So differenziert Hannah Arendt im Bereich des Politischen zwischen „Tatsachenwahrheiten“ und „Vernuftwahrheiten“, wobei die Tatsachenwahrheiten im politischen Diskurs weitaus häufiger missachtet werden. Der Titel der Ausstellung „Stimme der Vernunft“ bezieht sich auf einen der Wahlsprüche Norbert Hofers bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl 2016.
Als einer der polarisierendsten Kandidaten für dieses Amt in der Geschichte des Landes unterschied sich seine persönliche Auslegung des Vernunftbegriffs diametral von dem Vernunftverständnis von 53,8 Prozent der Wahlberechtigten, für die eine Stimme für Hofers Kontrahenten Alexander van der Bellen die vernünftige Option war.
Bei der Ausstellung „Stimme der Vernunft“ steht das plakative Element in der Politik im Fokus, insbesondere Wahlplakate der FPÖ, die durch das Berliner Künstlerkollektiv Rocco und seine Brüder in Form eines Kartenhaus, welches in sich zusammen zu brechen scheint neu kontextualisiert werden.
Die Rhetorik der Plakate wird in gesteigerter Form weitergeführt durch eine Videoarbeit mit Sequenzen von öffentlichen Reden des Kandidaten der FPÖ für das Amt des Wiener Bürgermeisters 2020, Dominik Nepp. Die Ausstellung findet unmittelbar nach dem Einbruch der Wiener FPÖ um 23 Prozent von 30 auf sieben Prozentpunkte statt. Das Kartenhaus symbolisiert diesen historischen Moment, nachdem der jahrelange Höhenflug der Partei, aufgebaut auf populistischer Rhetorik und dem Schüren von Ängsten, abrupt gestoppt wurde durch die sogenannte Ibiza-Affäre um Vizekanzler HC Strache.
Vera Klimentyevas Plakatserie „Fairy Tales of the Wild East“ sind eine Collage aus Motiven der russischen Folklore, politischen Charakteren, dekonstruierter Heraldik und feministischen Symbolen. In der Optik eines Kartenspiels führen diese Arbeiten die Thematik des Kartenhauses von Rocco und seine Brüder fort und thematisieren das Spektrum von Macht, Vergangenheitsverklärung und politischer Unterdrückung welches die aktuelle russische Regierung praktiziert.
Spezifischer geht die Position „The Nine“ auf die politischen Missstände ein. Neun schwarz glänzende Kampfpolizisten, aus Steingut gegossen und reduziert auf die Form der traditionellen Nevaljaschka Puppe kombiniert mit dem ikonischen Schutzvisier der Spezialeinheiten bilden eine perfekte Einheit. Die Nevaljaschka Puppe ist ein Stehaufmännchen, welches immer wieder in seine ursprüngliche Ausgangsposition zurückschwingt. Sie fungiert als Metapher zu den nahezu unberührbaren russischen Polizisten. Diese haben für ihre Handlungen, unabhängig davon ob sie im Recht oder Unrecht sind, keine Konsequenzen zu befürchten. Dies spiegelt sich auch dezidiert in der Materialität der Figuren wider. Die makellose Oberfläche suggeriert einen anständigen Hüter der Gesetzte, doch hinter der Fassade herrschen Gewalt, Korruption und Machtmissbrauch.
Für die Politik ist Kunst seit jeher ein Mittel der Machtartikulation, in der jüngeren Vergangenheit nutze sie verstärkt einen plakativen Ansatz, wie beispielsweise bei den faschistischen, kommunistischen und sozialistischen Propagandaplakaten der 30er, 40er und 50er Jahre. Auch in aktuellen Wahlkampfkampagnen setzten die Parteien auf die Kraft der Bilder. Je nach politischer Ausrichtung beruhigende, aufrüttelnde, verstörende, hoffnungsvolle oder organische Motive. Versehen mit einer leicht verständlichen Botschaft, oftmals in Schlagworten oder überspitzt vereinfacht dargestellt, baut sich jede Partei ihr eigenes Kartenhaus, und je nachdem wie solide das Fundament ist, wächst es stetig in die Höhe oder Implodiert, sobald die jeweilige Politik nicht mehr zeitgemäß ist. Die Ausstellung „Stimme der Vernunft“ ist ein Versuch, das aktuelle politische Klima künstlerisch zu artikulieren, sei es durch die Darstellung von Wahlplakaten und Reden in einem neuen Kontext oder durch die Findung einer neuen Formensprache durch die Verschmelzung von traditionellen Symbolen und zeitgenössischen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Auch in aktuellen Wahlkampfkampagnen setzten die Parteien auf die Kraft der Bilder. Je nach politischer Ausrichtung beruhigende, aufrüttelnde, verstörende, hoffnungsvolle oder organische Motive.
Stimme der Vernunft von Vera Klimentyeva & Rocco und seine Brüder
Kuratiert von Jan Gustav Fiedler in Kooperation mit dem Museum of Now
Ausstellungsdauer: 30. Oktober 2020 – 20. November 2020
Termine nach Vereinbarung unter: gallery@12-14.org
Adresse und Kontakt:
12-14 contemporary
Schleifmühlgasse 12-14
A-1040 Wien
www.12-14.org