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Innsbruck Ausstellung

Slow Days in the Fortunate

Die marokkanische Fotografin und visuelle Geschichtenerzählerin Imane Djamil erzählt in ihrer Einzelausstellung Slow Days in the Fortunate Isle in der Neuen Galerie eine Geschichte von zwei Orten – Tarfaya und Fuerteventura – ihrem liebsten sowie ihrem unliebsten Ort.
Ausstellungsansicht,  Slow Days in the Fortunate Isle, Imane Djamil, Neue Galerie, 2024. Foto: WEST. Fotostudio
Ausstellungsansicht, Slow Days in the Fortunate Isle, Imane Djamil, Neue Galerie, 2024. Foto: WEST. Fotostudio

Weniger als ca. 100 km voneinander entfernt, sind beide Orte emotional miteinander verwoben, nicht zuletzt aufgrund ihrer oft tragischen Migrationsbeziehungen. Dabei erzählt die Ausstellung nicht von der Komplexität internationaler Beziehungen, sondern ist vielmehr ein Essay darüber, wie man sich inmitten dieser Verstrickungen fühlt. Die ersten Begegnungen von Imane Djamil mit Tarfaya und seinen Bewohner:innen liegen bereits mehrere Jahre zurück. Seitdem fühlt sie sich mit dem Ort im Süden Marokkos auf eine gewisse Art und Weise verbunden.

Ein magischer Ort, an dem zum Beispiel Antoine de Saint-Exupéry die Idee zum Buch Der kleine Prinz kam oder vor dessen Küste schon so manche Person die versunkene Stadt Atlantis vermutet hat und den Djamil mit ihrer zweiten Serie Slow Days in the Fortunate Isle versucht festzuhalten. Hierfür macht sich die Fotografin zu eigen, was sie „mental geographies“ [Deutsch: „Mentale Geografie“] nennt. Dabei etabliert sie einen Dialog zwischen Geschichte, Fiktion und einem Territorium und eröffnet neue Sichtweisen und Deutungsebenen mit ihrem „Doku-Drama-Stil“. Sie lässt die Betrachter:innen teilhaben an ihrer persönlichen Realität. Der hier in der Neuen Galerie zum ersten Mal präsentierten Serie Slow Days in the Fortunate Isle, ging das Projekt 80 Miles to Atlantis voraus.

Der Titel dieser ersten Serie bezog sich weniger auf Tarfaya selbst, sondern viel mehr auf seine unmittelbare Nähe zu den spanischen Inselgruppen der Kanaren, vor deren Küste einst die mythische Stadt Atlantis verortet wurde. Während in der Geschichte des Philosophen Platon Atlantis bei den Göttern in Ungnade fiel und in den Tiefen des Meeres versank, wird die Küste Tarfayas vom Sand verschlungen, allerdings nicht, weil sie es sich mit den Göttern verspielt hat, sondern aufgrund der Ausdehnung der Sahara Wüste und der Apathie des Staates gegenüber seinem eigenen kulturellen und territorialen Erbe. Mit 80 Miles to Atlantis stellte Djamil die vielfältigen symbolischen Dimensionen der gebauten und natürlichen Landschaft, die Neubewertung der kolonialen Architektur im Laufe der Zeit und die Auflösung der Grenzen zwischen Mythos und Realität infrage. Aspekte, die auch in Slow Days in the Fortunate Isle weiterhin eine wichtige Bedeutungsebene darstellen. Doch nicht nur Atlantis, auch die kleinen Punkte links auf der Landkarte südlich der Küste Marokkos sind solche mystischen Sehnsuchtsorte. Manche nannten sie Atlantis, andere vermuteten hier das Elysium, die Insel der Seligen aus der griechischen Mythologie. Die Insel der Seligen – im Englischen auch als The Fotunate Isles bekannt – deren Verortung und Vorstellung sich in der Mythologie im Laufe der Zeit wandelten, ein Ort, an dem sich Helden niederlassen und wie bei Hesiod in Freude leben.1 Die Held:innen von heute benötigen mehr als die bloße Gunst der Götter um die Insel der Seligen zu erreichen; sie brauchen ein Schengen-Visum.

Die vergrößerte Abbildung der Global Map of the Fortunate Isle & Friends [Deutsch: Globale Karte der Insel Seligen & Freunden] auf der Stirnwand des ersten Galerieraums hält die persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen Djamils in einer nach ihren Erinnerungen gezeichneten Landkarte fest. Für viele Reisende aus Nord- und West-Afrika sind die Kanarischen Inseln, Fuerteventura im Speziellen, ein Zwischenstopp auf ihrem Weg nach Europa und werden so zu einer weit verbreiteten Fantasievorstellung über den Westen, die bei der Ankunft in zahlreiche Stücke aus Déjà-vus und Verzweiflung zerfallen und oft schmerzlich an das Zurückgelassene erinnern.

This is not an essay about the complexity of international relations. This is an essay about how one feels in the middle of it. – Imane Djamil

© Imane Djamil
© Imane Djamil

Bereits in jungen Jahren lernte Imane Djamil, dass diese Inseln, auch wenn sie nur knapp 100 km entfernt liegen, aufgrund der Brutalität und Härte der europäischen Grenzpolitik für Marokkaner:innen beinahe unerreichbar sind. Diese Politik der Ausgrenzung ist eine Form der Gewalt und erweckt Formen des Widerstands, die auf den existenziellen Erfahrungen von Rassismus und patriarchalen Strukturen beruhen.21Eine „flache Widerstandsform“, die nicht offensichtlich oder laut, sondern sich im Dazwischen, im Alltäglichen, abspielt.32Diesen Widerstand im Verborgenen, versteht Djamil mit ihrer Fotografie einzufangen. Begleitet werden die gezeigten Arbeiten von gezeichneten Geschichten rund um die Fortunate Isle der Künstlerin im Galerieraum und Beschreibungen von Charakteren der Held:innen der Fortunate Isle, bei denen sie es vermeidet zu enthüllen ob es die Personen wirklich gibt oder nicht. Genauso verrät Djamil nicht welche dieser Beschreibungen sich auf welches Portrait beziehen könnte, um die Privatsphäre und Sicherheit der einzelnen Personen zu bewahren.

Charakterbeschreibungen. Die Held:innen der Fortunate Isle:

Ares I. Ein ehemaliger Surf-Champion, der in seiner Jugend fasziniert war von den einzigen drei Personen in Tarfaya, die surfen konnten und in ihren 20ern waren. Er folgte ihnen überall hin und stellte dabei sicher, nicht von ihnen entdeckt zu werden. Er wäre zu schüchtern für eine Interaktion. Eines Tages bemerkten die Surfer ihn dennoch und brachten ihn zu seiner Mutter zurück und erzählten ihr, dass ihr Sohn die Schule schwänzt um sie beim Surfen zu beobachten. Die Surfer wurden zu Ares I Mentoren, der daraufhin den ersten Surf-Club der Stadt mitbegründete. Während der Pandemie zog Ares I in den westlichen Teil der Fortunate Isle und gilt seitdem als verschollen. Er kämpft mit Alkoholproblemen und wird oft gewalttätig wenn er trinkt, was ihn schon mehrmals in Schwierigkeiten gebracht hat. Gerne würde er nach Tarfaya zurückkehren, doch nachdem er gemeinsam mit Freunden ein Boot aus dem Hafen gestohlen hatte und die Aktion auf Social Media gepostet wurde, sind er und seine Freunde im Westen untergetaucht. Die Behörden seiner Heimatstadt wissen vom Diebstahl und Ares I fürchtet im Gefängnis zu landen, kehrt er jemals nach Hause zurück.

Ares Junior. Versuchte bereits zweimal mit einem Boot in den Westen zu gelangen. Das erste Mal 2018. Er und seine Freunde wurden gemeinsam mit 32 weiteren Personen an einen Ort nahe Boujdour im Osten gebracht. 700 Euro sollte die Überfahrt mit dem Boot kosten. Bei ihrer Ankunft in Boujdour stellten Ares Junior und zwei weitere Personen den desolaten Zustand des Bootes der Schleuser fest. Eine kleine Gruppe entschied sich daher nicht mitzufahren und zurückzubleiben. All dies im Niemandsland nahe Boujdour. Die Schleuser stachen in See und ließen sie zurück in der Wüste. Das zweite Mal als Aries Junior es versuchte war während der Pandemie 2020. Gemeinsam mit ein paar weiteren Personen startete er von einem Ort nahe Tantan. Im Ozean wurden sie vom Militär abgefangen. Das Haschisch, das sie mit sich hatten mussten sie auf Anweisung des Militärs im Ozean versenken, bevor sie an die Küste zurückgebracht wurden. Die Besatzung des Militärboots war freundlich und riet ihnen sich eine Geschichte für die Behörden am Festland zurechtzulegen. Das dritte Mal war Ares Junior endlich erfolgreich. Er verließ den Osten auf demselben Boot wie Ares I.

Athena. Badass im Buch der guten Manieren. Für Kurator:innen mit einem Hintergrund in der Verteidigung der europäischen Freiheit und Demokratie, ist diese Konzept vielleicht sogar neu: eine wohlerzogene Muslima, die macht was sie will. Eine begnadete Sängerin, die an einem der größten Gesangswettbewerben im Osten teilnahm. Sie ist eine mindestens ebenso talentierte Fußballerin. Athena liebt den Osten der Fortunate Isle und hegt keine Intention zu gehen, auch wenn dieser Ort sie manchmal wütend macht.

Hestoa ist etwas prüde, sieht aber zu Athena auf. Sie liebt es, nach „östlichem Fortunate Isle Telenovela Style“ zu verführen. Hestoa könnte so gut wie jeden heiraten, oder nie heiraten und stattdessen dem Rat von Athena folgen und Schauspielerin werden. Sie ist die einzige Tochter von vier hyperaktiven Künstlerbrüdern.

Hadee HD. Zwanzig Jahre alt und hyperaktiv. Möchte am liebsten alles lernen und machen: Film, Fotografie und vor allem auch Videobearbeitung. Er liebt es zu „trippi“ (eine Beschreibung im Osten der Fortunate Isle für Backpacking Hippiestyle). Um Geld zu sparen unterrichtet er Mathematik an einer lokalen Schule. Gleichzeitig sieht er sich nach einem Praktikum in einer grafischen oder bildnerischen Branche um. Einmal wollte er in den Westen der Fortunate Isle abhauen, wurde jedoch von seinem älteren Bruder, der selbst versuchte dorthin zu ziehen, erwischt.

Ulysses. Nachdem sein Visaantrag viermal abgelehnt wurde, nahm er ein Boot in den westlichen Teil der Fortunate Isle. Seine persönliche Geschichte ist sehr gut dokumentiert in den Notizen, sowie im Podcast Bed Time Story for Ambassadors and Consults (https://open.spotify.com/ show/4mXh2cpDGmDKOZn6sblIIc). Er ist ein Existentialist, aber keiner der französischen Sorte, der man am liebsten einen Schuh an den Kopf werfen möchte, sondern ein sehr netter und schüchterner. Der Ohrring an seinem linken Ohr lässt ihn auch nicht unbedingt härter aussehen. Kurz nach seiner Ankunft im Westen fand er schnell seinen eigenen Weg, um die ersten paar Monate durchzukommen und lebte mit einem pensionierten Geschäftsmann, der langsam vor sich hin vegetierte. Kurz bevor er starb, sagte der Geschäftsmann zu Ulysses, er dürfe sich ein Objekt aus dem Haus aussuchen. Seine Wahl fiel auf eine Fotografie einer schwangeren Frau, weil sie so cool aussah und es ein Foto war, das er immer bei sich haben wollte, wo auch immer er war.

Zeus. Eine wandelnde Katastrophe! Er hätte viele Ideen für seine Stadt, aber auch immer wieder Züge eines Diktators. Zeus liebt Grafikdesign. Er sieht gut aus und ist sich seiner Attraktivität vollkommen bewusst. Selten bringt er zu Ende was er begonnen hat, da kaum jemand länger als einen Monat mit ihm zusammenarbeiten kann. Dennoch schafft er es immer wieder die Menschen um sich zu inspirieren.

Apollo. Hyperaktiv, aber auf eine andere Weise wie Hestoas Bruder oder Hadee HD. Er ist Lehrer und hat einen Hintergrund in vergleichender arabischer und hebräischer Sprachwissenschaft. Mehr als alles andere liebt er Bücher und träumt davon, in einer Bücherei zu leben. Vor einigen Jahren lebte er in einer anderen Stadt, wobei er selbst sagt, dass er dort mehr in der Bibliothek gelebt hat. Er kann nicht lügen, ist aber auch ein Unruhestifter. Ein Marxist und Naturliebhaber. Während der Highschool hat er mehrere Male versucht in den Westen zu gelangen, wurde aber immer aufgegriffen.

Die Erzählerin. 27 Jahre alt. Immer neutral zu bleiben nervt sowieso. Hauptsächlich Fotografin. Meine besten und schlechtesten Tage werden von derselben Gabe oder Fluch – je nachdem wie man* es sehen möchte – bestimmt: meiner Neugierde.

Am Ende gibt Imane Djamil ihre eigene Identität als Erzählerin und tiefe Verbundenheit mit dem Ort und den Protagonist:innen von Slow Days in the Fortunate Isle preis. Ihre Involviertheit in die Geschichten und Erlebnisse jener, denen sie in den Fortunate Isle begegnet, entfaltet ein widerständiges Potenzial, indem sie sich der Perspektive des vom Westen dominierten Ostens annimmt und ihr Raum gibt. Dabei geht es ihr nicht um das Aufzeigen politischer Spannungen und Territorien, sondern um jene Menschen, die sich dazwischen befinden.

Ausstellung: Imane Djamil – Slow Days in the Fortunate Isle
Ausstellungsdauer: 19.01. – 13.04.2024

Adresse und Kontakt:
Künstler:innen Vereinigung Tirol*
Neue Galerie
Rennweg 1, Großes Tor, Hofburg
6020 Innsbruck
www.kuveti.at