“Künstler*innen
   
Wien Theater

Interview mit Johanna Mitulla

Johanna Mitulla studierte Kultur- und Sozialanthropologie und Philosophie in Wien und fand ihren Weg zum Theater durch erste Hospitanzen und eine stetig wachsende Vernetzung in der Branche. Anfangs im Bereich Ausstattung und Bühne tätig, führte ihr Weg sie später zur Regieassistenz, unter anderem am Schauspielhaus Wien, dem Burgtheater sowie Arbeiten an den Wiener Festwochen.
Fotos: Daniel Lichterwaldt

Nach mehreren Stationen landete sie schließlich am Volkstheater und arbeitet mittlerweile freischaffend als Regisseurin. Aktuell inszeniert sie im Volkstheater Eugène Ionescos „Die kahle Sängerin“. Wir trafen die Regisseurin zwischen den Endproben zum Gespräch.

Hat dein Studium deine Theaterarbeit beeinflusst?
Auf jeden Fall. Es gab viele Überschneidungen, besonders bei aktuellen Diskursen, die auch im Theater eine Rolle spielen. Mein Studium hat mich für Sprache sensibilisiert, mich Perspektiven hinterfragen und gewohnte Denkmuster aufbrechen lassen. Diese Reflexion prägt meine Arbeit bis heute – sowohl vor als auch hinter der Bühne.

Ich glaube, Theater profitiert immer davon, wenn es sich mit neuen Blickwinkeln auseinandersetzt.

Gab es Regisseur:innen oder Stücke, die dich besonders geprägt haben?
Man nimmt aus jeder Arbeit etwas mit, aber einige Begegnungen waren besonders prägend. Sebastian Baumgarten hat mich gefördert und inspiriert, mich aber auch in seiner Arbeitsweise und seinem interdisziplinären Ansatz angesprochen. Arbeiten mit Jonathan Meese und Markus Öhrn haben u. a. meine Sicht auf bildende Kunst und deren Verbindung zum Theater verändert. Leider hatten weibliche Regisseurinnen bisher nur geringen Einfluss – das hätte ich mir anders gewünscht.

Wie würdest du deinen Regiestil beschreiben?
Ich hoffe, relativ offen. Ich versuche, Inputs von verschiedensten Seiten zu integrieren. Ich glaube an ein lustvolles und ergebnisoffenes Erarbeiten, an das Mischen verschiedener Formen und Kunstformen, um neue Perspektiven zu gewinnen. Für mich ist Teamarbeit essenziell – ich halte wenig von der klassischen ‚Regie-Spitze‘. Die Strukturen im Theater fordern und fördern das oft, aber ich wünsche mir in Zukunft noch kollektivere Arbeitsprozesse. Das heißt nicht, Verantwortung wegzuschieben, sondern sie angemessen zu verteilen und bewusst zu übernehmen – sowohl für Erfolge als auch für Misserfolge. Es geht darum, mit Offenheit und Verantwortung zu arbeiten und dabei die Arbeitsstrukturen genauso ernst zu nehmen wie die Kunst, die dann letzten Endes passiert.

Fotos: Daniel Lichterwaldt

Deine aktuelle Inszenierung am Volkstheater in den Bezirken ist „Die kahle Sängerin“. Was war dein erster Eindruck vom Stück, und wie siehst du es jetzt?
Beim ersten Lesen waren wir überrascht von der sprachlichen Rhythmik. Der Text baut regelrechte Rampen, durch die man hindurchrauscht. In den Proben zeigte sich dann, wie schwierig es ist, Komödie zu inszenieren – Timing, Rhythmus und Bewegungen müssen exakt stimmen. Das Stück lebt von Präzision. Absurdes Theater scheint inhaltlich wenig zu ‚sagen‘, aber genau das macht die Inszenierung anspruchsvoll.  In der Zusammenarbeit mit dem Regieteam arbeiten wir uns gemeinsam voran. Das Motto „Komödie ist die Königsdisziplin“ trifft hier absolut zu.

Welchen Zugang habt ihr für die Inszenierung gefunden?
Wir haben uns neben Spielfreude und dem Bauen von Bildern für eine gewisse Seltsamkeit entschieden und diese als Chance begriffen. Gemeinsam mit Laurent Pellissier (Bühne), Vanessa Sampaino Borgmann (Kostüm), Lukas Katzer (Musik), Rebecca Rosa Liebing (Choreografie) und Lisa Kerlin (Dramaturgie) haben wir Stück für Stück zu einer Inszenierung gefunden, die innerhalb der Absurdität eine klare, vielleicht sogar strenge Formsprache entwickelt. Die Inszenierung ist stark choreografisch geprägt, unterstützt durch Musik. So haben wir den Stoff in einen sehr vielseitigen Rahmen gegossen, in dem das Stück trotzdem in seiner ganzen Absurdität frei drehen kann.

Wir wissen nicht genau, was sich letztlich auf das Publikum überträgt – aber genau das macht es spannend.

Fotos: Daniel Lichterwaldt

Stand von Anfang an fest, dass es eine Komödie werden soll? Das Stück war ja von Ionesco ursprünglich nicht als solche geplant. 
Nein. Gerade weil das Stück nicht als Komödie gedacht war, fand ich es besonders spannend. Es entstand ursprünglich aus Englischübungssätzen und wollte die Leere in Paarbeziehungen ausstellen. Und es ist die Sinnentleertheit der resultierenden Dialoge, die uns zum Lachen bringt.

Der Humor in „Die kahle Sängerin“ entsteht also aus einem Kampf mit dem Nonsens, nicht aus einer gezielten Komik.

Das bringt einen unweigerlich dazu, sich zu fragen, warum man überhaupt lacht, warum man das überhaupt lustig findet. Es ist nämlich eigentlich ein Zustand des Kontrollverlusts, der das Stück prägt. Ein extremer Verlust an Kontrolle auf der Bühne und ein Festklammern an einer versagenden Sprache.

Man hinterlässt ständig Fährten, die konsequent zu keinem Ziel führen, was ein hohes Frustrationsniveau erzeugt. Es gibt auch sicherlich Szenen, die sowohl für die Darsteller:innen als auch für das Publikum qualvoll sind. Wir müssen ambivalente Gefühle anbieten, nicht den Umgang damit. Im Grunde versuchen wir, mit einem breiten Spektrum an Emotionen zu spielen.

Gibt es eine Szene oder einen Moment, der dich besonders überrascht hat?
Der Übergang vom Probenraum zur Bühne ist immer herausfordernd. Doch gestern gab es einen Moment, in dem sich plötzlich dieses Seltsame eingelöst hat – der Knoten ist geplatzt. Es freut mich, wie seltsam das Stück sein darf. Es ist ein Wagnis, und vielleicht werden nicht alle damit einverstanden sein, aber genau das müssen wir als etwas Reizvolles begreifen.

Fotos: Daniel Lichterwaldt

Was sind wiederkehrende Herausforderungen in deiner Arbeit?
Es ist ein ständiges Auf und Ab. Oft denkt man während einer Produktion: „Das mache ich nie wieder“; aber dann kommt dieser eine Moment, der alles verändert, und plötzlich weiß man wieder, warum man es tut. Natürlich kostet es viel Energie, und das ist auch gut so. Es gehört zur Kunst dazu, dass sie einem etwas abverlangt. Aber sie sollte nicht alles fordern. Das Theater ist besonders, weil es einerseits ein sehr freies Arbeiten ermöglicht, andererseits aber eine sehr direkte Kritikkultur hat. Die Kritik wird oft in klaren Kategorien von „richtig“ und „falsch“ bewertet, was einen in diesem Spannungsfeld zurücklässt.

Ich möchte befreit arbeiten und nicht ständig darüber nachdenken, wie die Wenigen, die entscheiden, ob viele andere das Stück sehen werden, darüber urteilen. Dadurch läuft man Gefahr, in den Köpfen anderer Menschen zu versinken. Es kostet Energie, sich immer wieder zu sammeln und zu sagen: „Wir machen es so, wie wir es für richtig halten. Wenn es funktioniert, gut. Wenn nicht, dann eben nicht.“ Man muss sich gegen harte Kritik wappnen, weil das einfach dazu gehört.

René Pollesch hat einmal gesagt, dass es nicht darum gehen kann, eine universelle Sprache zu bedienen oder Mitteilbarkeit um jeden Preis zu erzwingen. Sondern darum, das Spezielle zu bewahren, herauszuarbeiten und zu fördern. Das finde ich sehr wichtig für unsere Arbeit.

Gibt es ein Projekt, das du in der Zukunft unbedingt machen möchtest?
Tatsächlich würde mich die Oper reizen. Es ist ein extrem forderndes Genre und in vielen Fällen irgendwie frustrierend, aber genau das ist natürlich spannend. Mich interessiert dabei weniger die klassische Oper als vielmehr die Verbindung von Musik und Theater auf eine neue Weise.

Gehst du oft in die Oper?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich gehe viel häufiger ins Theater. Vielleicht ist genau das der Antrieb – die Frage, ob Oper nicht auch anders funktionieren könnte. Der Opernkanon ist so wahnsinnig klein und dieses Genre so starr. Obwohl es genauso eine performative Kunstform ist wie das Theater und zu so viel mehr in der Lage sein könnte. Dass sich daran so wenig ändert, ist faszinierend – und wäre sicher ein spannendes Experiment.

Die kahle Sängerin von Eugène Ionesco
aus dem Französischen von Serge Stauffer
Besetzung: Simon Bauer, Dagna Litzenberger Vinet, Simon Mantei, Nora Wagner.

Premiere: Freitag, 14. Februar 2025, 19:30
Spielstätte: V°TBezirke – VZ Brigittenau, Raffaelgasse 11-13., 20. Bezirk

Bis 22. März auf Tour durch die Wiener Bezirke: Termine, Tickets und weitere Informationen

Johanna Mitulla – www.volkstheater.at, www.instagram.com/mijoh_


Regie: Johanna Mitulla | Bühne: Laurent Pellissier | Kostüm: Vanessa Sampaio Borgmann | Musik: Lukas Katzer | Choreographie: Rebecca Rosa Liebing | Dramaturgie: Lisa Kerlin