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Wien Kultur

Kolumne. Kannst du es auch spüren?

Betrachte das Gebäude, in dem du wohnst. Wie viele Zimmer grenzen aneinander, wie viele Geschichten leben zusammen unter einem Dach? Deine Füße tragen dich durch ein Museum, jeder Schritt ein Suchen. Etliche Augenpaare, die sich auf dasselbe Objekt richten, in dem sie etwas finden.

Erinnere dich, wie behutsam sich die Sessel eines Kinos an deinen Körper schmiegen. Du kennst keinen Menschen hier, und doch teilt ihr für ein paar Minuten ein Gefühl. Eure Sinne sind mehr, sind Antennen der Nähe. Kannst du wahrnehmen, wie es ist, Element eines Ganzen zu sein?

Lass das Gras deine nackten Füße kitzeln. Du kannst spüren, wie die Erde dich trägt. Sie lädt dich dazu ein, du selbst zu sein. Berühre die Rinde eines Baumes, der sich dir aus dem Boden entgegenstreckt. Lass die klare Luft in deinen Lungen Platz nehmen. Die Wolken wollen dir ein Luftschloss bauen, Blumen neigen sich die Köpfe zu. Keine gleicht der anderen, sie blühen in ihrer Einzigartigkeit. Kannst du sehen, wie sich die Natur in ihrem vollkommenen Gewand zeigt?

Begegne einem Menschen, den du liebst. Bemerke, wie eure Augen einen Bogen spannen. Wie sich eure Blicke ineinander verhaken. Lasst die Vertrautheit eintreten, sie ist warm. Nimm wahr, wie sich dein Körper entspannt, wie er sich fallen lässt. Du kannst sehen, wie schön dieser Mensch in seiner Eigenheit leuchtet. Die Geschichte, die ihr teilt, gehört euch. Durch ihn bist du bei dir, durch dich ist er bei sich. Kannst du erkennen, wie sich Nähe gegenseitig bedingt? Laufe durch deine Stadt. Zähle die Balkone in deinem Grätzel, auf denen Pflanzen wachsen. Nimm bewusst wahr, in welchen Farben die Häuserfassaden leuchten. Finde die Sonne. Schenke jemandem ein Lächeln, es vermehrt sich. Halte inne und lass den Großstadttanz durch jede deiner Poren dringen. Erinnere dich an den Duft eines Ortes, an dem du dich angekommen fühlst. Kannst du wahrnehmen, was Zuhausesein bedeutet?

Fang deinen eigenen Blick im Spiegel ein. Zieh ihn lang, lass ihn eintreten und dich von innen umarmen. Nicke dem Erwachsenen zu, nimm das Kind an die Hand. Streiche ihm tröstend über den Kopf. Lass deine Lieblingsmusik laufen und deine Hülle dazu tanzen. Bewege dich in deinem eigenen Raum, als hättest du ihn noch nie betreten. Sprich zu dir, wie zu einem Menschen, den du liebst. Du fällst nicht mehr, denn du kannst dich fangen. Es ist nicht mehr wichtig, wer dich sieht, weil du es tust. Kannst du spüren, wie nah du dir selbst bist?

Link zur Sonderausgabe Diagonale – Festival des österreichischen Films