MK: Was können sich Menschen unter KOKO als Begriff und vielleicht auch als Haltung vorstellen?
FG: KOKO ist ein künstlerisches Projekt, welches ich mit Clemens Bauder und Alexander Roemer im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024 entwickelt habe. Es ist die Kurzform für “Kollaborative Konstruktionen“. Darunter verstehen wir einen öffentlichen Ort für Zusammenkunft und Austausch. Mitten auf einer Wiese an der Laudach in Kirchham, Oberösterreich, errichteten wir eine 15 X 15 Meter große Plattform, welche mit einem textilen Dach überspannt wurde. KOKO ist ein offenes, inklusives Format, bei dem wir gemeinsam mit den Menschen vor Ort programmiert haben. Dadurch konnten wir auf die Themen der Menschen eingehen.
MK: Zur Vorbereitung wurden Stammtische organisiert, bei denen bereits ein Jahr im voraus regelmäßig Interessierte aus der Umgebung im Gasthaus Pöll zusammengekommen sind. So wurde früh Kontakt zu den Menschen in der Gemeinde aufgenommen und Ideen und Geschichten gesammelt. Wen konnten die Besucher:innen bei KOKO antreffen, als das Programm auf der Wiese dann anfing?
FG: Es gab drei verschiedene Künstler:innen Ateliers für. das öffentliche 7 wöchige Programm. Zu Beginn das Atelier von Alexander Römer mit Constructlab aus Berlin, dann das Atelier von Clemens Bauder aus Linz mit Anna Paul und Christian Hoffelner aus Wien. In den letzten zwei Wochen waren es du und ich, zusammen mit vielen Gästen, die wir eingeladen haben, mit uns Gastgeber:innen zu sein.
MK: Das Buch “Palaces for People” von Erik Klinkeberg prägt seit Jahren Deine und meine Praxis. Vor allem der Begriff “Soziale Infrastruktur” und die Frage, welche physischen Voraussetzungen nötig sind, damit ein Ort für Menschen sozial funktioniert.
FG: Das KOKO Dach sollte ein Palast für Menschen werden. Das ist uns gelungen. Die Offenheit und Klarheit des Entwurfs hilft Menschen in der Orientierung. Es ist ein offenes Haus ohne Türen und Barrieren.
MK: In den ersten Wochen war es eine Herausforderung die Menschen aus Dorf und Umgebung zu uns zu holen, in den letzten beiden Wochen, bei unserem Atelier, war immer etwas los. Was denkst Du, hat sich geändert?
FG: Uns beiden war es besonders wichtig, nicht unsere eigene Arbeit in den Vordergrund zu stellen, sondern eine Bühne für die lokale Bevölkerung zu schaffen. Durch den direkten Austausch und den Kontakt, den wir aktiv gesucht haben, liessen sich die Menschen auf unser Atelier ein und wurden selbst Protagonist:innen und Künstler:innen. Das hat Verbindungen und besondere Momente zwischen den Besucher:innen und Teilnehmer:innen geschaffen. Gleichzeitig waren wir zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Wochen aktiv und im Ort sichtbar – die Leute haben uns Vertrauen geschenkt und wir konnten sie gewinnen mitzumachen.
Welcher Moment in diesen zwei Wochen blieb Dir am meisten in Erinnerung?
MK: Das Pub Quiz. Ich bin immer entzückt, wenn Menschen in Gruppen Aufgaben bekommen und kreativ werden. Wir hatten fünf Tische mit etwa 50 Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen. Von Kindern bis zu Pensionist:innen. Es gab Wissensfragen, Aufgaben, sich ein lokales Kochrezept oder einen Titel für einen Horrorfilm im Ort auszudenken. Zum Finale haben die Gruppen zusammen performt: Menschenpyramiden, Chore, Fussballtricks, Witze und eine Imitation von Doris Uhlich`s Pudertanz. Alle haben gelacht aber sind vorallem aktiv geworden.
Welcher Moment ist für Dich noch immer bedeuten?
FG: Da gab es viele! Die Theateraufführung “Dorfkrimi” hat mich beeindruckt. Der Landwirt Anton Pühringer aus Kirchham hat innerhalb von 3 Tagen ein Theaterstück geschrieben und dieses gemeinsam mit der Theatergruppe “Kirchhamer Kellerbühne” aufgeführt. Er hat das Leben im Dorf in Form einer Satire auf die Bühne gebracht. Dem Bürgermeister wurden Sauköpfe gestohlen. Im Dorf entstehen die wildesten Spekulationen über die vermeintlichen Täter:innen. Zum Schluss gestand die Frau des Bürgermeisters die Tat. Im Kern wollte durch „Saukopf Stehlen“- einem vergessenen Brauchtum, die Dorfgemeinschaft wieder näher zusammenbringen.
MK: Das hat an zwei aufeinander folgenden Freitagen zwischen 300-400 Leuten zu KOKO gebracht. Wodurch haben wir die Menschen im Dorf zusammengebracht?
FG: Durch einen Ort für Aktivitäten, Kunst, Kultur und Improvisation an dem jeder kommen kann, ohne dazu Mitglied eines Vereins sein zu müssen: generationsübergreifend und inklusiv. In den ländlichen Regionen ist das Vereinswesen stark ausgeprägt. Es gibt die Landjugend, den Trachten-Verein, Musikkapelle, die Feuerwehr, die Prangerschützen, den Siedlerverein und viele, viele mehr. Jeder Verein hat meist ein eigenes Vereinshaus oder eine Räumlichkeiten, wo man sich in einer geschlossenen Gruppe trifft. Grundsätzlich fördern Vereine das gesellschaftliche Leben am Land, unser Anliegen ist es, unterschiedliche Gruppen, Positionen und Genres unter einem Dach zu vereinen und Anlässe zu schaffen miteinander in Kontakt zu treten.
MK: Wir haben ein Mitmach-Programm zusammengestellt, bei dem wir nicht nur internationale Künstler:innen, sondern auch lokale Praktizierende eingebunden haben wie zum Beispiel Holly & Craig Barrow, Anna Pech, Andries de Lange, Luiza Luz, Miriam Umin, Elena Cheah, Hao Wu, Roya Asadian und Julius Jell von Fern und Motorsagla, Maximilian Neukäufler, Dulce Valdez und Andrea Kastenhuber aus dem Ort.
FG: Wie würdest Du einen Tag bei KOKO beschreiben?
MK: Die Worte “Gleichzeitig Aktiv” könnte eine gute Beschreibung sein: der Formen und Giess Workshop war gerade zu Ende, Kinder haben auf alte Plakatständer gemalt, die Gruppe von Andrea Kastenhuber hat Lampen aus trockenen Blumen gefertigt, jemand hat schon angefangen den Pizzateig für den Abend vorzubereiten, Clemens Friedl hat T-shirts gesiebdruckt, Motorsagla rollte Baumstämme für den Skulptur Säge Workshop rein. Dazwischen gab es immer Menschen, die einfach da waren und vorbeikamen, wie z:B. Karl der jeden Tag da war und fast bei allem mitgemacht hat.
FG: Am Abend betrieben wir das Gasthaus “ALL ALL Welcome“, bei dem es auch Konzerte oder Musikprogramm gab. Es spielten David Era, Tanay Vora, Paul Jaeg und die Musikkapelle Kirchham. An einem Abend kam auch das Team des feministischen Magazins „Koralle“. Sie haben pinke, kalte Supper serviert und ihr Magazin vorgestellt an einem anderen Abend besucht und die Kirchhamerin Dulce Valdez, die zusammen mit ihrem Mann köstliche Tacos zubereitet hat. Anna Pech hat “Endloss Pasta” gemacht, eine Performance, bei der alle am Tisch mithelfen mussten. Die Chelsitin Elena Cheah hat nicht nur ein Konzert gegeben, sie hat am Nachmittag mit den Besucher:innen musikalisch improvisiert. “ALL ALL Welcome” im Sinne einer Willkommenskultur.
MK: Weisst Du noch, wie komplex wir zu Beginn formuliert haben? Die Entscheidung, einfache klare Sprache zu verwenden, bewegte mehr Menschen dazu, an KOKO teilzunehmen. Statt kompliziert das Angebot zu beschreiben, einigten wir uns auf: Spaziergang, Meditation, Workshop und Zeichnen.
FG: Klare, direkte Kommunikation, welche die Aktivitäten beschreibt.
MK: Was ich erstaunlich finde ist, wie wenig der ländliche Raum in der Kunst und Gestaltung vorkommt oder genutzt wird. Dabei sind die Möglichkeiten und Prozesse, um Ideen umzusetzen kürzer und schneller.
FG: Die Wege sind kürzer. Viele haben eine eigene Garage mit Werkstatt oder kennen jemanden mit einer Garage oder Werkstatt. Die Menschen kennen sich untereinander. Es herrscht weniger Anonymität. Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen, ist oftmals größer als in der Stadt.
MK: Wir haben Voraussetzungen geschaffen, dass sich alle unterstützen, dass eine Gemeinschaft entsteht, aus Menschen von Nah und Fern, die zusammenkommen, miteinander arbeiten und ihre Lebens-und Arbeitsrealitäten teilen.
FG: Sie alle sind Teil des Projekts geworden, haben sich engagiert und Hilfe angeboten: von der Bereitstellung eines ganzen Hauses als Unterkunft für die Künstler:innen, von einem Kabel das vor Konzertbeginn fehlte und kurzer Hand gebracht wurde, von Werkzeug, Matratzen, einem Soundsystem und Kochgeschirr. Täglich kam jemand vorbei und brachte uns Gemüse aus dem eigenen Garten, Haus gebrannten Schnaps und Selbstgemachtes. Ohne die aktive Beteiligung der Menschen im Dorf und aus der Umgebung wäre KOKO in dieser Form nicht realisierbar gewesen.
Matylda Krzykowski ist Designerin, Szenografin und Kuratorin und Felix Ganzer ist Architekt, Poliktiker und Aktivist. Beide befassen sich künstlerisch mit Mensch, Raum und Aktion. Sie leben zwischen Basel (CH) und Hallein (AUT).
KOKO steht für “Kollaborative Konstruktionen“ und ist ein Konzept von Felix Ganzer, Clemens Bauder und Alexander Römer für die Kulturhauptstadt 2024 im Salzkammergut.