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Hamburg Kunst

Interview mit Cristina Rüesch

Cristina Rüesch ist eine Schweizer Malerin und Bildhauerin, die in Hamburg und Wien lebt. Sie studierte an der HfBK Hamburg und an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In ihren Zeichnungen, Malereien, skulpturalen Installationen und Performances verknüpft sie Elemente aus dem Alltag und der Popkultur mit (kunst)historischen Referenzen. Sie interessiert sich für Zwischenwelten: Die Welt des noch nicht Verdauten, die Welt des Tunnels im Berg und des Mehrdeutigen.
Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Fotos: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig
Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Foto: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig

Du hast an der HFBK Hamburg in der Klasse von Prof. Andreas Slominski studiert und deinen Master in der Klasse von Prof. Jutta Koether an derselben Universität gemacht. Wie erinnerst du dich an deine Studienzeit, und welche Punkte haben zu deiner jetzigen Praxis geführt?
Ich habe das Studium sehr genossen. Die HfBK verfügt über zahlreiche Werkstätten, die ich insbesondere während meines Bachelorstudiums in Bildhauerei intensiv genutzt habe – besonders die Gips- und Keramikwerkstatt haben mich nachhaltig geprägt. Dort habe ich gelernt, Gipsformen herzustellen oder Porzellan zu gießen. Ich habe sehr gerne mit Keramik gearbeitet und habe seitdem ein recht unerschrockenes Verhältnis zu diesem Material.

Ich habe mich auch an Kunststoffen versucht – Materialien, mit denen man während des Kunststudiums gerne experimentiert. Außerdem habe ich viel Zeit in der Animationsfilm-Werkstatt verbracht, wo ich wochenlang am Leuchttisch saß und zeichnete. Generell habe ich während meines Studiums viel ausprobiert; es gab so viele Möglichkeiten, und ich wollte nichts auslassen.

Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Fotos: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig
Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Foto: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig

Während der Pandemie war der Zugang zu den Werkstätten stark eingeschränkt, und irgendwann wurden sie für mehrere Wochen vollständig geschlossen. Glücklicherweise hatten wir weiterhin Zugang zu den Ateliers. In dieser Zeit habe ich nach einer jahrelangen Pause wieder mit dem Malen begonnen. Ich wollte eine künstlerische Praxis entwickeln, die unabhängig ist und keine Werkstatt erfordert. Ich bin dann in die Klasse von Jutta Koether gewechselt, wo viel gelesen wird und die malerische Praxis stets mit einem theoretischen Ansatz verbunden ist. Der Diskurs über Malerei war mir zunächst völlig fremd, da ich aus der Bildhauerei kam.

Wie beeinflusst der Raum, in dem deine Werke ausgestellt werden, deine Arbeit?
Ich versuche, den Raum stets einzubeziehen. Das ist jedoch nicht immer möglich, da die Werke manchmal bereits existieren, bevor die Ausstellung festgelegt wird, oder die kuratorische Entscheidung nicht in meinen Händen liegt. Unkonventionelle Ausstellungsorte faszinieren mich in meiner Praxis sehr. Ich habe mit anderen Künstler:innen in Hamburg eine Ausstellungsreihe namens Tapete gegründet, die Ausstellungen in privaten Räumen oder abseits des White Cubes organisiert – in Dachböden, Kellern, Hausbooten und ähnlichen Orten.

Ich bin der Meinung, dass die vermeintliche Objektivität des White Cubes ein Mythos ist, und deshalb finde ich es wichtig, sich mit dem Raum auseinanderzusetzen – sei es forschend, narrativ oder ästhetisch-formal. Es ist auch relevant zu erwähnen, dass ich meine Werke erst wirklich kennenlerne, wenn sie in der richtigen Position hängen und ausgestellt sind. Im Atelier sind sie mir oft noch fremd und erschließen sich erst, wenn sie in Beziehung zueinander im Raum stehen.

In letzter Zeit arbeitest du mit Präsentationsformen von Forschung. Erzähl uns mehr über diesen Prozess.
Ich sammle Bücher, Texte und Bilder, besuche Museen und sehe mir viel Kunst an. Ich lerne ständig Neues, abhängig davon, wo ich mich befinde – sei es eine neue Sprache oder eine handwerkliche Fertigkeit. All diese Einflüsse verarbeite ich in meinen Bildwelten. In meinen jüngsten Arbeiten wollte ich diese Recherche als eine Art Moodboard sichtbar machen. Textpassagen, etwa aus Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, oder ein Katalog von Pieter Bruegel d.Ä., sind mit Magneten auf einem bespannten Stoff befestigt. Diese flexible Befestigung soll die Offenheit des Forschungsprozesses signalisieren – Dinge können jederzeit hinzugefügt oder entfernt werden.

Deine Arbeit bewegt sich zwischen Malerei und Skulptur. An welchem Punkt im Prozess entscheidest du über das Medium?
Es hängt davon ab, was ich mit der jeweiligen Arbeit ausdrücken möchte. Mit Malerei, insbesondere figürlicher Malerei, lässt sich eine Geschichte oder eine Situation viel direkter darstellen. Die Narration einer bildhauerischen Arbeit ist in der Regel etwas kryptischer und befasst sich eher mit physikalischen und materialtechnischen Eigenschaften – alles Dinge, die eine interessante Herausforderung darstellen.

Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Fotos: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig
Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Foto: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig

Mit welchen Herausforderungen wirst du konfrontiert, wenn du mit unkonventionellen Materialien experimentierst?
Die Materialien, die wir in der Kunst als konventionell verstehen, wie Keramik, Holz oder auch die Ölmalerei, haben den Vorteil, dass sie im Laufe der Geschichte bereits von vielen Künstler:innen verwendet wurden. Wir wissen, wie diese Materialien „korrekt“ angewendet werden sollten.

Während meines Studiums habe ich wirklich sehr merkwürdige Dinge angefertigt – ich habe die Haare meines Hundes gesammelt, um daraus Kunst zu machen, mit Knete und Supersculpey gearbeitet (das ich für kleine, detaillierte Figuren sehr empfehlen kann). Ich habe auch Bilder aus Schafwolle gefilzt, doch eine gewisse Unsicherheit hat mich damals immer begleitet: „Darf ich so etwas überhaupt machen?“ Mittlerweile weiß ich, dass ich so gut wie alles verwenden darf, was ich möchte. Ich habe den Beruf der Künstlerin gewählt, weil ich diese Freiheit brauche.

Dennoch ist es mir ein persönliches Anliegen, dass meine Arbeiten stabil und handlich sind. Die Figuren aus ungebranntem Ton von Fischli und Weiss – ein Alptraum für jede Versicherungsgesellschaft – beweisen jedoch, dass sehr zerbrechliche Werke ebenfalls zugelassen sind.

Welche Rolle spielen Körper und Mode in deiner Arbeit?
Neulich stellte ich mir die Frage, warum ich mir eigentlich nie Modenschauen anschaue, obwohl sie perfekt zu meinen neuen Arbeiten passen, in denen Kleidung eine große Rolle spielt. Bisher habe ich vor allem Kleidung wahrgenommen, die in Vitrinen ausgestellt und von Schaufensterpuppen getragen werden – diese leere Hülle fasziniert mich.

Was machst du, wenn du keine Kunst machst?
Ich versuche, regelmäßig in Bewegung zu bleiben. Joggen oder Schwimmen entspannt mich sehr. Ich würde gerne öfter in die Natur gehen.

Was beeinflusst deine Arbeit am meisten? Gibt es bestimmte Personen oder Theorien, die eine besondere Rolle spielen?
Das Erste war das Studium: Die Professor:innen, bei denen ich gelernt habe, aber vor allem meine Kommiliton:innen waren für mich sehr prägend. Ich arbeite gerne in Zusammenarbeit mit anderen Künstler:innen: Seit 2019 bin ich zum Beispiel Teil des Kollektivs Young Valley Soil. Wir kommen alle aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen, was für mich eine große Bereicherung darstellt. Ich mache Kunst mit Freund:innen und knüpfe Freundschaften durch Kunst – das ist großartig!

Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Fotos: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig
Ausstellungsansicht PARALLEL Vienna Art Fair 2024, September 2024. Foto: Johhanna Lea Lassnig / www.johannalealassnig.xyz / @johannalealassnig

In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit feministischer Theorie auseinandergesetzt, was in mir viele Emotionen ausgelöst hat: Wut, ein Gefühl der Verbundenheit, Ärger, aber auch Mut. Irgendwann verlagerte sich mein Interesse in Richtung des marxistischen Kunsthistorikers T.J. Clark, und ich habe mich auch mit den Schriften von Bruno Latour beschäftigt. In Kombination mit den Gemälden von Pieter Bruegel bildeten diese Texte das Fundament für meine theoretische Masterarbeit.

Wir haben uns heuer auf der PARALLEL Art Fair in Wien kennengelernt. Was hältst du allgemein von Wien? Wie empfindest du die Stadt?
Ich lebe seit Juni 2023 zwischen Wien und Hamburg, habe aber 2021/22 bereits ein Auslandssemester an der Akademie der bildenden Künste Wien absolviert. Damals habe ich Wien geliebt! Obwohl Lockdown war und alles etwas unwirklich wirkte, war ich unglaublich gerne hier. Ich denke aber, dass ich eher mochte, wie ich mich selbst in Bezug auf die Stadt erlebt habe. Ich hatte für mich beschlossen, unerschrocken und selbstbewusst zu sein, und die Stadt hat mir im Gegenzug zugelächelt.

Jenny Schäfer @thedramaoftheportrait
Cristina Rüesch. Foto: Jenny Schäfer @thedramaoftheportrait

Heute ist es etwas anders. Da ich nicht mehr studiere, fühlt sich alles viel existenzieller an. Ich habe mir fest vorgenommen, eine „Staycation“ in Wien zu machen: Eine Woche lang so tun, als wäre ich im Urlaub, und die Stadt mit den begeisterten Augen einer Touristin zu erkunden.

Welche Pläne hast du für das Jahr 2024? Gibt es etwas, das du noch umsetzen möchtest?
Vor dem Sommer habe ich die Technik der Monotypie erlernt, ein Druckverfahren, bei dem nur ein einziger Abdruck entsteht. Der Moment, in dem man das Papier von der Platte löst, ist einfach magisch! Diese Technik möchte ich weiter vertiefen und mich in den kommenden Monaten intensiv darauf konzentrieren.

Cristina Rüesch – www.cristinarueesch.com, www.instagram.com/cristina.rueesch/