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Wien Kunst

Regina Hügli. Was wäre wenn…

Regina Hügli, Schweizer Fotografin, bildende Künstlerin und Kampfkünstlerin lebt in Wien. Ihre Reisen führten sie zu vielen Plätzen der Erde: Oxford, Schweizer Jura, jordanische Wüste und antike Stätten in der Türkei. Sie beschäftigte sich viel mit Portraitfotografie und viele ihre Fotos wurden als Covers für Magazine verwendet. Vor 10 Jahren verliebte sie sich auf einer Residency in das Thema Wasser, zu dem sie seither arbeitet.
Some of my Sisters, S/w Fotografie, Langzeitbelichtungen, 2000
Some of my Sisters, S/w Fotografie, Langzeitbelichtungen, 2000

Unser Treffen hätte auch an einem Gewässer stattfinden können, stattdessen waren wir beide auf Reisen und es gab es eine Online-Korrespondenz. Wer ist Regina Hügli und was wäre, wenn der Flow des Lebens anders verlaufen wäre?

Erka Shalari: Erzähl uns bitte etwas über Deine Ausbildung. Es ist spannend, Du hast an der Zürcher Hochschule der Künste studiert und dann Vergleichende Religionswissenschaften und Kunstgeschichte an den Universitäten Bern und Zürich. Wie hat das eine das andere ergeben? 
Regina Hügli: Es war umgekehrt: begonnen habe ich mit Vergleichender Religionswissenschaft an der Universität Bern und später in Zürich. Ich war sehr begeistert von diesem damals sehr neuen Studienfach. Mich beschäftigten spirituelle Fragen brennend auf einer persönlichen philosophischen Ebene. Wie kommt man dazu, an etwas zu glauben, das mehr ist als der Mensch? Was könnte das sein? Und: gibt es einen Sinn des Lebens? Auch anthropologische Feldforschung und der interkulturelle Kontext interessierten mich. Welche Glaubenskonzepte, welche Narrative sind in anderen Kulturen relevant, wie sieht die spirituelle Praxis aus? Und auf welcher Grundlage kann man sich zwischen Kulturen über diese Glaubensthemen austauschen? Wie verhindert man Kriege aus Glaubensgründen? Ich würde dieses Fach am liebsten auch heute noch studieren, es ist so spannend. Aber ich habe damals neben dem Studium sehr viel fotografiert, und die visuelle Auseinandersetzung wurde immer wichtiger für mich. Als ich gleich in zwei Kunsthochschulen die Aufnahmeprüfung für den Fachbereich Fotografie bestand, entschied ich mich, mich zuerst in diese Richtung zu bewegen, und habe deswegen zugunsten der Fotografie das Studium der Religionswissenschaften abgebrochen. 

ESH: Wann hast Du Dich richtig als Künstlerin gefühlt? 
RG: Ehrlich gesagt ist das eine Frage, die mich immer noch beschäftigt.  Während meiner Studienzeit war Konzeptkunst sehr wichtig, Fotokunst war von einer gewissen Sachlichkeit und Kälte gezeichnet. Ich dachte, man muss einfach ein Konzept machen und durchziehen, dann kommt am Schluss Kunst raus. Aber das hat mich nicht so angesprochen, es fühlte sich leer an. Mehr angezogen haben mich die sehr autobiografischen, großartigen Fotostrecken von Nan Goldin oder Wolfgang Tillmanns, sie waren von einer wilden Schönheit, und der Moment des Jetzt war in jedem Bild fühlbar. Aber mein eigenes Leben schien mir nicht passend für diesen Stil, nicht interessant genug, nicht Party genug, wenn Du verstehst, was ich meine. Ich habe zwar eine sehr gute Selbstportrait-Arbeit in der Zeit gemacht, aber ich fühlte mich sehr auf der Suche, ich wollte mich nicht nur mit mir und meiner Person beschäftigen. 

ESH: Aber ich würde dich trotzdem gerne fragen, ob es z.B. ein Werk aus dieser Zeit gibt, indem du das Subjekt bist?
RG: Ich habe mich damals von der Vielzahl der Möglichkeiten, wer ich sein könnte, auch überfordert gefühlt und mir die Frage gestellt: wer bin ich wirklich? Ich habe eine Selbstportraitarbeit gemacht mit Langzeitbelichtungen, denn ich dachte, da kann sich mein Inneres genug lang auf der Emulsion ausbelichten (lacht). Ich bin jeden Tag 5 Minuten vor der Kamera still gesessen, und war dann sehr erstaunt über die vielen verschiedenen Gesichter – ich konnte mich teilweise auf den Bildern kaum wiedererkennen. Ich habe die Arbeit “Some of my Sisters” genannt.  Die Frage nach der Identität von Menschen interessiert mich auch heute noch sehr. 2016 habe ich eine Portraitarbeit mit Menschen mit Alzheimer Demenz gemacht, denn ich habe mich gefragt, ob und wie sich Identität ändert, wenn wir vergessen, wer wir sind oder wer wir waren? Die gesellschaftlichen Rollen und Identitäten kommen uns abhanden, was bleibt dann noch? Oder wer kommt da vielleicht zum ersten Mal zum Vorschein? Die Arbeit “Drifting Identity” wurde viel rezipiert und ausgestellt, sie war sogar auf dem Cover des Art-Insert der New York Times…

ESH: Du hast auch viele Auftragsproduktionen realisiert. Kannst du mir mehr darüber erzählen?
RG: Während meines Fotostudiums ergab es sich, dass ich erste Aufträge für Portraitarbeiten erhielt von grösseren Schweizer Magazinen. Zuerst war es nur ein einziger Auftrag, ich musste dafür nach London und der Portraitierte gab an, nur zehn Minuten Zeit zu haben. Ich hatte einiges vor, große Ansprüche und dementsprechend grße Angst, dass es nicht klappen könnte. Aber es hat geklappt und am Schluss nahm sich der Portraitierte vier Stunden Zeit und wir haben allerlei spielerische Dinge umgesetzt und hatten extrem viel Spass. Von da an habe ich viele Portraitaufträge gekriegt, für große Magazine und Zeitungen in der Schweiz und Deutschland wie das Tagesanzeiger Magazin (CH), DU (CH), Süddeutsche (DE), Neon, Geo, Galore (DE, gibt es nicht mehr), ZEIT etc. Ich fand es extrem spannend und herausfordernd, vielen Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zu begegnen und eine passende Bildsprache zu suchen, um die Persönlichkeit und ihr Selbstverständnis wiederzugeben. Ich bin sehr neugierig, und reise gerne, und diese Arbeit und die Zufälle, die sie mit sich brachte, das Unvorhergesehene, war eine Weile fantastisch. Mir fiel auf, wie verschieden die Lebenswelten der Menschen sind, und wie wenig sie oft mit kriegen von den Lebenswelten anderer. Die Portraitfotografie hat mich lange sehr erfüllt, bis mich die Medienlandschaft auch begonnen hat zu ermüden, –  immer Eintagsfliegen fangen, ohne längere Zeit an einer Sache arbeiten zu können. Damals habe ich begonnen, auf Residencies zu fahren, um wieder mehr Zeit für meine eigenen Projekte zu haben. 

2013 habe ich auf einer Residency im Schweizer Jura begonnen, zum Thema Wasser zu arbeiten, was ein sehr zentrales Thema für meinen künstlerischen Prozess geworden ist. Es fühlt sich so an, als hätte ich ein Thema, eine Faszination gefunden, anhand dessen ich auch meine Sprache, meinen Ansatz entwickeln kann. 

Auf des Wassers Scheide, Schweiggers (A), Langzeitbelichtung, Lichtzeichnung 2020
Auf des Wassers Scheide, Schweiggers (A), Langzeitbelichtung, Lichtzeichnung 2020

ESH: Was interessiert dich an dem Thema Wasser? 
RG: Durch die Beschäftigung mit Wasser treffen sich viele Fäden, die mich interessieren. Wasser als Metapher für Bewusstseinsvorgänge und Erinnerung, Umgang und Narrative mit Wasser in verschiedenen Kulturen, die spirituelle Dimension von Wasser – auch meine intensive Beschäftigung mit chinesischen Kampfkünsten wie Taijiquan haben einen engen Wasserbezug – Wasser als Lehrmeister für ständige Veränderung und Durchlässigkeit z.B. Der verbindende Aspekt von Wasser hat mich auch dahingehend inspiriert, mehr in Kooperationen zu arbeiten, transdisziplinär, ich arbeite nun auch kuratorisch und als Organisatorin von Veranstaltungen. Wasser hat mich auch politisch radikalisiert, ich finde es haarsträubend wie wir Menschen uns auf diesem Planeten aufführen. Wir werden es schaffen, uns und viele Spezies mit uns auszulöschen, wenn wir nicht entscheidende Veränderungen in unserem Bewusstsein umsetzen können. Das tut mir sehr leid um die schönen Orte und die unglaublichen Schätze dieser Erde, um all die Lebewesen, die leiden müssen und auch für die zukünftigen Menschen-Generationen, die eine so große Baustelle erben.

ESH: Seit fast einer Dekade beschäftigst du dich mit dem Element Wasser, kannst du erläutern wie dein Verein ONE BODY OF WATER entstand, und was du in dessen Rahmen machst?
RG: Den Verein One Body of Water habe ich letztes Jahr gegründet, um meinem Engagement für Wasser und Leben einen grösseren Radius zu verschaffen. Er transportiert nach außen besser, was ich tue, macht es sichtbar, verständlicher. Es ist aber auch für mich selbst wichtig – ich verstehe selbst jetzt besser, was ich tue (lacht). One Body of Water ist einer Vision der Verbundenheit verpflichtet, der Verbundenheit allen Lebens durch Wasser. Das dynamische, zirkulierende Element macht deutlich, dass alles was wir tun, in Verbindung zu den Lebensbedingungen anderer Lebewesen steht, sie und ihre Lebensbedingungen beeinflusst. Eine solche Sichtweise bringt mit sich, dass ich über meine eigene Wirkungsweise nachdenke und mich mit meinen Projekten dafür einsetze, dass wir respektvoll mit Wasser und Leben umgehen.

Mein aktuelles Projekt, das ich mit meinem Verein umsetze, ist eine Veranstaltungsreihe in Wien: WASSER TEILEN. Ich arbeite dafür mit dem Naturhistorischen Museum, dem Volkskundemuseum und der Universität für Angewandte Kunst zusammen, die Veranstaltungen sind transdisziplinäre Workshops und öffentliche Veranstaltungen und laufen noch bis Mai 2023. Ziel der Veranstaltungen ist es, neue Konzepte zu entwickeln für gerechtes und nachhaltiges Teilen der Ressource Wasser. Wenn man den Blick auf Wasserthemen weltweit richtet, wird einem klar, wie sehr die größten Herausforderungen unserer Zeit – der Klimawandel, der Rückgang der Biodiversität und die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Menschen – miteinander verbunden sind. Es lässt sich nicht das eine ohne das andere lösen. 

ESH: Du bist für den Neptun Staatspreis für Wasser im Sektor Kunst nominiert worden. Was bedeutet das für Dich? 
RG: Ich freue mich sehr, dass ich für diesen Staatspreis nominiert wurde. Es ist ein tolles Gefühl der Wertschätzung und Anerkennung. Der Staatspreis wird in drei Sektoren vergeben: Wissenschaft, Bildung, Kunst. Wenn ich mir die nominierten Projekte ansehe, wird mir klar, wie viele Leute sich auf verschiedenen Ebenen für Wasser einsetzen, und ich freue mich, mich dazu weiter zu vernetzen. Vernetzung und Austausch scheint mir für mein Anliegen sehr wichtig zu sein, One Body of Water ist deswegen vor kurzem auch der internationalen Association of Water Museums beigetreten, eine Plattform für Museen, Forschungsprojekte, und Initiativen weltweit, die sich für Bewusstseinsbildung zu Wasserthemen einsetzen.

Limyros, record of a lightdrawing by the river itself, 2015
Limyros, record of a lightdrawing by the river itself, 2015

ESH: Wenn Du nicht Künstlerin geworden wärst, wo würdest du dich heute sehen? In einem vor kurzem erschienenen Interview sagte Anne Imhoff zum Zeit Magazin (Ausgabe 05/2023) folgendes: „Wenn mich damals jemand gesehen und ich das richtige Training bekommen hätte, wäre ich Boxerin geworden und nicht Künstlerin.“. Was wäre es bei Dir gewesen?
RG: Oh das ist eine schöne Frage, gerne stelle ich mir manchmal vor, dass ich ganz wer anderer wäre. Als Teenager wollte ich Tier-Verhaltensforscherin werden, Jane Goodall war ein großes Vorbild. Ich glaube, das hätte auch gut gepasst, allein irgendwo im Dschungel oder in der Wüste.  Später dachte ich, ich wolle in ein Kloster eintreten, da bin ich sehr froh, dass ich das nicht gemacht habe. Es wäre wohl auch nicht gut gegangen, ich bin bezüglich institutioneller Hierarchien und Fragen der Macht sehr rebellisch (lacht). Mitunter möchte ich am liebsten nur noch trainieren und meditieren, und eine große Kampfkünstlerin werden. Ich bin fasziniert von der Möglichkeit, Härte durch Weichheit zu besiegen, und andere Aspekte des Taijiquan. Und natürlich wäre es auch toll, Lightness-Kungfu zu erlernen und von Dach zu Dach zu springen wie im Film. 

Auf des Wassers Scheide, Pass Lunghin (CH), Langzeitbelichtung, Lichtzeichnung 2015
Auf des Wassers Scheide, Pass Lunghin (CH), Langzeitbelichtung, Lichtzeichnung 2015

ESH: Und wenn Dich Dein Weg nicht nach Wien verschlagen hätte, was wäre passiert?
RG: Oh keine Ahnung, ich bin der Liebe wegen nach Wien gekommen, aber die Liebe hätte mich auch woanders hinführen können, ich bin abenteuerlustig, und habe die Schweiz gerne verlassen. Ich habe meinen ehemaligen, langjährigen Partner und Vater meines Kindes in der Wüste in Jordanien kennengelernt und habe auch sehr viel Zeit mit ihm arbeitend in der Türkei verbracht, was mich auch sehr begeistert und geprägt hat. Interessant wie Orte und Menschen einen prägen – es hätte jederzeit eine andere Abzweigung geben können.
Abzweigungen interessieren mich übrigens auch sehr: ich arbeite fotografisch zu der Verzweigung bei organischem Wachstum, z.B. Ästen von Bäumen. Wieso verzweigen sie sich genau an der Stelle? Wie entsteht der Impuls, eine Astgabel zu formen?

Portrait Regina Hügli by Julius Chromecek, 2021.
Portrait Regina Hügli by Julius Chromecek, 2021.

ESH: Was machst Du zum Entspannen?
RG: Das ist eine gute Frage, ich bin nämlich nicht sehr gut darin. Ich lerne es gerade besser. Am besten hilft es mir, in der Natur zu sein, ich bade gerne in allen möglichen Gewässern und liebe Luft und Sonne auf der Haut. Ich glaube, das entspannt mich am meisten. Nichtstun kann ich am besten in der Sonne vor einer Berghütte oder am Meer. Natürlich haben auch Meditieren und Taijiquan üben entspannende Aspekte, die mich gelassener machen, oder genussvolles Kochen, gemütliches Unkraut jäten, Spiele spielen, gemeinsam Singen, am Feuer sitzen und natürlich: Sex ist unglaublich schön entspannend. 

ESH: Verrate uns eine Leidenschaft von Dir. 
RG: Ich glaube, das habe ich gerade getan. 

ESH: Woran arbeitest du gerade?
RG: Daran, nicht dauernd arbeiten zu müssen. 

Regina Hügli – www.reginahuegli.com, www.onebodyofwater.net, www.sharing-water.net, www.instagram.com/reginahuegli/


Regina Hügli (*1975, Oxford) ist Schweizer Fotografin, Wasserliebhaberin und Kampfkünstlerin und wohnt in Wien. Ihre Arbeiten kreisen um das Thema Wasser und Transformation, Fluidität von Identität und Erinnerung. Sie arbeitet auch als Kuratorin von Ausstellungsprojekten und Organisatorin von Veranstaltungen. Mit ihrem Verein One Body of Water setzt sie sich für einen respektvollen Umgang mit Wasser und Leben ein.

Erka Shalari (*1988, Tirana) ist eine in Wien wohnhafte Autorin, die sich mit Kunst befasst. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich einerseits auf die Entdeckung internationaler junger und aufstrebender KünstlerInnen, andererseits mit ungewöhnlichen Ausstellungsräumen, Non-Spaces und Galerien. Sie setzt auf unorthodoxe Publikationserfahrungen. Eine leichtfüßige Herangehensweise, verbunden mit unkonventionellen Blickwinkeln, zeichnen die Produktionen (Artikel für Magazine, Ausstellungstexte, Press Releases) von Erka Shalari aus.