Das erste Artist Book der Künstlerin Michaela Putz trägt den Titel PALINOPSIA und ist eine Auseinandersetzung mit den Nachbildern unseres digitalen Zeitalters: die visuellen Inputs unserer Smartphones, welche die Realität vor uns überlagern. Die Kunsthistorikerin Paula Marschalek und die Künstlerin Michaela Putz haben sich dazu unterhalten.
Der Titel des Buches lautet PALINOPSIA… Kurz gefragt: Was bedeutet dieser und worauf nimmt er Bezug?
Als Palinopsie bezeichnet man eine Sehstörung, bei welcher Bilder im Gesichtsfeld vorhanden sind, die schon Sekunden oder Minuten davor gesehen wurden. Das bedeutet man sieht ein Bild, schaut woanders hin und hat das Bild dann noch vor sich. Das war für mich wie eine Metapher oder ein Synonym für diese Zeit der Screens, die ja einerseits unsere visuelle Umgebung überlagern mit den Inhalten, die wir darauf sehen und zum anderen auch die Bilder selbst, die dann in der Publikation zu sehen sind. Die sind auch wieder visuelle Überlagerungen von Bildern, die auf dem Smartphone zu sehen sind. Gleichzeitig haben diese auch fotografisch aufgenommenen Wischspuren auf dem Screen. Diese verschiedenen Ebenen habe ich in dem Begriff für mich wiedergefunden.
Die Arbeiten, die im Buch zu sehen sind, entspringen deiner Serie „Screen Romance“. Kannst du uns mehr darüber erzählen? Womit beschäftigst du dich darin? Was hat dich dazu bewegt diese Serie zu starten?
Ich habe die Serie im Jahr 2018 während einer Artist Residency in Andalusien begonnen. Die Überlegung war, dass wir so viele Bilder – vielleicht von Verflossenen oder Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr in unserem Leben sind – auf unseren Smartphones haben. Im Gegensatz zum analogen Foto, das man gegebenenfalls in eine Kiste packen und somit aus dem Kopf bekommen kann, sind die digitalen Bilder, die wir am Smartphone – und dadurch in der Cloud – haben, immer da. Für mich stellte sich dann die Frage: Was bedeutet das eigentlich, dass diese Bilder immer wieder aufpoppen? Dass man diese Bilder immer wieder auf dem Screen sieht? Weiters kam die Beobachtung dazu, dass wir digitale Bilder viel mehr noch als analoge Bilder berühren. Wir holen sie uns nah heran, zoomen rein. Diese Gedanken haben mich dazu gebracht, den Umgang mit digitalen Bildern zu hinterfragen.
Hier sieht man einen Fingerabdruck, also die menschlichen Spuren, ja ganz gut (deutet auf die Serie „Screen Romance“). Wie hast du das gemacht?
Die Fotos entstanden, indem ich Fotos von meinem Smartphone abfotografiere. Natürlich kommt es da auf den Winkel und auf die Lichtverhältnisse an, aber „Screen Romance“ ist wirklich direkt vom Smartphone abfotografiert und daher sind auch meine Fingerabdrücke im Bild enthalten.
In der gezeigten Serie geht es – wie du sagtest – um das Berühren von Screens. Wie war es diese Thematik im und mit dem analogen Medium Buch zu bearbeiten und so mit neuer Energie aufzuladen – vielleicht so sogar etwas Neues zu schaffen?
Das Denken im Medium Buch war für mich sehr herausfordernd. Oft stellt man sich ja die eigenen Arbeiten in einzelnen Bildern oder in Ausstellungssituationen vor und sieht da gleich, wie Bilder arrangiert werden. Dass aber ein Bild verschwindet, sobald man umblättert, war für mich nicht so einfach, besonders, wenn man an die visuelle Narration denkt. Der Verlag XYZ Book ist da sehr erfahren und hat mir durch den Prozess geholfen.
Schon beim ersten Blick mutet PALINOPSIA sehr originell und durchdacht an. Das Buch weist viele einzigartige Details auf. Könntest du genauer ausführen, was das Besondere an PALINOPSIA ist?
Beim Cover war für mich entscheidend, dass Benutzer*innen, die das Buch berühren, ihre eigenen Fingerabdrücke hinterlassen. Das high-glossy Cover soll an einen Screen erinnern und auch die Erfahrbarkeit eines Screens haben, also zum Beispiel, dass ich mich verewigen kann. Schön finde ich auch – und das spricht wieder die Thematik der Arbeit mit digitalen Bildern an – , dass digitale Bilder ja sehr viel berührt werden und in einem Ausstellungskontext dann überhaupt nicht mehr. Den Bildern wird durch das Medium Buch eine neue Ebene zugeschrieben, indem man sie berühren kann, wenn man durchblättert und sie so haptisch erfahrbar werden. Sobald PALINOPSIA aufgeklappt ist, kommt ein Text von Fabian Knierim, dem Kurator vom Westlicht Museum zum Vorschein, der über meine Serie „Screen Romance“ handelt.
Artist Interview mit Michaela Putz Artist Interview mit Michaela Putz
Was ich auch noch erwähnen möchte ist die Fadenbindung. Michaela, du hast mir auch erzählt, dass du bei der Residency gut beraten wurdest bezüglich der Details.
Ja genau. Das Buch war schon im Druck, als ich eine Nachricht von XYZ Books bekommen habe mit der Idee die Farbe des Fadens auf die Bilder in der Publikation abzustimmen. Von Seiten des Verlags wurde sehr auf Details geachtet und Feingefühl bewiesen.
Wie verhalten sich denn digitale zu analogen Bildern für dich?
Ich habe ja schon vorher erwähnt, dass mich der Umgang mit digitalen Bildern sehr interessiert, abgesehen von der Flut an Bildern in der Cloud. Im Gegensatz dazu existiert das analoge Foto in kleineren Mengen. Besonders beschäftige ich mich mit der Frage, wie man haptisch damit umgeht. Ich finde es interessant, dass eine Datei als ätherisch beschrieben wird, als ein Code, der herumschwirrt. Sobald es aber um die Erfahrbarkeit dieser Datei geht, ist es ein sehr touchy Prozess. Das Heranzoomen zum Beispiel. Man sieht auch in diesen Bildern (deutet auf „Screen Romance“), die Raster vom Screen, die ja auch wieder für die Materialität des Screens selber und auch stellvertretend für die Veranschaulichung der Technik stehen. Dieses ständige Berühren der digitalen Bilder finde ich interessant – fast wie eine Ersatzhaut. Ich habe diese Serie 2018 begonnen und kurz vor der Pandemie hat die Residency in Lissabon gestartet. Für mich war diese Serie sofort mit einer neuen Bedeutung aufgeladen. In der Pandemie fand nämlich dann genau das statt: lange Zeit hat man Menschen nur durch Screens berührt, weil es ja nur digitalen Kontakt gab.
Ich finde es auch so schön, dass du durch COVID den Arbeiten eine weitere Bedeutungsebene und etwas Positives hinzugefügt hast. Das haben wir schon öfters angesprochen, aber dennoch finde ich es spannend, dass sehr oft die analogen Bilder, die dann an der Wand hängen, eine wahnsinnige Aura bekommen. Sobald sie als Foto da sind, wo man sie anfassen darf, ist es etwas komplett anderes. Die Gegenüberstellung von deinen digitalen Screens, die aber auch an der Wand hängen ist interessant, besonders die Ambivalenz dessen.
Das Changieren zwischen den Medien – von Ausstellung und Bild zum Buch – war für mich ein spannender Prozess.
PM: Wie war es für dich der Vorgang vom Dummy bis zum fertigen Buch? Was waren die Herausforderungen, die mit der Konzeption und Produktion eines Artist Books einhergehen? Wie hat COVID-19 mitgespielt?
Es gab sehr viele Pandemie-Pausen. Ich war im Februar 2020 ein Monat in Lissabon bei der von XYZ Books neu gegründeten Artist Book Residency. Die richtet sich an Künstler*innen, die mit Foto arbeiten, und werden dann ganz gut betreut im Prozess, einen Dummy herzustellen. Das haben wir gemacht – und als ich zurückkam nach Wien, war der erste Lockdown. Wir blieben dann in Kontakt und der Verlag hat Interesse geäußert, das Buch herauszugeben. Ich habe mich in dieser Zeit nach Fördergebern umgesehen und so dann die Finanzierung zusammengestellt. Wir wollten dann im Juni vor Ort weiter daran arbeiten, doch dann war wieder alles zu. Deshalb haben wir dann auf Distanz weitergearbeitet: Ich habe Papier-Vorschläge bekommen aus Lissabon, Probedrucke und einen weiteren Dummy. Im Jänner 2021 hätten wir dann den Drucktermin in Porto gehabt, und als ich kurz davor war, den Flug zu buchen, war schon wieder Lockdown. Ich habe dem Verlag dann gesagt, ich vertraue ihnen, wir können das auf Distanz fertigstellen und den Druck umsetzen, ohne dass ich vor Ort bin. Ende Juni ging dann tatsächlich alles in den Druck. Die Idee war, dass ich im Juli nach Lissabon komme, um die Bücher zum ersten Mal zu sehen, und die Publikation bei der Feira Grafica Messe zu präsentieren. Ein Tag vor Abflug wurde ich informiert, dass diese Messe wegen COVID abgesagt wurde. So war ich dann eben vor allem dort, um die Bücher nach Wien mitzunehmen.
Das Buch wird glaube ich auch bei anderen Messen gezeigt?
Genau! PALINOPSIA war schon beim Charta Festival in Rom, es ist dann mit dem Verlag noch bei der Paris Photo, auf der Unseen in Amsterdam – und die Messe in Lissabon wird im September nachgeholt.
COVID-19 hat doch viel in die Karten gespielt. Aber ich finde, das Endprodukt ist wahnsinnig schön geworden, das holographische Cover ist toll. Hast du andere positive Effekte und Überlegungen mitgenommen aus der Residency?
Dadurch, dass ein Buch zu machen für mich so anders war, war es ein großer Lernprozess.
Es ist auch sehr herausfordernd von der künstlerischen Arbeit in ein komplett anders Medium zu gehen. In ein Buch, das ja die Arbeit vermitteln soll. Es sind viele Entscheidungen, die man treffen muss.
2016 hatte ich meine erste Artist Residency in Lissabon, wo ich begonnen habe, mich mit dem Thema der Screens zu beschäftigen. Dadurch ist es nun wie ein Kreis, der sich schließt.
Kannst du uns noch die Geschichte erzählen, wie die Arbeit mit den Screens eigentlich begonnen hat?
In Lissabon gibt es einen Hauptplatz mit einem schönen imposanten Zugang zum Fluss. Ich habe im Zuge meiner Residency für lange Zeit die Menschen dort beobachtet. Natürlich gingen viele Tourist*innen an diesen Platz – und dann meist, um ein Foto zu machen und wieder zu gehen. Ich habe dann begonnen, Leute anzusprechen, um sie zu fragen, ob sie mir das Foto zeigen können, habe diese dann teilweise von deren Screens abfotografiert. Das war dann für mich der Beginn dieser Beschäftigung.
Super, es geht um Momente, Erinnerungen und Geschichten vielleicht auch von anderen und ich finde, wie „Screen Romance“ schon konnotiert, um etwas Vergängliches. Hier schließt sich also der Kreis: mit der Serie, die in Portugal begann und dem Buch, das dann in Portugal abgeschlossen wird. Danke dir für das Gespräch!
Über die Künstlerin:
In ihren Arbeiten beschäftigt sich Michaela Putz mit den Implikationen einer auf die Oberflächen digitaler Kommunikationstechnologien reduzierten Gesellschaft. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppen-Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt, unter anderem: Ars Electronica Festival, Künstlerhaus Wien, Bildraum01, Parallel Vienna, Espacio de Arte Contemoáneo (Montevidéo, Uruguay), TAF The Art Foundation (Athens Photo Festival 2019), Galerie Rudolf Leeb, U10 Art Space (Belgrad, Serbien), Dokumentationszentrum für moderne Kunst St., BETON7 in Athen (Athens Photo Festival 2018). Sie erhielt diverse Stipendien und Preise, etwa das Startstipendium für Fotografie des BKA 2019 und den Förderpreis für Bildende Kunst Burgenland 2018.
Über die Autorin: Paula Marschalek, BA MAS ist eine österreichische Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien und setzte ihre Ausbildung an der Universität für angewandte Kunst fort, wo sie ihren Master in Kunst- und Kulturmanagement abschloss. Sie arbeitete in renommierten Kunstinstitutionen wie dem Dorotheum und dem Kunsthistorischen Museum, sammelte Erfahrungen am Kunstmarkt als Kommunikations-managerin bei der Galerie Rudolf Leeb und absolvierte von September 2019 bis März 2020 ein Kulturmanagement-Stipendium im MAK Center in Los Angeles, USA. Sie schreibt als freie Autorin für Magazine mit dem Schwerpunkt Kunst und Kultur, kuratiert Ausstellungen und moderiert. Mit Marschalek Art Management entwickelt sie individuell zugeschnittene Kommunikationsstrategien für Kunst- und Kulturschaffende.