Er verortet seine Arbeiten bewusst zwischen künstlerischen Genres und schafft somit Kunstwerke, die sich einer eindeutigen Kategorisierung in Bild, Relief, Objekt oder Möbelstück entziehen. Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten aus sechs Werkgruppen verdeutlichen die Vielfalt de Ganays Œuvre, wobei Verbindungen untereinander über gemeinsame Strukturen, Systeme und Modi deutlich werden, derer sich der Künstler im Prozess bedient. Dabei spielt das Paradoxe in seiner Herangehensweise eine zentrale Rolle und scheinbar Widersprüchliches wird in de Ganays innovativem und experimentellem Werk vereint.
Andreas Hofer, Kurator der Kunsthalle Krems, fasste im Rahmen von Sébastien de Ganays Einzelausstellung 2017 präzise die Gemeinsamkeiten seiner Werke, wie sie auch in paradoxical structures_systems_mode präsentiert werden, zusammen: „Jedes Objekt, das de Ganay […] entworfen hat, zeugt von seiner Auseinandersetzung mit Zeit, Material und Materie, mit Abstraktion und Alltag, mit den Grenzen zwischen Kunst und Leben; oder auch mit deren Aufhebung, die bei den Betrachterinnen und Betrachtern zwangsläufig zu Verwirrung führt.“
In der aus Betonstahl gefertigten Werkserie der Museum Grids überträgt der Künstler die architektonischen Grundrisse bzw. Blueprints bekannter Museen maßstabsgetreu in eine eigene, räumlich-rasterähnliche Formensprache. Während sich de Ganay in seiner früheren Grid-Serie auf formale Strukturen von Minimal Art Werken der 1960er und 1970er Jahre bezog, veranschaulichen die neuen Museum Grids zusätzlich politische Strukturen. Durch die Reduktion erhalten die Gebäude nicht nur eine neue Charakteristik, sondern lassen den Ort des Museums anhand der gebauten Strukturen auch als Ausdruck kultureller, teilweise fragwürdiger Macht erscheinen. In Grid Louvre (2021) wächst der zweidimensionale Grundriss über die Gitterwerke wie eine Raumzeichnung in den Galerieraum hinein, während sich die verschiedenen Stockwerke des Museums in unterschiedlicher Farbigkeit überlagern: blau, chrom und in warnendem schwarz-gelb gestreift. Durch die Verwendung von Warnfarben fordern die Raster die Betrachter/innen heraus, zu reflektieren, wofür ein Museum steht, was es repräsentiert, welche Künstler/innen gezeigt werden, wie es historisch gewachsen ist oder woher die Kunstwerke stammen.
Die Werkserie der Folded Flats steht in Kontinuität zu de Ganays Erforschung von Falttechniken seit den frühen 1990er Jahren. Inspiriert von alltäglichen Post-its untersucht er in einer Vielfalt von Formen und Formaten die Faltungsmöglichkeiten des Quadrats. In serieller Arbeitsweise produziert de Ganay abstrakte Wandskulpturen mit minimalistischer Geste aus Aluminium, die durch ihre reine Farbigkeit und dem Spiel aus Licht und Schatten in den Faltungen eine malerische Qualität gewinnen. In der Ausstellung werden XL Folded Flat Yellow 01 (2018) und White & Red Folded Flat Sequence 01 (2021) präsentiert, die de Ganays intensive Beschäftigung mit dem Faltungsprozess und seinen Variationsmöglichkeiten innerhalb der Serie nachempfindbar machen. Die geometrischen Formen beziehen sich dabei stets auf die reduzierte Formensprache der Minimal Art. De Ganay erweitert jedoch deren strenges Verständnis von Form und Material („What you see is what you see“ – Frank Stella). Durch den hohen Wiedererkennungswert von Post-its eröffnen die Werke den Betrachter/innen einen Imaginationsraum, der parallel zum künstlerischen Prozess läuft und dazu anregt, die Variationen weiterzudenken oder die Formen zurück zum Quadrat zu führen.
De Ganays Pavillon Naked (2021) fordert als begehbare Skulptur noch auf einer weiteren Ebene zu aktiver Teilnahme auf. Die hohle Struktur aus Stahlrohren stellt sowohl eine Raumzeichnung als auch Intervention im Raum dar, durch die neue Verbindungen unter den Werken entstehen. De Ganay konstruiert einen Raum im Raum ohne tatsächliches Volumen. Die Form des Pavillons setzt sich dabei aus einzelnen offenen Modulen zusammen, die gemeinsam ein Referenzsystem zu verschiedensten früheren Werkgruppen bilden. Das Aufgreifen existierender Strukturen dient dem Künstler als formales Bindeglied zwischen seinen Werkserien und so sind die Seascapes über die Form der zusammengewachsenden Kreise mit den OPSD Stools verbunden und greifen gleichzeitig sowohl auf die Dot Paintings und Art on Demand zurück.
In der 2011 begonnen Werkserie Seascapes erkundet de Ganay Fläche als freie, variable Form sowie als Referenz an die „shaped canvases“ der Minimal Art. Auf Kupferplatten setzt er Ausschnitte von Meeresblick-Fotografien des Fotopioniers Gustave Le Grey aus den Anfangszeiten des Genres in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die verschiedenen Aneignungsmodi werden durch die neue Form und die Materialität aus reflektierendem Kupfer zugleich sichtbar und entfremdet. De Ganay siedelt seine Arbeiten bewusst zwischen künstlerischen Genres an, wobei die Seascapes zwischen Objekt, Malerei und Fotografie changieren. Das gleiche Prinzip tritt auch in seinen modularen OPSD Stools auf, die durch „Open System Discs“ Variationen von kreisförmigen Modulen in räumlichen Anordnungen zeigen und sich dabei der Kategorisierung in Skulptur, Objekt, Tisch oder Hocker entziehen und ihre mögliche Funktion nur durch den Titel offenbaren.
In der Werkgruppe der CERAMICS spielt de Ganay ebenfalls mit der Gegenüberstellung und der auf den ersten Blick paradoxen Verbindung von Fremdheit und Vertrautheit: „Ich versuche eine unerwartete Präsenz herzustellen, die scheinbar vertraut und ohne sichtbare Spuren der Produktion ist. Eine Präsenz, die zufällig entsteht, wenn ein vertrauter Gegenstand das Gefühl eines ‚Déjà-vu‘ vermittelt, aber ohne eine Verbindung zu einer persönlichen Geschichte steht. Eine Präsenz, die leicht annehmbar und selbstverständlich ist und gleichzeitig mit ihrer stillen, rätselhaften Vertrautheit überzeugt.” Wie hervorgeht, ordnet de Ganay seine CERAMICS als „familiar objects“ ein, im Gegensatz zu dem Begriff der „specific objects“, welcher 1965 durch den Künstler und Kritiker Donald Judd geprägt wurde. „Spezifische Objekte“ sind spezifisch, weil der Künstler ihre Form, ihren Maßstab, ihre Proportionen und ihre Materialität sorgfältig aufeinander abstimmt. Hingegen sind die CERAMICS gleichzeitig rätselhaft und vertraut, als wären sie zufällig, aber selbstverständlich so entstanden. Diese ambivalente Wirkung nutzt der Künstler in den CERAMICS wie auch den Seascapes als eine Spielform, die Dinge von ihrem Sein zu emanzipieren und als eine Möglichkeit, sie wie etwas anderes aussehen zu lassen als das, was sie wirklich sind.
Über den Künstler: Sébastien de Ganay (*1962, Boulogne-Billancourt, FR) verortet seine Werke bewusst zwischen künstlerischen Genres und schafft somit Arbeiten, die sich einer eindeutigen Kategorisierung in Bild, Relief, Objekt oder Möbelstück entziehen, wodurch er die Grenzen zwischen den Gattungen aufhebt. Als innovativer Vertreter der experimentellen Malerei und Skulptur kombiniert de Ganay dabei abstrakte, gegenständliche und funktionale Elemente, um mittels Irritation Sinneswahrnehmungen zu aktivieren und konformistische Sichtweisen in Frage zu stellen. Die geometrischen Formen seiner Werke erinnern dabei an die kühle Ästhetik und reduzierte Formensprache der Minimal Art. De Ganay erweitert jedoch dieses Verständnis, da seine Kunstwerke über die rein formale und materielle Ebene hinaus den Betrachter/innen einen Imaginationsraum öffnen, der parallel zum künstlerischen Prozess läuft. De Ganay studierte Politikwissenschaft und Film an der Columbia University in New York und ist Mitbegründer des Kunstbuchverlags onestar press. Neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen, unter anderem im Centre Pompidou, Paris und dem Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten, zeigte 2014 das Institut Français in Wien eine umfangreiche Einzelausstellung des Künstlers. 2017 realisierte de Ganay für die Kunsthalle Krems eine vielbeachtete Gesamtinstallation in einer ehemaligen Dominikanerkirche, die von einem Übersichtskatalog zu seinem Werk begleitet wurde.
Ausstellung: Sébastien de Ganay – paradoxical structures_system_mode
Dauer der Ausstellung: 11 November 2021 – 15 Januar 2022
Adresse und Kontakt:
max goelitz
Maximilianstraße 35
Eingang Herzog-Rudolf-Straße
80539 München
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