Aliya ist zweifache Mutter, was ihre Kunst bis heute maßgeblich beeinflusst. Die Suche nach dem Wesentlichen, der wachsende Drang zu Reduzierung und Beruhigung sowie Emotionen als Thema sind künstlerische Entwicklungen – inspiriert vom wahren Leben.
Wie hat alles begonnen? Wie kamst Du zur Kunst?
Schon als Kind war ich kreativ. Meine Interesse wurde vor allem durch Künstler und Musiker in der Familie geweckt. Aus kindlicher Neugier wurde ernsthafte Passion. Als Teenager verschlang ich Bücher über Kunstgeschichte. Vor allem Leonardo Da Vinci fesselte mich. Danach wurde ich „süchtig“. Kunst statt Party im Oberstufenalter. Es entwickelte sich eine Liebe zur Kunst, die phasenweise stärker war als jede andere Form. Mein erster richtiger Freund möge es mir verzeihen, dass ich ihn seinerzeit verlassen hatte, um einfach jeden Tag ungestört malen zu können. Zu dieser Zeit reifte mein Entschluss, alles dafür zu tun, um an der nationalen Kunstakademie aufgenommen zu werden. Der Weg war nicht leicht, denn ich musste mich viele Jahre gegen erhebliche Zweifel und Vorbehalte meiner Eltern durchsetzen. Sie hatten für mich einen gänzlich anderen Berufsweg vorgesehen – fernab einer echten Künstlerin. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen waren ebenfalls schwierig. Mein Studienleben in der Ukraine war hart und entbehrungsreich; kein Vergleich zu heutigen westlichen Standards. Aber die konzentrierte Auseinandersetzung mit Kunst beflügelte mich an jedem einzelnen Tag. Nichts war schlimmer als nicht malen zu können. Und so begann die schönste Zeit meines Lebens.
Worauf beziehen sich deine Arbeiten?
In meinem Wesen steckt der Bedarf, ständig Neues zu wagen. Bis heute begeistern mich unterschiedliche Stile und ich bin dankbar, vielfältige Techniken zu beherrschen. In den vergangenen Jahren hat sich eine Tendenz zur abstrakten Kunst entwickelt, was im Wesentlichen zwei Gründe hat. Zum einen habe ich es geschafft, endlich zu malen, was ich fühle und nicht nur das, was ich sehe. Das war ein langer Weg nach einer akademischen klassischen Ausbildung. Es war nicht einfach, die „goldenen Regeln“ loszulassen. Zum anderen male ich hauptsächlich abstrakt seitdem ich Mutter bin. Ich spüre das Verlangen, die Welt einfacher zu sehen, vielleicht kindlicher. Kinder sind in ihrer Welt bekanntermaßen kaum politisch komplex und verfügen über die himmlische Möglichkeit, Sachverhalte zu „entkomplizieren“. Man könnte sagen, sie haben – solange die Kinder Kinder sein dürfen – die wunderbare Gabe, spielend das Wesentliche zu sehen. Und wie wir alle wissen sind sie dabei nicht selten der Wahrheit auf der Spur. Und das ist das, was zählt.
Kurzum: In einer Welt, in der es von Allem viel zu Viel gibt, strebe ich mehr und mehr nach Entspannung – auch und insbesondere für das Auge. Ich habe mir selbst verordnet, reduzierter zu arbeiten. Weniger ist einfach mehr. Das gilt meines Erachtens in jeglichem Kontext unserer Zeit.
Inhaltlich sind mir von jeher Emotionen wichtig. Wenn ich Gefühle auf die Leinwand bringen möchte, dann greifen ich gerne zu Figuren und Menschen. Mittlerweile auch hier viel dezenter und oft verwende ich nur Linien. Seit einigen Jahren hat die ultra reduzierte Line Art einen festen Platz in meinem Portfolio; künstlerisch inspiriert von Picasso und auch aufgrund des enormen Feedbacks. Ich liebe es, bestimmte Themen derart minimalistisch darzustellen. Ich höre manchmal, dass meine Werke bisweilen einen melancholischen Charakter haben. Das ist gut möglich.
Warum ist es Kunst für Dich so wichtig?
Kunst ist meine Lebensmission. Diese Mission hilft mir, mein Inneres nach Außen zu tragen. Sie hilft mir, das Hier und Jetzt zu spüren. Sie verbindet mich mit vielen tollen Menschen. Sie macht mich glücklich und traurig. Kunst ist ein Teil von mir und ohne Kunst kann ich nicht leben. Ganz einfach.
Du bist in der Ukraine geboren. Wie gehst du mir den aktuelle Geschehnissen um?
Der Krieg tut unbeschreiblich weh. Neben den unmittelbaren Sorgen um Teile meiner Familie und frühere Wegbegleiter bin ich mit einigen Orten sehr eng verbunden. In Charkiw wurde ich geboren, in Lviw (Lemberg) habe ich studiert, im Goethe Institut Kiew habe ich Deutsch gelernt bevor ich nach München zog. Im Moment versuche ich, mit meinen Mittel zu helfen, wie ich nur kann. Ich spende meine Bilder und sammle Geld für Hilfsorganisationen. Ich unterstütze meine Familie und bin in Kontakt mit meinen Freunden. Trotz allem bleibt das furchtbare Gefühl der Ohnmacht. Doch ich möchte den Philosophen Sydney Smith zitieren: „Es ist der größte Fehler nichts zu tun, weil man wenig tun kann. Tue, was du kannst.“
Hast du eine Lebensphilosophie?
„vita brevis ars longa“. Das Leben ist kurz, die Kunst ist ewig. Diese Zeilen auf der Fassade der Kunstakademie, an der ich studierte, begleiten mich seither in allen Lebenslagen. Dass das Leben kurz ist spürte ich besonders als der Vater meiner Kinder 2018 an Krebs erkrankte. In diesem Moment änderte sich meine Sicht auf das, was wir Leben nennen und ich versuche, das Hier und Jetzt so intensiv wie möglich wahr zu nehmen. Dazu gehört auch, Entscheidungen nach eigenen Kriterien zu treffen anstatt es überwiegend Anderen Recht zu machen.
Was sind deine Kraftquellen?
Ich habe zwei Kraftquellen, die gleichzeitig Energie geben, aber auch nehmen: meine Kinder und meine Kunst. Wenn ich ein Bild male, dann gebe ich alles. Das Ergebnis kompensiert die Anstrengungen. Natürlich vorausgesetzt, ich bin mit dem Ergebnis zufrieden… Bei den Kindern ist es genauso. Die Erziehung inklusive aller Muttersorgen kosten mich manchmal viel Kraft. Aber die unerschütterliche Liebe, die ich empfinde und die, die von den Kinder zurückgegeben wird, ist ein Elixier meines Lebens.
Wo kann man deine Arbeiten sehen? Sind Ausstellung geplant?
Parallel zu meinen eigenen Serien übernehme ich viele Auftragsarbeiten. Insbesondere in den ersten Lebensjahren meiner Kinder blieben oft nur Abende und Nächte; Ausstellungen fielen beinahe komplett weg. Umso mehr schätze ich meine treue Kunden aus allen Jahren. Etliche Kontakte sind sehr stark, wofür ich persönlich und künstlerisch sehr dankbar bin. Gerade sind drei Werke in Madrid auf einer Gruppenaustellung und eine Ausstellung in München ist auch geplant. Außerdem freue ich mich immer sehr über Atelierbesucher, die meine Werke quasi an der Quelle begutachten können. Ansonsten bin ich natürlich online sehr aktiv (Instagram). Wir arbeiten an einer eigenen Homepage, auf der ausgewählte Werke erworben werden können, wie schon auf anderen Online Galerien, beispielsweise der „Craft Gallery“, Paris.
Besonders am Herzen liegt mir ein neues Projekt, das mein Partner und ich gerade erst gestartet haben. Es verbindet den künstlerischen Weg hin zu Reduktion und Minimalismus mit der für mich wichtigen Lebensphase als Mama und Familienmenschen. Auf der Plattform www.lineartcrew.com können vor allem Familien fündig werden, die bei Art Prints auf echte, handgemalte Line Art aus dem Atelier Wert legen.
Aliya Abs – www.instagram.com/aliyaabs.art/