Hallo Marie, Glückwunsch zum 1. Platz! Wie zufrieden bist du mit der Arbeit?
Also was mir einer meiner Kollegen mal gesagt hat, was ich voll schön fand, ist, dass er mir gratuliert hat nicht unbedingt dafür, dass ich den Preis gewonnen habe, sondern dafür, dass ich zufrieden genug mit der Arbeit war um sie überhaupt einzureichen. Was eigentlich das größte Erfolgserlebnis sein konnte, dass man innerhalb dieses Semesters, was wirklich nicht so viel Zeit ist, etwas so abschließt, dass sowas eingereicht werden kann. Ein Jahr später…das Technische hätte ich schon besser machen können. Aber dadurch, dass es so ein bisschen rough ist, diese 3-D-Punkt-Animation wirklich ganz verschwommen, dass man nicht alles erkennt, ist auch irgendwie ganz cool. Also ich könnte mir vorstellen, dass da mehr technische Fähigkeiten es nicht unbedingt hätten besser machen können.
Ich war nicht überrascht, dass du gewonnen hast, ich fand die Arbeit toll, weil die Idee so zugänglich ist, und sie hat auch etwas Spannendes, dadurch, dass sie so was von reality hat, wahre Geschichten. Du hast Objekte gefunden und versucht, glaube ich, die Geschichte hinter den Objekten zu erzählen. Was war die Idee hinter der Arbeit?
Ich hab‘ das innerhalb meines Studiums gemacht und die Aufgabe, die die Professorin gestellt hat, war, den 16. Bezirk zu untersuchen und dann eine Intervention zu entwerfen gegen die Hitze.
Gegen die Hitze?
Gegen die Hitze, gegen die Wärme in Ottakring. Vor ein paar Jahren hat die Stadt Wien eine heat vulnerability map rausgebracht, wo die Orte in Wien angezeigt wurden, die am meisten von Hitze betroffen waren. Und die Thaliastraße war da besonders betroffen, weil es urheiß ist, aber auch die Fähigkeit wie sehr die Menschen gegen die Hitze gewappnet sind, also in reicheren Bezirken, die auch wärmer sind, können sich dann Menschen leisten eine Klimaanlage zu haben oder in ein Restaurant zu gehen, das gekühlt ist… Auf jeden Fall sollten wir eine intervention entwerfen, die den Menschen gegen diese Hitze hilft und ich habe angefangen mit meiner Untersuchung, indem ich eben diese Objekte gefunden habe und bin dann ein bisschen in dieses Loch gefallen, diesen Objekten nachzugehen und am Ende ging es dann eben nicht mehr um physische Hitze, sondern eher um diese menschliche Wärme hinter diesen kalten, anonymen Objekten auf der Straße.
Im Titel, da war dann auch wieder etwas physische Wärme da, „The seat of the bus is still warm as you sit down“, dieses Gefühl, dass, wenn du dich in den Bus oder die U-Bahn hinsetzt und es ist noch warm.
Du hast eine heat map von Geschichtssträngen gebaut.
Voll, das war das erste, was ich dann eigentlich vor genau einem Jahr gemacht habe. Das erste Mal bevor ich die Menschen besucht habe alle Objekte zu ordnen auf der Karte. Und auch nach Zeit zu ordnen.
Genau, du hast nämlich mehrere Videos gemacht und da kam immer mehr Leben rein. Im ersten Video waren wirklich nur, nach Zeit geordnet wie du sagst, die Objekte, die am Bildschirm vorbeiziehen und dann später kam Ton dazu, Telefonausschnitte und am Ende kamen wirklich ganze Gespräche und auch du, du hast dich ein bisschen exposed da, deinen Namen genannt, was du studierst…Wie siehst du diese Entwicklung von den Videos, war das eine Veränderung deines Fokus‘ oder hast du es geschafft, die Idee, die du hattest, präziser einzufangen?
Du hast recht, es wird immer wärmer mit der Zeit, von nur der ersten Animation bis zu wirklich diese Menschen treffen. Was einen ganz großen Unterschied gemacht hat, war mein eigener mood, ich habe diese erste Animation ohne Ton gemacht und dann hatte ich ein paar Telefonnummern und dann dachte ich so „Scheiße, ich muss diese Leute jetzt anrufen“ und ich hatte so Angst vor dem ersten Telefonat, wirklich, ich hab’s fast nicht gemacht und dann hab‘ ich mir so einen langen Text überlegt, was ich dem jetzt sage, und dann hat er so nach zwei Minuten aufgelegt. Dann hab‘ ich ein bisschen meine Strategie verändert, ich hab‘ dann den Menschen nicht mehr so ganz die Wahrheit gesagt.
Am Anfang war mir auch nur wichtig überhaupt die Stimmen von den Menschen zu hören, eigentlich war das eh die ganze Zeit wichtig. Über was ich mit den Menschen gesprochen hab‘ war nie so im Fokus, sondern nur ihre Stimme zu hören und zu sehen wo sie leben.
Du bist dann spontaner an die Interviews herangegangen.
Voll, es war auch wichtig, diesen Vertrauenspunkt zu finden und was dann wirklich geholfen hat, also am Ende unseres Semesters mussten wir unsere Projekte einer Jury präsentieren und, das ist nicht so wichtig, aber einer von denen hat etwas Schönes gesagt, nämlich, dass die Werkzeuge der Architektur, die ja schon ein bisschen zweitrangig waren in dem Projekt, aber er wollte das glaube ich trotzdem erwähnen, dass die Werkzeuge des Architekten dann zum Vertrauen geholfen haben, weil ich die Menschen gefragt habe eine Karte zu zeichnen von ihrem Wien und meistens war genau an dem Moment, wo ich ihnen was in die Hand gedrückt habe, den Stift und den Block, wo sie dann sich entspannt haben und mit mir geredet haben, während des Zeichnens mit mir geredet haben. Also das Werkzeug des Zeichnens war da so die Verbindung und jetzt hab‘ ich ein bisschen deine Frage aus den Augen verloren.
Du hast mir eh eine genügende Antwort gegeben. (Lachen). Mit dem Stadtplan sprichst du einen Punkt an, du bist nicht aus Wien, wo kommst du her? Kommst du aus einer Stadt oder vom Land?
Also, ich bin in Stuttgart geboren, aber ich bin in Indien und Kenia aufgewachsen und das ist tatsächlich auch wichtig irgendwie, weil, als ich nach Wien gezogen bin, also Objekte auf der Straße sammeln mache ich eigentlich schon sehr lange, das hab‘ ich auch schon in Kenia gemacht, aber nicht so bewusst, ich wollte das zwar immer in mein Tagebuch einkleben und so aber das liegt jetzt alles irgendwo in einer Box, und dann bin ich nach Wien gezogen und hab das ganz intensiv weitergemacht in den ersten paar Monaten, also während meines ersten Semesters, und hab das Projekt damals schon „The seat of the bus is still warm as you sit down“ genannt, weil, das ist eigentlich ein bisschen platt, aber ich fand die Welt hier kalt, grau und unpersönlich. Vor allem, wie die Menschen sich in öffentlichen Verkehrsmitteln verhalten haben, dass man so nah aufeinander ist und so tut als würde die andere Person nicht existieren. Und dann lagen aber tausend Schätze auf der Straße, ein Partyfoto hab‘ ich gefunden und sowas.
Dann war das auch ein Stück weit eine Methode, dir die Stadt anzueignen. Du hast, als wir uns unser Treffen ausgemacht haben, den Ort mit den Himmelsrichtungen beschrieben, du hast gesagt „westlich der Pilgramgasse“. Mir ist das aufgefallen, weil es, glaube ich, wenige so sagen würden. Wieso glaubst du, denkst du in Himmelrichtungen?
Das tu ich wirklich, ich find das schön, dass du das erwähnst, eine Sache, die ich so gar nicht mag ist, wenn man in einem Raum sitzt mit einer Person und die Person von einem Ort spricht, der in der Nähe von dem Gebäude ist und dabei in eine völlig falsche Himmelsrichtung zeigt (lacht). Das passiert voll oft! Also viele Sachen kann ich nicht so gut, aber auf Himmelsrichtungen achte ich immer sehr. Ich denke immer daran, wo Norden ist. Aber ich weiß auch nicht warum.
Nochmal zum Video und diesen Architekturanimationen, bewegt sich die Kamera durch den Raum oder bewegen sich die Architekturen durch die starre Kameraperspektive?
Willst du die kurze Antwort oder soll ich erklären, wie das funktioniert?
Nein, ich meine nicht technisch, sondern von der Idee.
Die Kamera bewegt sich. Das ist glaube ich auch leichter. (Lacht).
Mir scheint es passend zum Thema Himmelsrichtungen, die ja auch ein neutrales Verständnis von einem Ort ausdrücken, die sind überall gleich. Und dann die Kamera, die auch durch Wände schießen kann.
Urschön. Was diese 3-D-Scans auch bedeuten und dazu passt, dass sich diese Wände auflösen, ist, was mir neulich jemand in einem Seminar gesagt hat, wir sehen separate Objekte, weißt du was ich meine, unser Auge funktioniert so, wenn ich jetzt runter schaue liegt da das Handy und da das Blatt und da ist das Brett und wir sehen das als separate Einheiten, aber der 3-Scan mit diesen Punkten weiß nicht, was welches Objekt ist, deswegen verschwimmt das alles zu einer Masse und diese Trennungen verschwinden, weißt du was ich meine?
Es ist alles mit allem verbunden, so wie deine Objekte auch.
Voll. Aber die Stadt mit Himmelsrichtungen zu betrachten ist zwar universell aber auch ein bisschen zu statisch, irgendwie. Diese Karten, die diese Menschen gemalt haben, waren oft völlig missachtend von den Himmelsrichtungen, also mein Bild der Stadt würde wahrscheinlich nicht mit dem Bild der Stadt übereinstimmen, was in dem Film existiert, natürlich nicht, weil es sind ja auch immer andere Geschichten als meine Geschichte.
Dabei könnte man denken, Google Maps ist auch immer nach Norden ausgerichtet und die Menschen würden die Himmelsrichtungen beim Zeichnen beachten.
Ja, also das, was die Zeichnungen zeigen sollten, ist, dass jeder in einer anderen Stadt lebt.
Arbeitest du noch weiter an der Idee, sammelst du immer noch weiter Objekte?
Ich sammle nicht mehr Objekte, aber ich hab‘ ein Schlüsselobjekt gefunden vor einem halben Jahr oder so. Direkt hier um die Ecke auch, ich hab‘ ein Kalender gefunden, einen Handkalender von einer Immobilienmaklerin und dann hab ich alle Seiten kopiert und ihn ihr zurückgeschickt. Da stand so viel cooles Zeug drinnen, aber ich hab’s noch nicht geschafft, daran weiter zu arbeiten, leider.
Hast du eine Idee was damit passieren könnte?
Der erste Instinkt war, wieder eine Karte zu machen, einfach weil es auch das Werkzeug einer Architektin ist, aber irgendwie…mit der Zeit, es ist ja ein Kalender der Zeit, aber auch von den Orten und den Menschen, weißt du was ich meine, es verschwimmt alles miteinander, mit den Adressen… Das irgendwie darzustellen in einer Zeichnung wär‘ natürlich der Traum. Es ist irgendwie am Schwersten, das in einer Zeichnung zu machen, weil es sich nicht bewegt, statisch ist, aber sowas wär‘ schon ganz cool. Mal schauen, vielleicht hab‘ ich ja mal ein bisschen Zeit übrig. Übrigens hab‘ ich hier [wir sitzen auf einer Bank vor dem AMS bei der Pilgramgasse] auch was gefunden!
Du hast dich hier mit jemandem getroffen, nicht?
Und ich hab‘ auch hier was gefunden ist mir gerade eingefallen! Und das war der gleiche Typ, ich weiß nicht, ob ich das damals schon gecheckt habe, aber, weil da auch das AMS ist, hab‘ ich das Gefühl, dass alles zusammenhängt. Der Typ, den ich getroffen hab‘ hatte diesen Schuldenbrief und ich hab‘ den Schuldenbrief hier gefunden. Ich weiß nicht, ob das damit zusammenhängt, aber ich wollte mich mit ihm hier treffen, weil ich dachte, dass er hier in der Nähe wohnt, aber dann hat er da gar nicht mehr gewohnt, also ich glaub, das war alles Zufall (lacht) aber es ist alles irgendwie zusammengekommen.
Wieviel hast du ausgeschnitten aus dem Video, hast du nur eine Auswahl reingepackt oder alles?
Nein, ich hab‘ alles, ich glaub ich hab 20 Objekte oder so gefunden, nein es waren mehr Objekte, ich glaub, es waren 40 Objekte oder so was, ich hab‘ 20 Menschen gefunden, mit Namen und so weiter und dann fünf wirklich getroffen, also ich hab alle reingepackt und es war gerade genug um das Video zu füllen, ich hatte wirklich Glück! Die anderen haben nicht reagiert oder sowas. Das der mir auf Facebook geantwortet hat ist ja auch absurd, das war die einzige Person, die auf Facebook geantwortet hat.
Wie reagierst du denn, wenn dich Leute anrufen?
Das hab‘ ich mir dann auch gedacht! (Lacht).
Bleibst du jetzt vielleicht länger am Telefon?
Auch wenn so Leute einen auf der Straße anreden, ist ja auch das Gleiche…
Aber hat sich da etwas in dir verändert durch die Arbeit?
Ich glaube, in die Richtung nicht, aber ich glaube, dass ich auf Leute zugehe, ist viel besser geworden. Also dieses, dass ich es annehme, darüber hab‘ ich noch nie nachgedacht, vielleicht auch, ich mein‘ ich hab‘ auf deine Anfrage geantwortet. Wahrscheinlich schon auch.
Über den Redakteur: Victor Cos Ortega studiert Kunstgeschichte an der Universität Wien.