„Es gibt keine zeithistorische Aufarbeitung dieser Fluchtbewegung nach Österreich außer sozialwissenschaftliche Studien aus den späten 90ern, die sich mit dem Umgang der damaligen Gesellschaft, den Regelungen und Maßnahmen für das Ankommen der Geflüchteten befassten“, so Historikerin Vida Bakondy, Kuratorin der Ausstellung, die ab dem 14. September bis 15. November in der Wiener Hauptbücherei am Gürtel zu sehen ist.
Anhand von Erinnerungsobjekten , Briefen, Fotografien und Audiomaterial, kuratiert Vida Bakondy zusammen mit der Architektin Amila Širbegović die Ausstellung, die sich der Diaspora aus dem ehemaligen Jugoslawien in Wien widmet. Den Kern der Ausstellung soll die Podiumsdiskussion „De-facto Unterstützung – Zwischen Aufruf zur Hilfe und Forderung nach Einwanderungsstopp“ bilden, die die Dichotomie Fremdenangst und Hilfsbereitschaft der damaligen österreichischen Gesellschaft darlegen soll. Zudem werden Zeitzeugen durch Ausstellungsgespräche ihre Erfahrungen wiedergeben.
Bedarf an Repräsentation
25 Jahre nach dem endgültigen Zerfall Jugoslawiens und somit auch dem Ende des Jugoslawienkriegs wird erstmals im Rahmen eines öffentlichen Projekts das Flüchtlingsdasein und die Erfahrung ex-jugoslawischer Schutzsuchender in den Vordergrund gestellt. Im Jahr 2019 betrug der Anteil der WienerInnen mit einem Migrationshintergrund rund 40%, die größte Menschengruppe hier hat Wurzeln am Balkan. In den 90ern galt Österreich als ein bevorzugtes Zielland und zentraler Zufluchtsort. Etwa 100.000 Kriegsflüchtlinge wurden in Österreich aufgenommen, 85.000 davon stammten aus Bosnien und Herzegowina. Zwei Drittel der bosnisch-stämmigen Flüchtlinge sind in Österreich geblieben und sehen Wien nun als ihre neue Heimat an. „Die Leute sind hiergeblieben, haben in der Stadt fußgefasst, sind zu Kollegen geworden, zur Selbstverständlichkeit, und wurden somit auch unsichtbar“, Bakondy. Für viele war der erste Schritt zum langfristigen Bleiben die Arbeitsbewilligung, welche durch zähe Verhandlungen mit dem Arbeitsministerium schwer zugänglich war. Wenige haben eine Arbeit über ihren Asylstatus bekommen, viele mussten Jobs am österreichischen Arbeitsmarkt annehmen, die ihren Qualifikationen nicht entsprechen. Zudem wurden die Geflüchteten damals nicht mit offenen Armen empfangen. Vor allem erschwerte der fremdenfeindliche Diskurs, der in den 90ern in Österreich herrschte, das Bleiben im Ankunftsland. „Ziel und Zweck der Ausstellung ist das Sichtbarmachen von Geschichten von Menschen, die einen wichtigen Teil der österreichischen Gesellschaft bilden.“
Flucht ist als gesellschaftliches Phänomen nicht verschwunden und auch nicht aus der Tagespolitik wegzudenken. Politische Parteien operieren mit der Thematik Flucht und schlagen damit auch Kapital.
Auch heute präsent
Während 1993 die Freiheitliche Partei mit dem Volksbegehren „Österreich Zuerst“ einen Einwanderungsstopp einforderte und Österreich als kein Einwanderungsland etikettierte, wird heute die Mehrheit der ex-jugoslawischen Wiener als eine „gelungen integrierte“ Personengruppe gesehen. Hier finden sich starke Parallelen zur Fluchtbewegung 2015. Bis zu 95.000 Personen suchten 2015 in Österreich um Asyl an. Der mediale Diskurs in 2015 ähnelte stark dem aus den 90ern. Mit Slogans wie „Wir haben begrenzte Kapazitäten“ und „Wir können niemanden aufnehmen“ versuchte man wieder ein fremdenfeindliches Sentiment zu verbreiten und die Einwanderungszahlen zu reduzieren. Oft wird am Beispiel Jugoslawien aufzeigt, dass die Aufnahme von abertausenden Menschen in Österreich möglich war. „Die Gesellschaft ist dadurch nicht gebrochen. Das Thema Flucht ist für Österreich nichts Neues und nichts was das Land nicht schaffen kann.“ sagte Amila Širbegović. Im Kontext der ex-jugoslawischen Fluchtgeschichte sind sehr wichtige Einrichtungen entstanden wie das Integrationshaus Wien und die Deseteurs- und Flüchtlingsberatung Wien, die heutzutage auch noch von Bedeutung sind. Die Flüchtlingspolitik findet immer noch große Präsenz und Aktualität in der österreichischen Medienlandschaft. Jüngste Ereignisse auf Lesbos im Flüchtlingslager Moria zeigen wie wichtig Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft auch heute noch ist. Die medialen sowie sie fremdenfeindlichen Diskurse seitens der Politik der 90er Jahre werden auch im Rahmen der Ausstellung thematisiert.
Aufarbeitung von Flucht
Für die Kuratorinnen ist eines klar: Die Kriegsaufarbeitung im Zusammenhang mit der Fluchtbewegung nach Österreich bleibt unterrepräsentiert in vielen Gesellschaftsbereichen. „Die Hoffnung ist, die Ausstellung zu vergrößern, sie auch in anderen Bundesländern Österreichs zu zeigen und diese in eine Dauerausstellung in verschiedenen Museen umzuwandeln. Viele Institutionen sind im Kontext dieser Fluchtbewegung entstanden und eine breite Masse der österreichischen Zivilgesellschaft hat den Geflüchteten geholfen, diese Seite wurde auch bis jetzt nicht rezipiert. Des Weiteren fehlt es an Publikationen und an Schulen wird der Jugoslawienkrieg kaum noch durchgenommen“ so die beiden Kuratorinnen.