Und jede*r tut was sie*er kann, um Ukrainer*innen in dieser grauenvollen Zeit beizustehen. Ich forme eine Taube aus Text und lass sie fliegen. Jeden Tag denke ich an die mutigen Leute in der Ukraine, die sich verteidigen. Mein Mitgefühl gilt all jenen, die Tote zu betrauern haben, auch den Russ*innen. Ich denke an die jungen Soldaten und habe den Song „Army Dreamers“ von Kate Bush im Kopf. Unzählige Menschen hier in Österreich und anderswo helfen, tun was. Ganz einfach weil man etwas tun muss! Unter dem Eindruck dieses Krieges. Für den einen ist das die ukrainische Flagge auf seinem facebook Profil zu posten. Für die andere ist das, eine Kerze am Heldenplatz anzuzünden. Wieder andere spenden, oder posten Fotos von Familie und Freunden aus der Ukraine. Wieder andere setzen sich in ihre Autos, fahren an die Polnisch-Ukrainische Grenze und holen Flüchtlinge ab. Die Leute gehen demonstrieren für den Frieden. Es gibt gerade viele Geschichten, die erzählt werden in den sozialen Medien, auf den Straßen, in Interviews und in persönlichen Gesprächen. Bis vor zwei Woche war die Welt noch eine komplett andere. Und ich sehe besorgte Politiker*innen, höre eine Rede unseres Bundeskanzlers. Er spricht über eine neue Sicherheitsarchitektur der Welt. „Sicherheitsarchitektur“. Ich habe über dieses Wort nachgedacht. Ich stelle mir die Staatenführer*innen vor wie Baumeister*innen, die horizontal denken. Die Handwerkenden anordnen, koordinieren, wie das Gebäude gebaut zu werden hat. Was aber, wenn wir Menschen und die Art und Weise, wie wir heute miteinander leben, denken und verbunden sind nicht horizontal ist, sondern vertikal? Eine Vertikale an die sich ein Netzwerk aus Geschichten knüpft. Alle auf einer Ebene. Alle miteinander verwoben.
Derzeit gibt es um die 25 Kriege auf unserer Erde. Einige von ihnen dauern bereits 40 bis 50 Jahre. Etwa der Krieg in Kolumbien, oder die Konflikte in Afghanistan, die immer wieder entfachen. Ich weiß, dass nach unseren Maßstäben, unseren sprachlichen Mitteln, in denen wir uns die Welt fassbar machen, es Worte gibt, die Unterschiedliches bedeuten. Eine Differenz machen, zwischen einem „Bürgerkrieg“ und einem „Aggressionskrieg“. Aber existieren diese Unterschiede tatsächlich? Wenn du ein Kind hast, und Schusswechsel hörst, schnell das Nötigste zusammenpackst, um mit Kind und Partner*in entweder mit dem Auto, oder zu Fuß ruckartig den Ort zu verlassen, den du dein Zuhause nennst. Denkst du dann Worte, wie „Bürgerkrieg“ oder „Aggressionskrieg“? Viele Leute sagen: ja anderswo gab und gibt es Krieg, etwa auch seit Jahren in Syrien. Aber doch nicht bei uns! Was bedeutet „anderwo“ und „bei uns“? Unsere Welt ist so eng vernetzt wie noch nie zuvor und wir wollen alle ein wenig kosmopolitisch sein. Wir machen Yoga, trinken Mandelmilch, essen Avocados, wir sind woke, schauen Netflixserien aus den verschiedensten Ländern. Die meisten unserer täglich verwendeten Güter werden „anderswo“, wo auch immer das ist, produziert. Unsere Jeans, unsere Turnschuhe, unsere Möbelstücke. Alles was wir konsumieren. Und Europa hat sich bisher leider sehr wenig Gedanken, über sein kolonialgeschichtliches Erbe gemacht. Und die damit verbundenen wirtschaftspolitischen Auswirkungen, die bis heute präsent sind! Ich finde es bemerkenswert, dass wir so selten den qualitativen Unterschied bemessen, zwischen Gütern die nachhaltig und fair produziert werden und jenen, die auf Basis von Ausbeutung zur Existenz kommen. Während zeitgleich die Politik in Europa die letzten Jahre alles unternommen hat um uns täglich zu erklären, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen Menschen geben soll. Und viele glauben das leider. Glauben daran, dass es so etwas wie ‚Flüchtlingswellen‘ gibt. Alleine das Wort ist grausam. Eine Welle ist ein Naturereignis, etwas auf das niemand Einfluss hat. Etwas das mitunter sehr gefährlich und unberechenbar werden kann. Ein Mensch, der fliehen muss, tut das immer aufgrund von Entscheidungen, die Machthaber treffen. Ein Mensch auf der Flucht ist niemals eine Welle oder Teil einer solchen. Und es ist vollkommen egal, ob eine Mutter mit ihren zwei Kindern an den Händen aus Afghanistan, Syrien oder der Ukraine zu uns kommt: Wir haben ihnen zu helfen!
Es ist an der Zeit, dass die EU endlich tatsächlich zu ihren Werten steht. Auch und vor allem jetzt in Solidarität mit der Ukraine! Putins Kriegskassen sind nicht zuletzt deshalb so prall gefüllt, weil wir jahrelang Öl und Gas aus Russland bezogen haben. Und das nach wie vor tun! Die Klimakatastrophe abzuwenden, ist ein wesentlicher Teil von Friedenspolitik. Europa muss jetzt die Zusammenhänge erkennen und die Konsequenzen des eigenen Handelns sehen! „You cannot ride a moral hobby horse“, sagte einmal die Anthropologin Shalini Randeria. Der Satz ist passend, im Bezug auf die EU. Es beginnen nun die ersten Gespräche über ein erneutes Aufrüsten. Ob und inwieweit das notwendig ist, traue ich mich nicht zu beurteilen. Die Ereignisse haben sich überschlagen in der letzten Woche. Allerdings finde ich Eines entscheidend: Auch wenn vielleicht die Staatenführer*innen der Welt aufrüsten, fände ich es schön, wenn die Menschen auf den Sozialen Medien und überall in ihren Worten abrüsten. Es ist ein Phänomen unserer Zeit, dass wir oft sehr schnell, sehr zynisch reagieren. Und ich weiß, in manchen meiner Texte war ich albern und voller Ironie, allerdings gegenüber Institutionen, Trends oder Sozialen Medien. Ich finde es wichtig kritisch zu sein! Ja! Entscheidend ist aber, niemanden persönlich anzugreifen! Das finde ich gerade jetzt besonders wichtig. Dass es schwierig ist, weiß ich. Die letzten Jahre über war der Grundtenor eher ein rauer.
Vielleicht müssen wir uns in Verbindung mit der ständigen verbalen Abgrenzung gegenüber anderen auch mit Identitätspolitik ganz allgemein auseinandersetzen. Es gehört ganz stark zu unserem Zeitgeist, dass wir darüber nachdenken: Welchen Kategorien ordne ich mich zu? Wer ist meine Gruppe? Wer darf worüber sprechen? Diese Form des spätmodernen Denkens hat enorm viele positive Aspekte! Wie wir alle wissen: Empowerment von LGBTQIA+, Frauen*, Bewegungen wie black lives matter, usw.usf. Allerdings gibt es leider auch negative Auswirkungen postmoderner Denkstrukturen. Denn leider auch Rechte benutzen diese Fragen, die vielen Menschen heute auf den Seelen brennen um ihre menschenverachtenden Agenden voran zu treiben. Welchen Kategorien ordne ich mich zu? Wer ist meine Gruppe? Wer darf worüber sprechen? Und während Politiker*innen laut darüber nachdenken, eine neue „Sicherheitsarchitektur“ zu errichten, möchte ich dem sprachlich entgegen halten. Vielleicht schaffen es die Leute gemeinsam eine „Friedensarchitektur“ zu bauen. Eine, die freundlich ist, aufnahmefähig, niemals ausgrentzt! Eine, die respektvoll ist. Die Würde jedes Menschen achtet. Den Dialog und das Gemeinsame sucht! Die sich gleichsam entschlossen und voll Mut gegen Unterdrückung und Aggression stellt! Wir sollten uns ein Beispiel nehmen, an den Menschen in der Ukraine und wir müssen sie unterstützen, wo wir nur können! Und wir können! Auf vielfältige Art und Weise. Wie Patti Smith es im Zuge ihres Interview „Advice to the young“ 2012 sagte: „There is possibilities for bringing down these corporations and governments, who think they can rule the world! There is possibilities for global striking! Because we can unit as one people through technology. We’re all still figuring it out […] But the people still have the power!“
Hier eine website, wo du nachsehen kannst, wo in deiner Umgebung gerade ein Friedensprotest statt findet. List of Protests – Stand with the people in Ukraine! (standwithukraine.live)
Chris Kroiss lebt und arbeitet in Wien. Sie ist Malerin und schreibt. www.chriskroiss.com