, Tokio, im mumok Wien, im Museum der Moderne Salzburg, im Jüdischen Museum Wien, am MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles, im 21er Haus, Wien, im MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, im Austrian Cultural Forum Warschau, in der Lewis Glucksman Gallery, Cork und im Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin. Sie schreibt Essays und Kunstkritiken, die u.a. in der springerin, Texte zur Kunst, frieze d/e und Camera Austria International publiziert wurden. Im Februar 2021 erschien ihr Buch „Grandma“ Prisbrey’s Bottle Village im Verlag Spector Books, Leipzig.

Eröffnung: Donnerstag, 8. Juli um 19:30 Uhr. Zur Ausstellung spricht Martina Berger-Klingler
Dauer der Ausstellung: 9. Juli bis 21. August 2021

Weitere Veranstaltungen:
Fr, 16. Juli 2021, 19:30 bis 21:00 Uhr Starke Frauen damals und heute – die Halleiner Tschikweiber und ihre Errungenschaften? Impulsvortrag & Diskussion, mit: Ingrid Bauer, Autorin von „Tschikweiber haums uns g’nennt …“ (1987/2018); Christa Hassfurther, Regisseurin des Theaterstücks „Tschikweiber“ (1995), Wiederaufführung 09/2021; Kathi Hofer, bildende Künstlerin; Moderation: Laila Huber, Leitung kunstraum pro arte, in Kooperation mit der Stadtbücherei Hallein

Sa, 24. Juli 2021, 9:30 bis 12:30 Uhr – Halleiner Kunstspaziergang Schloss Wiespach, Pernerinsel, MTGAIA, atelier ///, 1blick, kunstraum pro arte

Adresse und Kontakt:
Kunstraum Pro arte
Schöndorferplatz 5, 5400 Hallein
www.kunstraumproarte.com