Ein dissonanter Klang erfüllt den Raum von einem der Lautsprecher her, bleibt bestehen, erzeugt Spannung – doch löst sich nicht auf in einem konsonanten Intervall, sondern in Stille. Einer Stille, die sich fast aufzwingt, die nun nicht mehr leer zu sein scheint, sondern sich beinahe greifbar anfühlt.
Solch ein Spiel mit Gegensätzen zeigt sich in Claudia Bosses neuester Solo-Performance auf verschiedensten Ebenen und in zahlreichen Formen. Kontraste sind oftmals sogar gleichzeitig präsent und zwingen uns in eine kompromisslose, intensive Gegenwärtigkeit. Während der 90-minütigen Performance können Zusehende Zeug*innen einer Gleichzeitigkeit von kindlicher Verspieltheit und lauernder Gefahr, von Verletzlichkeit und Gewalt(tät)igkeit sowie einem Spiel mit Zeitlichkeit werden. So wird in einer frühen Schlüsselszene des Solos der Moment des Ansetzens zum Sprechen ins schier unendliche (oder zumindest kaum mehr aushaltbare) ausgedehnt. Und während Claudia Bosse hier nach Worten zu ringen scheint, Luft holt um etwas aus dem innersten nach außen zu tragen, in immenser Anstrengung ihre Stimme wiederholt immer nur fast erheben kann, bis sich schließlich der erste Satz des Solos über ihre Lippen windet, schneidet ihre Stimme in einer brisanten Schlusssequenz verzerrt und drohend aus den Lautsprechern und beschreibt in blutigem Detail – und einem dem Publikum entgegen gerichteten „du“ – eine rituelle Opferung.
„ORACLE and SACRIFICE oder die Evakuierung der Gegenwart“ ist Claudia Bosses erste Solo-Performance und kreist um die zentrale Fragestellung „Was wäre, wenn wir unsere Zukunft in unseren Organen tragen?“, eine Frage die sich entwickelte aus der intensiven Beschäftigung der Künstlerin mit den antiken Leberorakeln der Etrusker, ihrem Interesse an gesellschaftlichen Ritualen und Praktiken sowie dem Ziel eine künstlerischen Praxis zu schaffen die klassische Definitionen von Räumlichkeit und Zeitlichkeit auflöst und dem Körper eine neue Wichtigkeit zugesteht als Instrument zum Konstruieren und Wahrnehmen der Realität – ein Effekt der neben einer installativen, choreografischen und performativen Ebene durch Günther Auers gezielte Interventionen in die vorhandene Klangarchitektur der spezifischen Spielräume auch auf eine auditive Ebene übertragen wird. So lässt dieser zum Beispiel durch eine Dislokation der Stimmen der Sprechenden via analoger Lautsprechertechnologien neue Nähe- Distanz- und Raumverhältnisse entstehen.
Les Nouveaux Riches durfte schon vor der Premiere von „ORACLE and SACRIFICE 1“ in Wien am 9. Oktober einer Probe beiwohnen und der Künstlerin im Anschluss eine Reihe von Fragen stellen.
Deine bisherigen Arbeiten entstanden zum Teil aus langen Vorentwicklungsphasen – zum Beispiel „ideal paradise“ stützt sich auf Interviews die über einen Zeitraum von 2 Jahren gesammelt wurden. Wie war der Entwicklungsprozess für „ORACLE and SACRIFICE“?
Im Grunde entstand das Bedürfnis, die Notwedigkeit konkret letztes Jahr – also eigentlich im letzten Sommer. Ausgangspunkt hierfür war meine Recherche über Blutopfer für meine Thyestes Inszenierung, wo ich auf verschiedene Dokumente gestoßen bin über die Natur von gerechten, legitimen Opfern und den Übergang zum Verbrechen. Zwei Mittel die bei „Thyestes Brüder! Kapital“ zur Verwendung kamen waren zum einen die Technik des Bauchredens und zum anderen der Fokus auf die Zunge, woraus sich schließlich mein Interesse für Organe – vor allem das Herz als Organ, als Farbe, als Struktur – herausbildete und ich zu dem Entschluss kam, ein Solo mit mit Organmaterial zu machen. Zwischen diesem Entschluss und dem Beginn der Probearbeiten passierten allerdings noch viele andere Dinge; die Thyestes Inszenierung und das Projekt „Last Ideal Paradise“ in Jakarta, wo ich in Berührung kam mit dem Indonesischen Synkretismus sowie mit den dort ansässigen Menschen und deren Rituale und Alltagspraktiken. All diese Dinge flossen ein in den Entstehungsprozess von ORACLE and SACRIFCE, bis die Proben schließlich im Mai begannen.
Du hast gerade von einer Notwendigkeit gesprochen – das Wort „Evakuieren“ beinhaltet für mich auch eine gewisse Notwendigkeit, eine Dringlichkeit: etwas, das zu geschehen hat. Hat die Umsetzung dieses Projektes für dich eine solche Dringlichkeit?
Ich glaube, wenn man Kunst macht, muss man eine Art von Wahnsinn, eine Entschlossenheit haben, mit einer Fragestellung eine bestimmte Zeit zu verbringen, und auch in der Lage sein, die Konsequenzen dieser Fragestellung auszuhalten. Denn die dringt in einen ein, verschiebt die Perspektive auf die Welt und sensibilisiert eine*n für Dinge, die in der Art vielleicht sonst nicht so aufgefallen wären.
Die Evakuierung der Gegenwart steht für mich auch in einem Bezug mit dem Prozess des Kunstschaffens, und der Möglichkeit von künstlerischem Handeln. Denn man kann nur in der Gegenwart handeln. Diese wird allerdings in unserer Gesellschaft permanent vertilgt; von Zukünften und Vergangenheiten zerfressen.
Du sprichst von einem „Denken durch den eigenen Körper“ – war dieses neue Denken etwas, in das du hineinfinden musstest?
In gewisser Weise auf jeden Fall, und ich glaube das hängt damit zusammen, dass ich seit 25 Jahren Choreografin und Regisseurin bin. Ganz stark aufgefallen bei den Proben für diese Performance sind all die anderen Anrufungen (zum Beispiel organisatorischer, administrativer Art) die an mich kommen neben dem performen selbst, und die ich verwehren oder genau organisieren muss, um dieses Denken durch den Körper ermöglichen zu können, in dem es nicht um Abläufe, ein Fügen, oder Zeichen lesen geht.
Betrifft also die Veränderung, das Umdenken nicht nur dich selbst und deinen Zugang zu dir und dem Spielen, sondern auch externe Faktoren?
Ganz genau, und für mich ist es extrem interessant was das für die Struktur theatercombinat bedeutet – also wenn sich in Vorbereitung auf das künstlerische Handeln Abläufe verändern müssen. Ich würde auch sagen es braucht außerdem eine unglaubliche Konzentration und eine maximale Gegenwärtigkeit sowie ein geistiges, körperliches, muskuläres Bereitmachen aus dem heraus dann erst alles andere entstehen kann.
Du hast in deiner Vorlesung „method bodies“ davon gesprochen, dass die künstlerische Praxis sich kennzeichnet durch eine Aneinanderreihung von bewussten und unbewussten Entscheidungen… Wie würdest du diese Prozesse im Bezug auf Oracle and Sacrifice beschreiben?
Ich arbeite prinzipiell sehr viel mit dem Feedback von Kolleg*innen – allerdings nicht in der Art dass ich mich entscheide und sage „Gut und jetzt mach ich genau das“, sondern ich verarbeite diese Informationen und wäge sie mit meinen eigenen Vorstellungen und Wertigkeiten ab – allerdings ist dieser Prozess oft kein bewusster. Das klingt jetzt vielleicht seltsam aber viel verarbeite ich im Traum, in der Nacht. Oft wache ich auf und weiß, dass ein gewisser Aspekt fehlt oder werde mir bewusst, wie etwas anders sein sollte. Dann gibt es auch immer wieder diese Momente wo man das Mikro einschaltet und etwas passiert, das nicht in der Form geplant war, wie etwa ein „falsches“ Einatmen, das mich realisieren lässt „okay das macht diesen Effekt“, und in dem Moment treffe ich weitere Entscheidungen und vertraue diesem assoziativen Prozess.
Das finde ich mitunter das tolle an der Künstlerischen Praxis, dass man beschäftigt ist in der Gegenwart mit einem Ereignis, welches das nächste Ereignis initiiert – und jedes Ereignis ist unterschiedlich lesbar!
Das hat mich gerade in einer Weise erinnert an Judith Butler, die ja unter anderem auch schreibt, dass Wiederholungen nie ident sein können.
Das Thema der Wiederholung finde ich extrem interessant, ich bin hier stark beeinflusst von Asiatischem Gedankengut. Mein Interesse liegt in der Konzeptualisierung der Wiederholung als eine Praxis die immer das Klarwerden einer Differenz ist, die von der Premisse ausgeht dass das immer wieder ergreifen oder be-greifen oder verkörpern einer bestimmten Praxis einem sogleich etwas über die Praxis als auch über sich selbst sagt.
Im Mai 2021 wird Oracle and Sacrifice 5 in Wien stattfinden. Da wird es sich vermutlich nicht um eine idente Wiederholung handeln?
Es wird zunächst einmal vom 9. Bis 11. Oktober drei Aufführungen im Tanzquartier geben. Dann gibt es die Verschiebung nach Düsseldorf, wo wieder ein anderer Raum bespielt wird. Ich habe auch geplant im Februar in Jakarta und Surakarta daran weiter zu arbeiten. Und für den nächsten Sommer ist geplant, diese Arbeit mit Chor in die Wälder von Wien zu bringen, was schon eine große Veränderung der Arbeit bedeutet. Das war für mich von Anfang an die Idee, dass das Solo als Skript, als Score für eine später erweiterte Arbeit sein soll, unter veränderten Bedingungen in einem anderen Raum.
In einem vorhergehenden Interview zu oracle and sacrifice mit skug hast du über das Evakuieren als Ausleeren gesprochen. Ausleeren ist ja ein Akt, der Platz schafft für etwas Neues – hast du das Gefühl dieses Solo wird neuen Platz geben?
Also ich ich vermute dass diese Arbeit meine Praxis nachhaltig verändern wird, habe aber noch keinen Schimmer, wie. Und ich glaube zudem, dass es Dinge für mich präzisieren wird, insofern als dass meine Toleranz gegenüber den Bedingungen unter denen man sich manchmal befindet (im Kontext von Künstlerischem Schaffen) sinken wird, da diese oft eigentlich einem künstlerischen Denken im Wege stehen. Außerdem glaube ich, dass ein wichtiger Aspekt in der Kunst auch ist, Dinge zu Denken die nicht unbedingt wieder gesellschaftlich anbindbar sind – gewissermaßen eine Praxis des unwahrscheinlichen Denkens. Und ich habe das Gefühl, das in den letzten Jahren ein bisschen verloren zu haben, durch das Bewegen in- und die Konfrontation mit den Systemen des Kunstmachens sowie dem eigenen Wunsch, verstanden zu werden. Es gibt aber einfach Dinge, die mit dem klassischen Begriff von Verstehen nicht verstehbar sind, sondern nur mit einer komplexeren Auffassung ästhetischen, körperlichen und sinnlichen Verstehens das den Geist, das politische und die Empfindung zusammen denkt. Es geht also nicht darum, betont unwahrscheinlich zu sein, sondern darum die eigenen Zusammenhänge, Relationen und Grammatiken in ihrer Spezifik ernst zu nehmen.
Eine letzte Frage noch: was erhoffst du dir für oder von diesen 3 Shows in Wien?
Ich hoffe dass das Dispositiv des Raumes mich nicht erschlagen wird, dass die Erwartungen des Publikums mich nicht hart oder fest werden lassen, sondern durchlässig, dass es eine Möglichkeit ist, das Potenzial der Arbeit auszubreiten, eine gewissen Offenheit, Porosität und geteilte Gegenwart zu erzielen – das würde ich mir wünschen zu lernen über diese drei Abende nächste Woche.
ORACLE and SACRIFICE 1 oder die Evakuierung der Gegenwart,
ein Solo von Claudia Bosse und Kompliz*Innen und Organen.
Premiere: 9. oktober 2020, 19:30
weitere Aufführungen: 10. Oktober, 19:30 und 11. Oktober 2020, 17 Uhr
Claudia Bosse – www.theatercombinat.com
ORACLE and SACRIFICE – https://tqw.at/event/oracle-and-sacrifice-1-bosse/