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Wien Kunst

Interview mit Deborah Sengl

Die Ausstellung „Eyes wide Shot“ ist eine Anlehnung an den gleichnamigen Film von Stanley Kubrick, der auf dem Roman „Traumnovelle“ basiert. Aber bei mir geht es um das Thema Privatsphäre. Also: Gibt es sie überhaupt noch? Wir behaupten immer „ja, es gibt sie“, und haben teilweise Angst vor der Überwachung, aber nutzen gleichzeitig Smartphones und andere elektronische Geräte. Und sind somit eigentlich nirgends mehr privat, außer in den eigenen vier Wänden. Und darum kreist die Ausstellung.

Deine Arbeiten sind teilweise satirisch oder humoristisch ausgelegt. Inwiefern ist Humor ein gutes Transportmittel für Kritik an der Gesellschaft oder Politik?
Für mich ist Humor ganz persönlich und privat ein Überlebenselixier. Mit Humor übersteht man Probleme und Dinge, die einen berühren, die einen belasten. Ich beschäftige mich mit sehr schwierigen, kritischen Themen, und mit dem Humor ziehe ich die Leute an. Würde ich sie direkt mit der Härte konfrontieren, die dahinter steckt, würde ich sie abstoßen. Der Humor zieht an, weil er zum Lächeln bringt- und dann bleibt einem das Lächeln irgendwann im Hals stecken, wenn man sich der Thematik weiter nähert.

In deiner Kunst lassen sich immer wieder verschiedene Tiere finden. Dabei scheinen die Tiere die Identität des dargestellten Menschen zu stützen oder zu verwerfen. Nach welchen Kriterien entscheidest du im Laufe deines Schaffensprozesses, welches Tier den Charakter des Menschen widerspiegeln soll?
Ich mache das seit mittlerweile 25 Jahren, dass ich Tiere verwende, um menschliches Verhalten, und auch Fehlverhalten, darzustellen. Wenn man sich kennenlernt, hat man über das Gesicht immer relativ schnell eine gewisse Sympathie oder Antipathie, das schalte ich aus. Denn mir geht es um den Inhalt, um die Eigenschaften, und deswegen verwende ich die Tiere, um das darzustellen. Die Entscheidung, für welches Tier ich mich entscheide, lehnt teilweise auf den tierischen Sprichworten, die der Mensch selbst erschaffen hat. Beispielsweise „Dumme Kuh“ oder „Schlauer Fuchs“. Das ist natürlich auch etwas menschlich Herbeigeführtes. Es ist eben eine Mischung aus diesen bekannten Sprichworten und aus dem Gefühl, woran mich dieser Mensch erinnert und was er darstellen soll. Ich möchte die Menschen in ihren Eigenarten und Eigenschaften durch das Heranziehen von Tieren voneinander unterscheiden.

Die Entscheidung, für welches Tier ich mich entscheide, lehnt teilweise auf den tierischen Sprichworten, die der Mensch selbst erschaffen hat. Beispielsweise „Dumme Kuh“ oder „Schlauer Fuchs“.

Deborah Sengl, Eyes Wide Shot, 2020, Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm
Deborah Sengl, Eyes Wide Shot, 2020, Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm

Das heißt, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Tierart und der Thematik?
Ja, definitiv. Bei manchen Serien ist er deutlicher als bei anderen. Ich habe mich zum Beispiel mit der katholischen Kirche beschäftigt und da ging es dann um Schafe in Anlehnung an das Lamm Gottes. Und wenn es um ganz menschliche, private Eigenschaften geht, dann kommen oft Hunde und Katzen vor, weil es auch Haustiere sind.

Weil man da als Mensch eher einen Bezug zu hat.
Genau.

Worin siehst du die Schnittstelle zwischen Mensch und Tier?
Ich möchte Menschen in meiner Kunst nicht ent-charakterisieren, sondern ent-subjektivieren.  Ich möchte ihnen die persönliche Vorliebe oder Abneigung nehmen, indem ich ihnen ihre Gesichtsausdrücke nehme. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Tier spielt in meiner Kunst also keine große Rolle. Es gibt schon Serien von mir, wo es um Tierbesitzer geht und wie sie Tiere vermenschlichen, aber ich persönlich ziehe Tiere Menschen vor. Für mich sind sie viel ausgegorener und perfekter in dem, was sie sind. Wir Menschen nehmen uns oft heraus zu sagen, wir stehen über dem Tier und entscheiden es zu leben hat. Wir greifen in ihre Territorien ein, siehe Corona als Ergebnis. Ich sehe zwischen Mensch und Tier nur wenige Schnittstellen.

Woher kommt dein Faible für Tiere im Allgemeinen?
Das ist aus meiner Kindheit gegeben. Meine Eltern sind Künstler, und waren nicht so begeistert, dass ich auch Kunst machen möchte. Deswegen habe ich anfangs auch parallel Biologie studiert. Ich habe das Studium jedoch nie beendet. Mich faszinieren die Tiere und ihre vermeintliche Perfektion. Sie können nicht viel Diverses, doch das was sie können, können sie zur Perfektion. Und als ich damals studierte, hat mich besonders das Tarnen und Täuschen der Tierwelt fasziniert. Und so hat es eigentlich angefangen. Das Tier, das sich als sein Jäger oder seine Beute tarnt, und das damit auch wirklich durchkommt. In dieser Eigenschaft habe ich so viel Menschliches gesehen, weil wir ja auch unsere Rollen spielen; besonders schlau, besonders schön, besonders sexy sein wollen. Und so liegt der Ursprung meiner Kunst auch irgendwo in meinem Biologie-Studium.

Mich faszinieren die Tiere und ihre vermeintliche Perfektion. Sie können nicht viel Diverses, doch das was sie können, können sie zur Perfektion.

Wie haben deine Eltern darauf reagiert, dass du auch Künstlerin werden wolltest?
Naja, sie waren zurecht besorgt, weil es ein schwieriger Beruf ist. Wir wissen, wie viele Künstler es gibt und wie wenige davon leben können. Aus eigener Erfahrung wussten meine Eltern, die in der Kunst etabliert sind, dass das ein hartes Business ist. Sie hatten natürlich auch Sorge und meinten: „Probiere vielleicht erstmal was anderes“. Sie wollten nicht, dass ich mich darauf ausruhe, dass ich das gleiche wie meine Eltern machen wollte. Und deswegen habe ich mich ein bis zwei Jahre umgeschaut und dann irgendwann gesagt: „Nein, es tut mir leid, es ist trotzdem die Kunst“. Heute läuft es und sie sind beruhigt.

Eyes Wide Shot
Eyes Wide Shot, 2020, Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm

Welchen Stellenwert hat deiner Ansicht nach die Kunst, um auf politische und gesellschaftliche Missstände hinzuweisen?
Die Kunst muss nicht politisch sein. Für mich persönlich ist die Kunst jedoch eine wunderbare Möglichkeit, um ein Thema darzustellen. Auf eine Art und Weise, die eben anders ist. Es gibt so viele Menschen, die sich in ihren Berufen gar nicht öffentlich darüber äußern dürfen, was sie wirklich denken oder was ihnen Sorge bereitet. Und die Kunst darf das. Sie muss es nicht, aber sie kann und darf es. Ich benutze die Kunst auch als persönliches Ventil für Themen, die mich beschäftigen, die mich beunruhigen. Und ich sage mittlerweile bewusst und öffentlich, dass ich das niederschwellig auch deshalb mache, um Menschen zu erreichen, die mit Kunst sonst nicht oft in Berührung kommen. Es sind Menschen zu meinen Ausstellungen gegangen und dort auf Gedanken gekommen, die sie vielleicht sonst nicht gehabt hätten. Ich kann nicht missionieren, ich will es auch nicht, aber mich freut es, wenn eine Person danach zu mir kommt und sagt: „Ich denke jetzt ein bisschen anders“.

Ich benutze die Kunst auch als persönliches Ventil für Themen, die mich beschäftigen, die mich beunruhigen. Und ich sage mittlerweile bewusst und öffentlich, dass ich das niederschwellig auch deshalb mache, um Menschen zu erreichen, die mit Kunst sonst nicht oft in Berührung kommen.

Deborah Sengl. Eyes Wide Shot
Deborah Sengl, Eyes Wide Shot, 2020, Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm

Manchmal braucht es die Einfachheit in den Dingen, um Menschen auf etwas aufmerksam zu machen.
Es ist ja viel schwieriger, das Schwierige einfach zu sagen als das Einfache schwierig. Oft werden sehr einfache Aussagen wahnsinnig verklausuliert und verkompliziert. So wird denen, die es nicht verstehen, signalisiert: „Geh weiter, du bist zu blöd, um das zu verstehen“. Und das ist mir zu elitär. Deswegen mache ich Kunst, die relativ einfach zu erfassen ist. Das heißt natürlich nicht, dass dahinter nicht ganz viele Türen sind. Es ist ein bisschen wie bei „Alice im Wunderland“- die Türen dahinter werden immer kleiner und man muss dort hindurch wollen. Dann muss man seine Tinkturen trinken, um da hineinzuwachsen, in das Bild. Aber wenn man bei der ersten Tür schon denkt „Ich bin zu blöd, ich geh weiter“, so eine Art der Kunst finde ich arrogant.

Wie beurteilst du die Überschneidung zwischen Aktivistin und Künstlerin?
Ich finde man ist aktivistisch, wenn man etwas bewegt. Wenn ich es schaffe, auch in kleinem Maße, Menschen zum Denken zu bringen, Menschen, die vielleicht vorher gar nicht oder ganz anders gedacht haben, wenn ich es geschafft habe, sie dazu anzuregen, seien es auch nur ein paar Minuten, darüber zu reflektieren- dann ist mein Schaffen schon, im wahrsten Sinne des Wortes, aktivistisch. Und so ist es vielleicht auch anders herum. Eine gewisse Provokation, das ist ja auch eine Form von Aktivismus. Dass man hereinkriecht in eine Wunde, dahin, wo die Menschen einen Schmerz verspüren. Was mir auch momentan fehlt in der Kunst, ist das Gefühle erzeugen. Ich erzeuge gerne Gefühle, denn diese teilen wir alle. Über Gefühle kann man zu Diskussionen kommen und Diskussionen können vielleicht auch zu Veränderung führen.

deborah sengl

Wenn du dir jetzt deine Bilder anschaust, die vor Corona entstanden sind, was denkst du darüber? Hat das Jahr 2020 deinen Blick verändert?
Schon, sie kommen mir jetzt irgendwo visionär vor. Meine Arbeit hat sich schon verändert in diesem Jahr. Sie ist nach wie vor politisch, aber sie ist auch wieder psychologischer geworden. Wenn ich an meine künstlerischen Anfänge zurückdenke, wo es um dieses Rollenspiel in der Gesellschaft ging, dann nähere ich mich diesen wieder an. Ich gehe wieder mehr in die Psychologie hinein, weil es das ist, was mich momentan vermehrt privat und gesellschaftlich beschäftigt. Das lässt sich auch meinem Werk Coro(h)na erkennen, dort geht es um das Bedürfnis nach Nähe, um die älteren Menschen, die man nicht gefragt hat, ob sie ihre Angehörigen noch sehen wollen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Tausende oder Millionen auf der ganzen Welt gestorben sind, ohne ihre Enkel und Liebsten in den Armen zu halten. Eben dieser emotionale Aspekt rückt bei mir wieder mehr in den Vordergrund. Und das hat sicher auch etwas mit der aktuellen Entwicklung zu tun.

Die Ausstellung „Eyes Wide Shot“ in der Galerie Reinthaler wurde bis 20.11. verlängert. Terminvereinbarung unter office@agnesreinthaler.com oder +43 699 10681871.

Adresse und Kontakt:
Galerie Reinthaler
Gumpendorfer Straße 53
A-1060 Wien
www.agnesreinthaler.com

Deborah Sengl – www.deborahsengl.com